Mobile Ambulanz

Ein Bericht von German Doctors-Einsatzarzt Dr. Stephan Neuhauser aus Luzon

Dr. Stephan Neuhauser mit einer Patientin

Ich war im Frühjahr auf den Philippinen, Luzon, um mit der sogenannten Rolling Clinic in entlegene Siedlungen zu fahren, und eine medizinische Basisversorgung herzustellen. Nach Kalkutta – Schwerpunkt Tuberkulose und Lepra, und KeniaHIV und Malaria, war es ein abenteuerliches Projekt für mich. Denn nach einer anstrengenden Reise über insgesamt 30 Std. (davon 16 Std. im Flugzeug) und großer Zeitverschiebung ging es nach einer kurzen Eingewöhnung mit dem Pkw, Boot oder teilweise auch zu Fuß für mich in abgelegene Dörfer.

Mit unserem Team (Fahrer, Registrierung, Pharmazie und Teamleitung bzw. Übersetzerin und Doktor) erreichten wir jeweils abgelegene Dörfer – where there is no doctor – und bauten innerhalb kürzester Zeit eine Ambulanz auf. Die Patienten warteten bereits geduldig auf uns. Alle 4 Wochen findet jeweils eine Sprechstunde statt. Die Hitze mit hoher Luftfeuchtigkeit, der Smog, der Lärm waren nicht so schlimm wie in Kalkutta. Wir fuhren auch nicht jeden Tag durch die Slums wie in Nairobi, Kenia. Die Armut der Bevölkerung zeigte sich, wenn man genauer hinschaut insbesondere in der Sprechstunde. Täglich sah ich 30 – 70 Patienten. Mehr geht auch nicht. Jedoch eine Triage oder ein Verweigern von später anreisenden Patienten ist aus ethischen Gründen und aus dem humanitären Auftrag von German Doctors nicht möglich.

Unterwegs mit dem Boot

Wie in anderen Projekten kamen Frauen mit Säuglingen und Kleinkindern, Schulkindern, Erwachsene und viele alte Menschen, die noch geistig und körperlich erstaunlich fit sind. 90 bis 100-jährige sah ich täglich mit Arthrosebeschwerden und Grauem Star. Dazu noch die chronicles wie z. B. Diabetes, Hypertonie und viele psychisch chronisch Kranke, auch Epileptiker kombiniert mit Behinderung. Sehr hilfreich waren meine vielen in Deutschland gesammelten Brillen. Es wurde solange probiert, bis sich das verschwommene Sehen deutlich besserte. Neben vielen Erkältungskrankheiten (common cold, cough and cold, feverish cold), Pneumonie, Bronchitis, Otitis media, Angina  tonsillaris diagnostizierte ich viele Hautkrankheiten wie Tinea (Pilzerkrankung) oder Scabies (Krätze). Die meist großflächige Tinea lässt sich mit Salben und Tabletten allerdings über viele Wochen gut behandeln. Bei der Scabies muss man sehr genau hinschauen, und wenn möglich die ganze Familie therapeutisch einbeziehen. Sonst kommt es auf engstem Raum ständig zu erneuter Ansteckung. Ausführliches Erklären und wiederholte Kontrollen alle 4 Wochen beenden den quälenden Juckreiz, die Kratzeffekte mit Superinfektion und erhöhen schlagartig die Lebensqualität.

Geschockt war ich von den vielen jungen Frauen, die sehr viele Kinder gebären und einen katastrophalen Zahnstatus haben d.h. fehlende oder „faule“ Zähne. Frauen und Männer arbeiten oft sehr hart in der Landwirtschaft mit Schmerzen im unteren Rückenbereich, Verspannungen und brettharter Rückenmuskulatur. Hier helfen begrenzt Schmerzmittel, Demonstration von Rückengymnastik, Verhaltensmaßnahmen etc. Natürlich stoßen wir gelegentlich an Grenzen unserer medizinischen Möglichkeiten etwa bei Tumorpatienten, Dialysepflicht, teuren Medikamenten, erforderlichen Laboruntersuchungen oder erforderlicher fachärztlicher Weiterbehandlung. Aber mit unseren Ressourcen d.h. im Land registrierte und zugelassene Arzneimittel, Sonographie und EKG  lässt sich doch einiges erreichen. Ultraschall und EKG müssen sparsam und diskret angewendet werden, sonst kommt das ganze Dorf (aus verständlichen Gründen) gelaufen. Chronische Patienten wie Diabetes mellitus, Hypertonie können gut eingestellt werden inklusive einfacher Laboruntersuchungen, die wir in Auftrag geben. Urinutersuchung und Blutzuckertest machen wir selbst. Hier erlebte sich so manche Überraschung, wenn z.B. eine Patientin Kopfschmerzen und Schwindel hatte, und der Blutzucker bei 600 lag.

Manche Wege müssen zu Fuß gegangen werden

Beeindruckt haben mich die gut funktionierende community. Selbst im kleinsten abgelegenen Dorf  gibt es Betreuung von Schwangeren und Impfaktionen. Sogar Elementarschulen befinden sich dort. Freundlicher ja herzlicher Empfang unseres Teams, gemeinsame Leibesübungen vor der Sprechstunde, Kochen für uns mit obligatorischer Mahlzeit nach der Sprechstunde, egal wie arm das Dorf ist. Einige Patienten aus der Sprechstunde möchte ich nachfolgend vorstellen: Mit dem Boot erreichten wir Calayucay, autonome abgelegene Siedlung. Es wurden 3 Kinder aus einer Familie mit Mutter mit schuppender Haut teilweise am ganzen Körper vorgestellt. Eine Diagnose lag noch nicht vor. Durch sorgfältige Erhebung der Anamnese mit Dolmetscherin und viel Geduld konnte die Diagnose autosomal dominant vererbte Ichthyosis vulgaris (Fischschuppen-Krankheit) gestellt werden. Von 11 Personen in der Familie sind 4 Kinder und die Mutter erkrankt. Bei dieser schweren Hauterkrankung leiden die Kinder erheblich, da sie isoliert sind (Aussehen, unbegründete Angst vor Ansteckung, reduzierte Gesundheit usw.), und die Therapie war hier nicht möglich.

 

Schuppige Haut durch die Fischschuppen-Krankheit

Basisexterna, Harnstoff bzw. Urea, Salicylsäure und Vaseline sind hilfreich. Retinoid auch systemisch würde gut helfen, ist jedoch nicht verfüg- und bezahlbar. Wir gaben Vaseline zur symptomatischen Therapie, führten Aufklärungsgespräche und erläuterten Verhaltensmaßnahmen. Eine Patientin mit congestive heart failure, erheblich eingeschränkter Herzleistung und Rhythmusstörungen mit der Gefahr von Lungen- oder Hirnembolie war mit Warfarin (Coumadin) eingestellt worden. Ein Medikament das es bei uns praktisch nicht gibt. Wir verwenden in Deutschland etwa Marcumar (Phenprocoumon). Das Problem dieser Medikamente sind die lange Wirkdauer von mehreren Tagen. Die therapeutische Dosis und Nebenwirkungen wie mögliche Blutungsgefahr müssen durch regelmäßige Laborkontrolle der Blutgerinnung überprüft werden, was hier schwierig war. Blut im Urin der Patientin, gesendete Bilder von multiplen Hämatomen am ganzen Körper, ließen mich Warfarin absetzen. Im Labor zeigte sich bei dieser Patientin überhaupt keine Gerinnung. D.h. drohende Verblutung bei geringster Verletzung. Was nun?  Moderne direkte orale Antikoagulation kam schon alleine aus Kostengründen nicht in Frage. Ohne Warfarin bestand jedoch die konkrete Gefahr etwa eines Schlaganfalls. Sämtliche Alternativen wie z. B. Aspirin wurden verworfen. Zudem musste die Patientin für ihr Herz und gegen Hochdruck eine Unmenge von Medikamenten einnehmen. Mit einer sehr niedrigen Dosis von Warfarin konnten wir das Problem Embolie versus Blutung glücklicherweise lösen.

In der Regel  kommen die Patienten mit der Diagnose Epilepsie und einer chronischen Behinderung nur zur medikamentösen Einstellung zu uns. Dieses Kind war jedoch fröhlich und unauffällig. Durch ausgiebige Befragung und viel Geduld war mir dann ohne Papiere vom Hospital die Kausalität klar. Symptomatischer Krampfanfall bei bakterieller Hirnhautentzündung. Antibiotische Therapie der Meningitis und danach Einstellung mit Antiepileptikum hier Phenobarbital.

Eine 17-jährige Patientin sah ich mit Mutter in der Sprechstunde. Beide waren verzweifelt. Die Patientin ließ sich nur ungern und unvollständig untersuchen. Aus dem Bauch floss Eiter. Es hatte eine große Operation vor Jahren stattgefunden. Diagnose? Ich dachte an M.Crohn, Colitis Ulcerosa also an eine chronisch entzündliche Darmerkrankung. Wir deckten antibiotisch ab und verlangten weitere Informationen wie Papiere von der Op., Diagnose etc. Als ich die Patientin zum zweiten Mal mit Unterlagen sah, ergab sich folgendes Bild: Familiäre adenomatöse Polyposis Coli. Symptome sind rektale Blutungen, Durchfälle und krampfartige Bauchschmerzen. Schweres Krankheitsbild. Vor Jahren wurde ihr in einer großen Darmoperation ein Großteil des Dickdarms entfernt. Im Verlauf zeigten sich jetzt vor kurzem ein abdomineller großer Abszess bzw. massive Eiterherde im Darm bzw. Becken.  Die Patientin wog noch 22 Kg. Was konnten wir tun. Eine erneute OP wurde von den Chirurgen in diesem Zustand abgelehnt. Wir setzten die antibiotische Gabe fort (leichte Besserung lt. Pat.), Schmerzmittelgabe und ORS d.h. orale Rehydrationslösung ist in armen Ländern das Mittel der Wahl insbesondere bei Mangel- und Unterernährung von Kindern. Die Lösung beseht aus Zucker und Salz, wird mit abgekochtem Wasser zubereitet und vollbringt wahre Wunder.

Die Verpflegung vor Ort

Wir hoffen, dass der Zustand der Patientin sich bessert, sie an Gewicht zunimmt, und schließlich operiert werden kann. Dieser Fall machte mich zutiefst traurig und zeigt mir nicht nur unsere Grenzen im Projekt, sondern erinnerte mich daran, wie gut es uns in den sogenannten reichen Ländern geht.

Zu schaffen machte mir mir ein längere Stromausfall sowie 3 Tage ohne Internet, und das Duschen mit Eimer und kaltem Wasser. Beim Rennen oder Fahrradfahren nach Feierabend erlebte ich viel Erstaunen und Sympathie der einheimischen Bevölkerung. Respekt hatte ich vor den vielen herumstreunenden Hunden. Denn Tollwut ist ein Thema auf den Philippinen. Das ich mit 7 Kilo weniger bei normalerweise Normalgewicht nach Hause kam ist OK, denn mit fast vegetarischem Essen, viel Bewegung und ohne Alkohol und Süßigkeiten kann man kaum zunehmen. Insgesamt war dieses medizinische Projekt mit freundlicher, hilfsbereiter, aufgeschlossener und gastfreundlicher Bevölkerung in einem professionell arbeitendem Team für mich eine sehr positive Lebenserfahrung mit den German Doctors, die ich uneingeschränkt weiter empfehlen kann.