Abgelegene Dörfer
Ein Bericht von German Doctors-Einsatzärztin Lotte Heinl aus Luzon
Heiß. Es ist eine Affenhitze. Ich zerfließe. Beim Aussteigen aus dem Flieger, der einen von Manila oben in den Norden bringt, Tuguegarao, um genau zu sein, läuft man gegen eine Wand. Eine Wand aus Hitze und Feuchtigkeit. Die Luft ist so gesättigt, dass man allein durch das Tätigen eines
Atemzuges einen Schweißausbruch erleidet. Es ist nicht so, dass man einfach durch diese Wand durch läuft und alles wäre schön, nein, eigentlich lebt man in dieser Wand, sie verflüchtigt sich langsam auf der langen Bustour zurück nach Manila, was jetzt eine reine Vermutung ist, da der
komfortable Bus mit einer Klimaanlage ausgestattet ist, kann ich mit letzter Sicherheit nicht genau sagen, wo ich die Tür dieser Hitzewand durchtrete.
Man lebt in und mit ihr, man gewöhnt sich an das permanent laufende Nass im Sitzen, der Krach der Ventilatoren wird zu einem angenehmen Säuseln in deinem Ohr, ist es doch die einzige Möglichkeit, ein wenig Turbulenzen, ein wenig Gegenwind in dieser unausweichlichen Hitze zu
erzeugen. Man stellt schnell fest, dass alle Schweißdrüsen auf Hochtouren arbeiten und endlich einmal alle so richtig durchgespült werden und dies ohne Unterlass.
Bevor ich jetzt aber direkt in den Bus zurück nach Manila steige, komme ich erst einmal an. Ich werde freundlich am Flughafen empfangen, dann geht es weiter mit einer zweistündigen Autofahrt nach Conner. Aus der großen Flussebene, einer Ebene, in der Tuguegarao liegt, geht es Richtung Westen in die Cordillera. Conner liegt in der Provinz Apayao.
Ein riesiges Plakat an meiner Tür empfängt mich, Welcome Dra. Lotte. Mein Name ist eine
Herausforderung für mein lokales Team. Über Lowte, Lotlot, Lotti oder einfach nur Doctora werde ich eingeführt in die lokalen Begebenheiten und Geheimnisse dieses wunderbaren Ortes und der Kultur. Ich bin ein bisschen aufgeregt, weil es doch alles anders ist als geplant oder gedacht, aber ich habe nicht viel Zeit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, weil es gleich am Montagmorgen mit der Rolling Clinic losgeht in die erste Region.
Die Provinzen. die durch die German Doctors betreut werden, liegen hauptsächlich in Apayao und Kalinga. Für mich alles neu und aufregend, die Namen werde ich mir erst im Laufe der nächsten Wochen merken können, aktuell sitze ich im Auto und habe keine Ahnung, wo ich bin. Wir fahren durch hügelige, bergig tropische Landschaft. Ich kann mich nicht sattsehen an diesen tausend unterschiedlichen Grüntönen, die dieses Land zu bieten hat. Wo man nicht hinguckt, wird sofort wieder alles von der Natur übernommen, man hat das Gefühl, alles wächst und gedeiht in einem rasanten Tempo. Jede noch so kleine Pflanze findet ihren Ort und gemeinsam ergibt es einen grünen Urwald, der nicht so leicht zu durchdringen ist. Alles wächst miteinander, übereinander und aufeinander. Wir sind zu viert unterwegs, der Fahrer, die Übersetzerin, die Apothekerin und ich. Im Auto wird gequatscht und geschnattert, es vergeht nicht eine ruhige Minute, ich verstehe nichts, erfreue mich aber an dem Lachen und der Freude, die in den Gesprächen transportiert wird.
Auf dem Weg wird geschoppt, wir sind eine Woche unterwegs, die will verpflegt sein, wir werden in abgelegenen Dörfern Unterschlupf finden, sodass alles eingepackt und vorbereitet wird für fünf Tage abseits der Zivilisation. Die wichtigste Utensilie ist Reis. Reis und Kaffee. Eine Besonderheit in Kalinga, sowohl der Reis, der rote Reis wie auch der Kaffee. Reis gibt es dreimal am Tag, ich habe in meinem Leben noch nie so viel Reis gegessen, aber er ist mir wohl bekommen, ich habe das Gefühl, leichter und fitter zu sein, seitdem mein Hauptnahrungsmittel aus Reis besteht. Eine Verjüngungskur am anderen Ende der Welt. Außerdem Gemüse, Chilis, Sojasoße und Essig. Hühnchen und Schwein.
Die Straßen sind ein Abenteuer, nicht nur dass man Hühnern, Hunden und sich sonnenden Kühen ausweichen muss, nein auch Reis und Mais wird auf der Straße getrocknet, so dass oft nur eine Spur befahrbar ist. Dazu kommt, dass je abgelegener es wird, die bergigen Regionen durch die Regenzeit stark von Landslides betroffen sind. Ich bin immer wieder erstaunt und überwältigt von der Flexibilität und Ruhe der Menschen, wie natürlich sie mit diesen unwägbaren Begebenheiten umgehen. Da momentan Regenzeit ist, wird jeden Morgen neu ausgelotet, ob das Dorf, in das wir wollen, überhaupt erreichbar ist. In meiner ersten Woche stürzt das Wasser vom Himmel, man ist sofort nass. Es ist nicht die steife Brise, die ich aus dem Norden kenne, wo der Regen von vorne kommt, nein, es sind Eimer, die über mir ausgeschüttet werden. Es prasselt und rasselt, man sieht nichts und hört nichts mehr… Nur der Regen, der sein Konzert spielt und ein bisschen Abkühlung
für einen bereit hält. Toll.
Zurück zu den Straßen, mit 10 kmh kommen wir nach 2-3 Stunden in den entlegensten Dörfern an,
müssen durch Flüsse, Schlammschichten und steile Hänge hoch und runter, ohne Allrad undenkbar. Uns kommen Gefährte entgegen, wo mir der Mund offen stehen bleibt. Längere Jeeps, vollgepackt bis übers Dach mit Säcken von Reis oder Baumaterial und oben sitzen Menschen drauf, bei den Straßen haben die teilweise so eine Schieflage, dass mir immer wieder das Herz
kurz stehen bleibt.
Als Einstieg gibt es als erstes einen Kaffee, einen sehr süßen Kaffee mit einem kleinen Snack, Sticky Reis in Bananenblättern oder Reiskuchen. Lecker. Die Begrüßungen sind herzlich, egal wo wir hinkommen. Je nach Uhrzeit unserer Ankunft sind schon Patienten da oder sie trudeln langsam erst ein, immer mit einem großen Lächeln im Gesicht. Im Schnitt sehe ich um die 25 Patienten am Tag. Die meisten kommen aufgrund chronischer Erkrankungen. Die Schwierigkeit ist, die akut kranken Patienten heraus zu filtern. Die meisten kommen mit chronischen Schmerzproblemen, Hypertonie, Diabetes mellitus oder auch psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie, einige Epileptiker, die dank der regelmäßigen Medikamente weitestgehend anfallsfrei sind. Der Irrglaube, dass Epilepsie ansteckend ist, hält sich noch hartnäckig in den Dörfern, auch wenn immer mehr Menschen Gegenteiliges erfahren.
Die meisten Dörfer erreichen wir mit dem Auto, einmal mussten wir 30 min. den Berg hoch durch die Reisfelder wandern, um in dem Dorf anzukommen. Beeindruckend war ein weit abgelegenes Dorf. In diesem Dorf leben circa 1000 Menschen, es gibt keinen Empfang, die wichtigen Personen wie die Hebamme oder die Nurse oder die, die es sich leisten können, haben Walkie-Talkies. Die Schwangeren gehen meist einen Monat vor Geburtstermin in die Stadt, um dort ihr Kind auf die Welt zu bringen. Die Haupteinnahmequelle ist der Bergbau. Hauptsächlich werden Gold und Kupfer abgebaut. Eine Arbeit bei absoluter Finsternis und schlechter Luft tief im Berg. Ich habe einen jungen Mann Ende 40 behandelt, der aufgrund seiner Tuberkulose-Erkrankung vor drei Jahren seine Arbeit in der Mine aufgeben musste und sich jetzt Sorgen machte über die Finanzierung der Ausbildung seiner vier Kinder. Es sind immer wieder unglaublich Geschichten und viele Einzelschicksale, die mich sehr berührt haben und mir eine Welt abseits jeglicher mir vorstellbaren Lebensweise gezeigt haben. Es ist ein hartes Leben, das in dieser Form für uns aus einer hoch technisierten materialistischen Zivilisation kommend nicht mehr vorstellbar ist.
Sprechstunden in Kirchen, Decken auf den Böden, damit ich die Menschen untersuchen kann. Dies alles bei einer Affenhitze und immer beobachtet von neugierigen Gesichtern, die sich schnell giggelnd hinter dem Fenster versteckten, wenn sie sich erwischt fühlen. Ich sehe alte fröhliche Menschen, von denen ich ausgehe, dass sie wegen ihrer Schmerzen kommen, weil ich solche rheumatischen Fehlstellungen bislang nur aus dem Lehrbuch kenne, aber stattdessen werde ich angestrahlt und es wird sich über die schlechte Sicht beklagt, das Lesen sei das Problem. Ich habe ein paar akut ernsthaft kranke Menschen gesehen, die ich alle weiter ins Krankenhaus geschickt habe. In der Rolling Clinic haben wir nur begrenzte Möglichkeiten. Es geht hauptsächlich um Primary Health Care, das heißt, die Menschen über die Ursachen von Erkrankungen zu informieren und Medikamente für chronische Erkrankungen bereitzustellen. Die Patienten bekommen für einen Monat Medikamente verschrieben, dann müssen sie wieder kommen. In der Regel sind wir einmal im Monat in den Dörfern. Alles in allem war es eine unglaubliche Erfahrung. Es gab immer wieder Zeiten, in denen ich meine Tür erst nach einer Woche wieder zumachen konnte, um alleine zu sein. Ich schlief in Büros, in Betten von Töchtern, Türen gab es nicht immer.
Ab 6 Uhr wurde in der Küche geklappert, das Frühstück Reis, wurde zubereitet. Meine morgendliche Yoga-Routine führte zu viel Gelächter, aber auch zu neugierigem Nachmachen, was uns allen sehr viel Freude bereitete. Man lebt, isst und schläft gemeinsam auf dem Boden, dem Bett oder auf dem Stuhl. Es ist beeindruckend und berührend. Die einzige Regel, es wird gebetet vor dem Essen, gegessen wird mit der rechten Hand, es werden Schnecken geschlürft und Knochen geknackt. Die Angehörigen werden meist im Garten begraben oder auf der nächsten Anhöhe in den Bergen sind es oft wunderbare Orte mit einer unglaublichen Aussicht, Friedhöfe gibt es fast nicht. Das Leben wird genommen, wie es kommt und dies mit einer Freude und Gelassenheit, die mich immer wieder staunend dastehen lies. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung und kann nur jeden
dazu ermutigen, in welcher Form auch immer, selbst einmal aus der eigenen Komfortzone auszutreten und das Leben neu zu entdecken.
Danke für den Bericht, er mich an meinen Einsatz mit der Rolling clinic in Mindanao erinnert. Auch ich habe beste Erinnerungen, vor Allem wenn sich die Patienten mit einem Augenzwinkern bedanken.
Was für ein wunderbarer Bericht! Die ehrliche Begeisterung sprüht aus jedem Satz, ohne dass es je kitschig wird.