Unser Einsatz in Athi River

Ein Bericht von den German Doctors Dr. Ulrich Höhner, Dr. Eva Bauer und Dr. Veronique Mayer

Wo sind wir hier eigentlich?

Umgebung des Fanaka Health Centre in Athi River ©privat

Athi River liegt ca. 35 km südlich von Nairobi im Distrikt Machakos. Je nach Verkehr braucht man für diese Strecke 1-3 Stunden. Das „Doctorhouse“ liegt in einem gesicherten Compound am Rande von Athi River. Von hier aus erreicht man nach einer kurzen Autofahrt je nach Verkehrsaufkommen nach 10-15 Min das Fanaka Health Centre. Hier wird die ohnehin schon schlechte Straße noch holpriger und der Verkehr zusätzlich durch tierische Verkehrsteilnehmer erschwert.

… und was machen wir hier?

Das Fanaka Health Centre ©privat

Die basismedizinische Versorgung mittelloser Patienten stellt den Schwerpunkt unserer Tätigkeit im Fanaka Health Centre dar. Wir untersuchen und behandeln diese Menschen gemeinsam mit unseren hoch motivierten lokalen Mitarbeitenden kostenlos.

John ist ein Beispiel für viele: Er betritt an einem Dienstagnachmittag mein schlecht belüftetes und viel zu warmes Sprechzimmer. John ist 36 Jahre alt und seit 8 Jahren insulinpflichtiger Diabetiker, d.h. er ist zuckerkrank und benötigt für den Rest seines Lebens täglich mehrere Insulininjektionen, ohne die er ansonsten innerhalb weniger Tage versterben würde. John hatte ein spärliches Einkommen (das monatliche Durchschnittseinkommen im Slum beträgt ca. 60-70 EUR abzüglich Miete, Trinkwasser, Latrine, usw. – da bleibt ansonsten nicht mehr viel übrig) – bis der Corona-Lockdown ihn arbeitslos machte. Nun kann er sich das lebensnotwendige Insulin nicht mehr leisten – Geld für den nationalen Gesundheitsfonds, der die Kosten für sein Insulin übernehmen würde, hat er leider auch nicht.

Unsere Apotheke ©privat

John hat von Nachbarn im Slum von den German Doctors gehört und so steht er nun vor mir und bittet uns um Hilfe, weil er nicht weiß, wie es ansonsten weitergehen soll. Wir untersuchen ihn, besprechen das weitere Vorgehen mit ihm und versorgen ihn vor allem mit dem für ihn so wichtigen Insulin. Er ist glücklich und sagt, dass er jetzt wieder eine Perspektive für seine Zukunft sieht, weil nun zumindest erst mal die akut lebensbedrohliche Situation abgewendet werden konnte. Ohne unsere Hilfe wäre John jetzt vermutlich schon verstorben, einfach so, obwohl ihm eigentlich nichts gefehlt hat – nur sein Insulin.

Wer A sagt… macht ne Fortbildung

Fortbildung im Wartebereich für Patienten ©privat

Eigentlich hatte ich nur eine kurze Bemerkung gemacht, so in die Richtung: „Rheumapatienten könnte man ja auch besser behandeln“. Damit war klar, wer hier die nächste Fortbildung hält und zu welchem Thema. Selten hat man so engagierte und wissbegierige Mitarbeitende erlebt.

Ein Team, das an einem Strang zieht, um sich weiterzuentwickeln. Und so nimmt auch jeder an den wöchentlichen Fortbildungen teil; Übersetzer, Laborpersonal, Pharmazeuten, Clinical Officers unter anderem. Jeder kann aus seinem Erfahrungsfeld etwas zur Weiterentwicklung beitragen, so dass mein Ansatz, eine neue Therapie einzuführen auf fruchtbaren Boden fällt und sofort weiterdiskutiert wird. Geht nicht, gibt’s nicht und so werden wir mit der Zeit immer wieder Verbesserungen erleben können, Dinge, die auch mit einem kleinen Budget hinzubekommen sind.

Außeneinsatz am Fuß der größten Mülldeponie Ostafrikas

Korogocho Slum in Nairobi ©privat

Ein Samstag im Korogocho-Slum. Wir werden hier – zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen vom Baraka Health Centre in Nairobi – am Ende des Tages über 500 Menschen versorgt haben. Wir würden gern noch mehr behandeln, aber mehr schaffen wir einfach nicht – weder physisch noch psychisch. Die meisten Patientinnen und Patienten – darunter sehr viele Kinder – leiden an Krankheiten, die durch die z.T. unmenschlichen Lebensumstände dieser Menschen bedingt sind:

Ambulanz im Jugendzentrum der Ayiera Initiative im Korogocho Slum ©privat

Mangelernährung, Hauterkrankungen (wie z.B. Krätze oder Pilzinfektionen) sowie Lungenerkrankungen (v.a. Asthma aber auch Lungenentzündungen) betreffen oftmals Kinder, aber auch Erwachsene. Und dann sind da noch Tuberkulose, HIV, Geschlechtskrankheiten – oftmals beim selben Patienten.

Wenn ein Armbruch zum Genickbruch werden kann

Eugen sitzt mir gegenüber mit seinem rechten Arm in einer Schlinge. Er ist angespannt und hat offensichtlich Schmerzen – in seiner Hand ein Röntgenbild.
Der Unterarm ist gebrochen – total. Geld für das Röntgenbild hatte er noch – das war es dann auch. Mit Schmerzen hat er bis Montag ausgehalten, bis unsere Ambulanz öffnet. Der Arm wurde ihm gebrochen, als er am Freitag überfallen wurde: Arm gebrochen, Geld weg, was soll noch kommen?

Röntgenbild von Eugens rechtem Unterarm: Die fragmentierten und verschobenen Brüche von sowohl Elle als auch Speiche sind gut zu erkennen ©privat

Er möchte einen Gips, kann ja wohl nicht so schwer sein. Kann es doch: Die Bruchkanten sind derart verschoben, dass ein Gips sie nicht zusammenhalten würde- da würde nichts heilen – der Bruch muss gerichtet und operiert werden.
Das ist zu viel für Eugen, er bricht in Tränen aus. Nochmals besteht er auf einen Gips. Eine Behandlung im Krankenhaus kann er einfach nicht bezahlen, keine Chance. Er will gehen, wenn wir nicht helfen können… Es geht um seinen rechten Arm, es geht nicht nur um ihn, sondern seine ganze Familie.
Und dann das kleine Wunder: Über die Ambulanz in Nairobi gelingt es, eine Gratis-Behandlung für Eugen in einem Krankenhaus zu ergattern. Er kann operiert werden… und plötzlich strahlen wir alle und sind sehr glücklich, nicht nur Eugen, dem ansonsten die finanzielle Situation das Genick gebrochen hätte.

Nachbarschaft

Unsere direkten Nachbarn sollen wir besser nicht besuchen – zu gefährlich sagt man – insbesondere jetzt, wo die Wahlen anstehen.
Begleitet von Sozialarbeiterinnen und -arbeiter ist dann doch auch mal ein Besuch möglich. Es ist schon wichtig, zu sehen, wie die Menschen hier leben, um auch ein besseres Verständnis für Ihre gesundheitlichen Probleme zu haben.

Im benachbarten Slum ©privat

Mental waren wir auf vieles vorbereitet, aber diese Armut in der Realität zu sehen, ist doch erschütternd. Die Menschen leben auf kleinstem Raum, eine Familie auf 9 qm ohne Wasser und Strom. Allerdings haben Handys den Einzug in die Slums geschafft, was unbedingt ein Vorteil ist. Sie werden mit kleinen Solaranlagen aufgeladen und ermöglichen so die Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr. Die Hütten stehen dicht an dicht, es riecht übel, der Müll wird nicht entsorgt, sondern verbrannt. Probleme wie Durchfallerkrankungen, Unterernährung und alle möglichen Hauterkrankungen haben in dieser Wohnsituation ihren Ursprung. Unfassbar für uns, dass auch noch Miete bezahlt werden muss.
Aus der Ambulanz besuchen regelmäßig Sozialarbeiter und Krankenschwestern die Patientinnen und Patienten, die es nicht mehr zu uns schaffen. Sie versorgen diese Patienten nicht nur mit Medizin, sondern auch mit Nahrung – was häufig noch wichtiger ist.

Und was bleibt?

Bei uns bleiben vor allem viele Eindrücke, Schicksale, aber auch die Erfahrung mit einer riesigen Herzlichkeit in ein super funktionierendes Team aufgenommen worden zu sein. Und gerade dies bedingt auf der anderen Seite, dass unsere Vorschläge, unser Wissen und unsere Erfahrung dieses Team prägen und befähigen, Stück für Stück eine noch bessere und professionellere medizinische Versorgung trotz einfacher Gegebenheiten zu leisten und so die Lebensqualität der Menschen im Slum zu verbessern.