Hilfe bei über 40 Grad

Ein Bericht von German Doctors-Einsatzarzt Dr. Norbert Kohl aus den Sundarbans

Dr. Kohl bei der Behandlung eines Kindes

Vom 19.04. -28.04. war ich im neuen, noch im Aufbau befindlichen Projekt der German Doctors in Indien, in der Sundarban-Region, ca. 50km südöstlich von Kalkutta. Das Gebiet gehört zur Provinz West-Bengalen und die ländliche Bevölkerung dort  spricht überwiegend Bengali. Die Gegend ist flach und wasserreich, gehört zum Ganges-Delta und grenzt an Bangladesch, mit dem Indien sich den Naturpark der Sundarbans teilt. Es gibt in der Gegend praktisch keine größeren Städte, sondern im Wesentlichen Dörfer und kleinere Marktflecken. Die Bevölkerung lebt von Fischzucht und Gemüse- und Reisanbau. Daneben arbeiten die Menschen in Ziegelfabriken und im Straßenbau, oft als Tagelöhner, oder sie sind Händler, betreiben kleinere Läden oder arbeiten in Werkstätten.

Wartebereich

Partnerorganisation der German Doctors dort ist die indische Nicht-Regierungs-Organisation ASHA (Association for Social and Humanitarian Action), die sich mit ihrem Projekt ECHO (Empowering Community on Health Orientation) u.a. der Gesundheitsbildung/-aufklärung und -versorgung) in dieser ländlichen Region widmet. Die deutschen Ärzte sind hier quasi Juniorpartner von ASHA und haben einen Teil der Gesundheitsversorgung der dort ansässigen und bedürftigen Bevölkerung übernommen.

Dies geschieht in Ergänzung zur Arbeit staatlicher Stellen und in Kooperation mit indischen Ärzten, die die Hauptverantwortung in dem Projekt tragen. Im Prinzip ist das indische Gesundheitssystem gut strukturiert und organisiert und funktioniert in den oberen Bereichen in der Regel auch gut, in den untersten Etagen dagegen, das sind die ländlichen Gesundheitszentren, ist die Versorgung oft schlecht, z. B. auf Grund mangelnder medizinischer (Medikamente) und personeller Ausstattung, z.T. wohl auf Grund der Entfernung zur bedürftigen Bevölkerung auf dem Land.

Ich kam am 19.04. in Kalkutta ziemlich übermüdet an und wurde von einem Fahrer von ASHA und meiner deutschen Kollegin, die schon 4 Wochen dort war, am Flughafen abgeholt. Dadurch konnte eine erste Einführung in die praktischen Aspekte der Arbeit bereits auf der rund 2 Std. dauernden Fahrt erfolgen, die im Übrigen schon einen ersten Eindruck von Indien vermittelte. Dazu gehörte eine in meinen Augen rasante, aber letztlich doch sichere Fahrweise, ständiges Hupen, um vorausfahrende Motorräder, Fahrräder, Menschen oder Fuhrwerke jeder Art auf sich aufmerksam zu machen, das plötzliche Bremsen für Tiere, die selbstverständlich auch die Straßen bevölkerten, eine schwüle Hitze , die nur unzureichend durch den Fahrtwind gelindert wurde und Menschen über Menschen, viele in bunten Saris oder Sarongs, viele ernst, viele lachend. Die Gegend, wo wir arbeiteten und wohnten, ist sehr ländlich, wasser-reich und grün. Ein Fischteich grenzt an den nächsten (im südlichen Bengalen gibt es mehr als 100.000), dann sind da viele Reisfelder, die in Handarbeit abgeerntet werden, Gemüsefelder, Kokospalmen. An den Flüssen Ziegelfabriken, eine neben den anderen, wie an einer Perlenschnur, wo ganze Familien in der regenfreien Zeit unter einfachsten Bedingungen leben und wirklich hart arbeiten, alles per Hand.

Schulung

Wir selbst waren gut untergebracht, wohnten am Rande eines Resorts, allerdings ohne Klimaanlage, was bei Durchschnittswerten über 40 Grad C. manchmal schwer auszuhalten war, vor allem nachts, umsomehr, als es an manchen Tagen laute Musik vom Hotel bzw. van mehreren hinduistischen Feiertagen 24-Std. lang sehr laute, monotone und in unseren Ohren oft unmelodisch anmutende Live-Gesänge auf den Nachbargrundstücken gab. Das Essen war einfach, aber gesund, überwiegend vegetarisch und wurde uns abends immer in Blechtöpfen gebracht; die Reste nahmen wir dann zum Mittags-Snack am nächsten Tag mit, wenn wir Sprechstunde in den Dörfern hielten.

Morgens wurden wir abgeholt und fuhren dann in einem festen Rhythmus verschiedene Dörfer an, vormittags und nachmittags jeweils unterschiedliche. Dort hielten wir unter einfachsten Bedingungen Sprechstunden ab und an 1-2 Tagen unterrichteten wir in den einzelnen Gemeinden auch freiwillige Gesundheitshelferinnen. Meist dienten alten Schul- oder Versammlungsräumen, meist ohne Mobiliar, manchmal auch Moscheen als Untersuchungs- bzw. Unterrichtsräume. Professionell übersetzt wurde aus Bengali ins Englische und umgekehrt von unseren beiden sehr engagierten Übersetzerinnen. Eine in Pharmazie ausgebildete Krankenschwester, unterstützt von freiwilligen Gesundheitshelferinnen, gab die (für die Bedürftigen kostenlosen) Medikamente aus und klärte über deren Anwendung auf. Außerdem war sie für die Dokumentation (u.a. der Diagnosen) zuständig

Das Gros unserer Patienten war über 50 Jahre alt, weil diese Gruppe als erste, da am bedürftigsten, in der Aufbauphase des Projekts mobilisiert worden war, es kamen zunehmend aber auch Jugendliche, Kinder und jüngere Erwachsene. Neben den chronischen Erkrankungen (in 1. Linie Diabetes mellitus Typ 2 und Bluthoch-druck) gab es, vor allem unter den Älteren, viele Patienten*innen mit Schmerzzuständen, bes. im Bereich der Muskeln, Knochen und Gelenke, daneben viele mit Hauterkrankungen und mit Blutarmut (die Hälfte der Frauen in Indien leidet unter Eisenmangel mit z.T. gravierenden Folgen, inbes. in der Schwangerschaft für die ungeborenen Kinder). Auch Nieren- und Magen-Darm-Erkrankungen kamen häufig vor, ebenso Wurmerkrankungen und Vitamin-Mangel-Zustände. Seltener sahen wir Lungenerkrankungen und Tuberkulose. Malaria ist in Westbengalen nicht endemisch, Dengue kommt saisonal in der Regenzeit vor.
Aber es gab auch Krankheiten wie bei uns, z.B. Morbus Parkinson und Gicht, dort halt schlecht oder gar nicht behandelt. Notfälle sahen wir selten, da diese dann doch meist wohl in die örtlichen Krankenhäuser gehen bzw. zu Hause versterben, weil sie z.B. zu spät erkannt werden. Einmal sah ich einen Jungen, der seit Tagen unter hohem Fieber litt, extrem blass und schwach war. Wir vermuteten Typhus bzw. eine Malaria-Erkrankung und es kostete einige Mühe, die Grossmutter, bei der der Junge meist war, zu überzeugen, dass ihr Enkel dringend in ein Krankenhaus musste.

Überquerung des Flusses

Öfter wurden, wenn wir in diese Richtung fragten, bes. von Frauen häusliche bzw. familiäre Probleme angedeutet, die zu vielfältigen Symptomen, oft Schlafstörungen führten. Hart betroffen waren vor allem alte Menschen, wenn sie ihre/n Ehepartner/in durch Tod oder Trennung verloren hatten und die Kinder weggezogen waren oder sich nicht kümmerten. Eine ältere Frau sahen wir, die nur dank der Mitversorgung durch die Nachbarn überleben konnte, eine andere kam mit einer mittleren Blutdruckkrise zu mir, nachdem sie 200 Rupies ( umgerechnet ca. 2,30 Euro, mehr als ein Tages-Verdienst ) verloren hatte, und eine dritte erlitt in der Sprechstunde einen Weinkrampf, als sie von ihrem (wohl aus politischen Gründen) ermordeten Sohn erzählte. Die medizinische Arbeit war, von den Patientenzahlen und Problemen überschaubar, schien aber im Wachsen begriffen und die Arbeit mit den wirklich bedürftigen Menschen war befriedigend. Auch das Unterrichten der freiwilligen Gesundheitshelferinnen aus und in den Gemeinden hat sehr viel Spaß gemacht, zumal die beiden Übersetzerinnen mit Herz und Seele dabei waren.

Schulung für eine Hilfe, die bleibt

Fast die größte Herausforderung bei diesem Einsatz waren im Grunde die Hitze und der Lärm, wie oben bereits berichtet. Es herrschte zu dieser Zeit eine ungewöhnliche Hitzewelle in ganz Süd- und Südostasien, mit Durchschnittstemperaturen deutlich über 40 Gr.C. und dies war bei den z.T. längeren Autofahrten und nachts in aufgeheizten, nur mit Ventilatoren belüfteten Räumen nicht ganz einfach, nachts umso mehr, als es einige Male fast 24-stündige religiöse Gesänge in maximaler Lautstärke gab. Alles in allem war es für mich wieder einmal eine sinnvolle, befriedigende Zeit, unter ganz anderen Lebensbedingungen, als wir sie hier kennen, was mich erneut geerdet und das Leben hier relativiert hat. Auch wenn es dort manchmal anstrengend war, vermisse ich im Nachhinein das Leben mit seinen Einschränkungen sehr, nicht zuletzt dank meiner beiden deutschen Kolleginnen und unserer total netten und kompetenten Übersetzerinnen und dem gesamten Personal des ASHA-Teams. Ihnen allen gebührt mein Dank. Über Indien und seine immensen Widersprüche ließe sich sehr viel sagen, hier halte ich mich zurück (es gibt genügend Bücher über dieses Thema) und lasse einfach die Bilder sprechen.