Diabetes und Bluthochdruck
Ein Bericht von German Doctors-Einsatzärztin Dr. Barbara Lanyi aus Samar
Samar – auf den ersten Blick traumhafte Landschaften, malerische Dörfer, viele Kinder, freundliche Menschen. Sie arbeiten schwer, hocken vor ihren Hütten oder singen Karaoke mit schnulzigen Liedern von früh bis spät – das Volkshobby der Filipinos.
Was für uns Westler so idyllisch erscheint, ist ein karges Leben – mit Strohhütten, auf die bei Tropenregen das Wasser kübelweise herab prasselt und seinen Weg in die Hütte sucht und sich der Lehmboden davor in braunen Matsch und später in eine riesige, bis zu knietiefe Pfütze verwandelt. Überall hängt Wäsche, die im Fluss oder an den Wasserstellen im Dorf gewaschen wird, meist wird dabei auch die Körperwäsche mit erledigt.
Heiß ist es immer, nachts kaum Abkühlung, am liebsten würde man mehrmals täglich duschen, doch es gibt nur Tonnen, aus denen man Wasser schöpfen und sich damit übergießen kann. Es gilt auch, sechs Wochen ohne funktionierendes WC und Dusche auszuhalten, was man sich in den Dörfern mit teilweise zehn Leuten teilen muss. Mücken, Ameisen und anderes Getier lassen sich durch Insektenspray kaum abhalten und so bin ich übersät mit Stichen, die bei der Hitze noch stärker jucken.
Die Rolling Clinic auf Samar ist ein ganz junges Projekt von German Doctors, was es erst seit 2021 gibt. Jeweils neun Tage sind wir mit den philippinischen Mitarbeitern unterwegs zu abgelegenen Dörfern, mal zwei Stunden im Jeep auf Schotterpisten mit tiefen, schlammgefüllten Löchern, mal im Boot bei strömendem Regen, komplett durchnässt, mit Traktor, mit Motorrad oder bis zu 4,5 km zu Fuß durch den Urwald mit unbefestigten, defekten Brücken, durch Bachläufe, knöcheltiefen Matsch bergauf- und bergab. Auch dabei ist man durch das Schwitzen innerhalb kürzester Zeit komplett durchnässt.
In den Dörfern werden wir herzlich empfangen. Es werden Stühle und Tische aufgebaut, entweder unter überdachten Gemeindehallen oder wenn es die nicht gibt, in Kirchen und Kindergärten.
Kisten werden ausgepackt – Medikamente und für die Patientenregistrierung Blutdruckgerät, Waage, Maßband, Patientenhefte, Urinstix, Blutzuckermessgerät. Bevor die Sprechstunde beginnt, gibt es meist Patientenschulungen von den Rolling Clinic Mitarbeitern in Waray, ihrer Sprache, zu gesunder Ernährung, Diabetes, Bluthochdruck, viralen Infekten und kritischem Einsatz von Antibiotika. Das führt tatsächlich dazu, dass weniger Menschen mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit in die Sprechstunde kommen.
Die häufigsten Beschwerden sind Gelenk- und Rückenschmerzen, die durch die harte Arbeit gut nachvollziehbar sind. Wir versuchen hier präventiv vorzugehen, zeigen Dehnübungen, entlastende Haltungen, empfehlen Massagen mit Tigerbalsam, der vor Ort hergestellt werden kann. Alte Menschen mit sichtbarer Arthrose und Deformitäten erhalten Schmerzmedikamente.
Sodbrennen ist auch sehr häufig, meist in Zusammenhang mit dem Kauen von Betelnuss, vergleichbar mit Kautabak. Schon junge Männer und Frauen konsumieren dieses Genussmittel, was überall an Palmen wächst. Es führt zu Braunverfärbung von Zähnen, Zunge, Mundschleimhaut und kann zu Krebsgeschwüren in diesem Bereich führen. Auch hier ist Aufklärung angesagt.
Diabetes und Bluthochdruck treten auf den Philippinen in einem viel jüngeren Alter auf und die häufigsten Todesursachen ergeben sich aus diesen Erkrankungen. So ist es um so wichtiger, die Diagnose möglichst frühzeitig zu stellen. Es gibt Tage, an denen wir bei bis zu einem Viertel der Patienten diese Erkrankungen als Erstdiagnose feststellen. Sie müssen nun regelmäßig kommen, damit der Blutzucker und die entsprechende Therapie überprüft werden können. Die Medikamente werden für fünf Wochen verschrieben, bis die nächste Rolling Clinic vor Ort ist.
Seit Februar 2023 gibt es ein tragbares Ultraschallgerät – ein Quantensprung bei der Diagnostik vor Ort. So können wir damit Schistosomiasis diagnostizieren, eine auf Samar häufig vorkommende Wurmerkrankung, die zu schweren Leberschäden und lebensbedrohlichen Komplikationen führen kann. Medikamente gegen diese Erkrankung können wir den Betroffenen verabreichen. Mit Hilfe des Ultraschalls haben wir bei Patienten Organabszesse, Harnabflussstörungen, Gallenblasenentzündungen feststellen können, die wir antibiotisch abgedeckt und zur Weiterbehandlung in das nächstgelegene Gesundheitszentrum schicken konnten. Auch bei Schilddrüsenveränderungen, Herzfehlern und Schwangeren konnten wir wichtige Befunde erheben, die man durch Abtasten nicht feststellen kann.
Eine weitere großartige Bereicherung ist ein tragbares Ekg-Gerät. Wir haben Patienten mit typischen Ekg-Veränderungen bei Durchblutungsstörungen des Herzens gesehen und Rhythmusstörungen, denen wir so wichtige Medikamente verschreiben konnten. Im Fall einer 68-jährigen Patientin mit Herzrasen war dies sogar lebensrettend. Sie hatte eine Herzfrequenz von 180/min und anhand des Ekgs konnten wir die Diagnose stellen und sie vor Ort mit ß-Blockern behandeln. Nach 60 Minuten hatte sie dann wieder einen normalen Rhythmus mit 80/min. Hätte das Herzrasen angehalten, hätte sie innerhalb von Stunden eine Herzschwäche mit eventuell tödlichen Folgen entwickelt.
Nicht immer gibt solche Highlights, aber oft sind die German Doctors die ersten und einzigen Ärzte, von denen die Menschen untersucht und behandelt werden, weil der Weg aus den Dörfern zum nächsten staatlichen Gesundheitszentrum zu weit und zu teuer ist. Wir waren in mehreren Gemeinden bei Bürgermeister/innen eingeladen, die uns ausdrücklich gedankt haben, dass wir in diesen weit abgelegenen Gebieten die Menschen aufsuchen, da dies für die wenigen Landärzte, die es in größeren Dörfern gibt, einfach nicht zu schaffen ist. Gelegentlich machen wir auch Hausbesuche, bei denen das Elend dieser Menschen noch eindrücklicher und bedrückender wird und unsere Hilfe zumindest ein Hoffnungsschimmer ist.
Auch in den Dörfern erleben wir viel Dankbarkeit und nach den Sprechstunden gibt es Mittagessen, welches die Dorfbewohner zubereitet haben. Das gleicht einem kulinarischen Abenteuer, denn fast immer werden getrocknete, gekochte, gebratene, frittierte Fische in allen Größen und Variationen mit und ohne Kopf, Schalentiere, Suppen mit zentimeterdicken Speckschwarten, Hühnerkrallen, gegrillter Darm oder uns völlig unbekannte Gemüsesorten und Berge von Reis serviert.
Die philippinischen Mitarbeiter sind eine große Hilfe und die Zusammenarbeit mit ihnen ist ein Schlüssel zum Eintritt in diese uns so unbekannte Lebensweise. Da wir oft tagelang mit dem Team, bestehend aus zwei Übersetzern, einer Apothekenhelferin, einer Köchin und einem Fahrer, die gleichzeitig auch die Patientenregistrierung durchführen und zwei German Doctors unterwegs sind und in den Dörfern übernachten, sind wir wie eine große Familie. Nach getaner Arbeit gibt es gemeinsame Mahlzeiten, Unternehmungen, bei denen erzählt, gelacht, gefeiert und Karaoke gesungen wird.
Für alle ist es eine große Bereicherung – für die Menschen in den entfernten Dörfern, die größtenteils vor Ort medizinisch versorgt werden können und auch für uns German Doctors, die eintauchen dürfen in eine ganz andere, unvorstellbare Welt. Für mich persönlich sind es unvergessliche, wunderbare, intensive Wochen gewesen, die zeigen, dass vieles im Leben auch mit weniger Aufwand erfüllend sein kann.
Die Rolling Clinic, ein Projekt, das erst seit 2021 existiert, zeigt eindrucksvoll, wie Medizin dort ankommt, wo sie am dringendsten benötigt wird. Es ist beeindruckend zu lesen, wie Ärztinnen und Teams sich auf den Weg machen, um abgelegene Dörfer zu erreichen, und das oft unter schwierigen Bedingungen.
Der Einsatz von tragbaren Ultraschall- und EKG-Geräten klingt wie ein Game-Changer für die Diagnostik in diesen Regionen. Mich würde interessieren, wie die Patientinnen auf die moderne Technik reagieren und ob es Herausforderungen bei der Erklärung der Diagnosen gibt?