Armut auf den Reisterrassen von Luzon

Wer geht denn freiwillig spazieren? – Teil 1 des Einsatzberichts von German Doctors-Ärztin Nina Lang aus Luzon

Nachdem ich mich für zwei Wochen auf der traumhaften philippinischen Insel Siargao zum Ankommen und Entspannen befunden hatte, machte ich mich nun mit dem Flugzeug von Manila nach Tuguegarao auf ins Projekt nach Luzon. Dort wurde ich von unserem einheimischen Fahrer Eriz abgeholt, befragte ihn während der Fahrt zu allerlei lokalen Begebenheiten und erfuhr, dass die Region hauptsächlich vom Reis-, Mais- und Zuckerrohranbau lebt. Auch Kaffeepflanzen wachsen überall, womit hervorragender regionaler und organischer Kaffee produziert wird. Ein kleiner Abstrich für mich als Teetrinkerin ist, dass es Tee kaum gibt. Die Fahrt führte uns durch herrliche Berglandschaften und die Reisterrassen von Luzon in das abgelegene Conner, wo unser Ärztehaus liegt.

Team Luzon

Das philippinische Team war sehr nett und freundlich

Empfang im Ärztehaus

Dort wurde ich mit einem tollen Schild „Welcome Dr. Nina Lang“ und von meinen Kolleginnen Heike Lunau (Ärztin) und Elke Althöfer (Pharmazeutin) herzlich empfangen. Es wurde mir ein vorbereitetes Mittagsmahl serviert, bei dem ich erstmals einen Geschmack der lokalen Küche bekommen habe. Es gibt hier eine Vielzahl Gemüsesorten, wie z.B. Farn, Bittermelone (hält was sie verspricht), Erdbirne, Chayote und Bohnen aller Art, die es für mich zu entdecken galt – nicht zuletzt eine reiche Zahl an tropischen Früchten, die einem das Leben versüßen. Ich war erstaunt, dass jeder Mitarbeiter ein eigenes, geräumiges Zimmer hat. Weiterhin wurde ein Raum von Langzeitarzt Gerhard Steinmaier und fleißigen Helfern zu einer hauseigenen Apotheke ausgebaut, welche in zweimonatiger, leidenschaftlicher Arbeit von Elke und ihrer „Pharmacy Assistant“ Maurine bestückt und arbeitsfähig gemacht wurde. Am späten Nachmittag begab ich mit Heike auf einen Sparziergang durch den Ort und konnte erstmals meine neue Umgebung erkunden.

Reisterrassen von Luzon

Die Reisterrassen von Luzon sind eindrücklich

Erste Schritte in neuer Umgebung

Conner ist eine mittelgroße Stadtgemeinde, ca. 25.000 Einwohner, in der wir im Barangay (Gemeinde) Caglayan ansässig sind und die sich in der Nähe der Reisterrassen von Luzon befindet. Wir wohnen zentral auf einem großen Grundstück neben dem sich die Rural Health Unit (RHU – an diese Abkürzungen muss man sich gewöhnen), ein Verwaltungsgebäude, die Town Hall, die Polizei und mehrere leerstehende Häuser befinden, die als potentielles Evakuierungszentrum dienen. Es gibt ein paar Shops in denen man das Nötigste kaufen und sich die Handykarte aufladen lassen kann. Weiterhin gibt es einen Friseur und ein kleines „Terminal“ an dem Tricycle ebenso wie Busse zu größeren Orten abfahren. In unserer Nähe fließt ein breiter Fluss, der wegen der Zufuhr von Abwasser zumindest von uns nicht zum Schwimmen genutzt werden soll, an dem aber oft buntes Treiben der Einheimischen herrscht. Überall trifft man auf aufgeschlossene Einheimische, die sich wundern, warum man freiwillig spazieren geht und Kinder, die einem kichernd nachlaufen. Da Conner etwas höher liegt, gibt es zu dieser Jahreszeit erfreulicherweise wenige Moskitos und auch die Temperaturen sind von kühl bis schwül-warm oft in einem angenehmen und erträglichen Bereich.

Ausbildung einheimischer Helfer

Abends kamen Gerhard und die beiden philippinischen Mitarbeiterinnen Jocelyn und Lovely an, die sich zusammen mit der von hier stammenden Mila um das Primary Health Care-Programm (PHC) kümmern und aus Mindanao mitgekommen sind. Dieses Projekt ist eines der wichtigsten Aufgaben in Luzon: Es handelt sich um ein 33-tägiges Programm, in dem die Barangay Health Workers (BHW) in Themen wie Hygiene, Sanitäranlagen, Vitalzeichen, Zusammenarbeit, Family Planning, Herstellung von pflanzlichen Hustensäften und vielem mehr geschult werden. Diese BHW helfen auch bei unseren Konsultationen und kümmern sich in der Admission um das Ausfüllen der Blue Cards, die Vitalzeichen und Koordinierung der Patienten. Somit sind sie eine große Stütze und während das Projekt voranschreitet, werden sie sich stets weiterentwickeln. Ihr Wissen und ihre Fähigkeiten sollen dann helfen, ihre eigenen Barangays zu gesünderen Wohnplätzen zu machen.

Zimmer auf Luzon

Mein kleines Zimmer für die kommende Zeit

Der erste Patienten-Kontakt

Am Sonntag konnte ich eine Vorstellung des PHC-Programms im Barangay Paco erleben, wo ich einen ersten Blick auf die potentiellen Patienten erhielt, die uns am nächsten Tag erwarten würden. Es war ein gemischtes Publikum von jung bis alt, die sehr interessiert lauschten. Später erhielt ich von Gerhard eine offizielle Einführung in das Projekt und stellte meine brennenden Fragen, die mit Beginn der Arbeit eher noch mehr als weniger wurden. Da es sich um meinen ersten German Doctors-Einsatz handelte, blickte ich gespannt und etwas aufgeregt dem Montag entgegen. Am Abend besuchte uns Jona, unsere liebe Haushälterin und Köchin, deren Vater vor wenigen Tagen einen Schlaganfall erlitten hatte und den sie als „Watcher“, wie hier üblich, ins Krankenhaus begleiten sollte, um sich dort um ihn zu kümmern. Sie schlug vor, dass ihre Nichte Jamella sie zeitweise ersetzen könne um uns zu helfen.

Die Rolling Clinic startet

Die erste Rolling Clinic-Tour beläuft sich aktuell auf zwei statt drei Tage, was für mich als Anfängerin ganz angenehm war. Zunächst gab es einige Komplikationen mit den Nurses/Midwifes, die uns vom DOH (Department of Health) als Mitarbeiter und Übersetzer gestellt werden, von denen aber eine kurzfristig absprang und die andere nicht den lokalen Dialekt sprach. Nach längeren Verhandlungen fand Gerhard zwei Freiwillige, die ihren Job spontan gut gemacht haben. Verspätet kamen wir vor Ort an und es warteten etliche Patienten neugierig auf unsere erste Rolling Clinic. Aufgeteilt auf zwei Räume und immer mit einem Bereich für die Pharmacy und Admission starteten wir in den Tag. Zunächst musste ich mich in den Ablauf, meine Aufgaben und die wenigen diagnostischen Mittel die man vor Ort hat (klinische Untersuchung, U-Stix, RR, Thermometer, Othoskop und Stethoskop) einfinden, bereits nach einem halben Tag war man als Zweier-Team aber relativ gut eingearbeitet und die Sprechstunde ging voran – glücklicherweise hatte ich mit Heike und Gerhard zwei sehr erfahrene Kollegen an meiner Seite, die für meine vielen Fragen immer ein offenes Ohr hatten.

Behandlung

Die Behandlung lassen die Patienten meist klaglos über sich ergehen

Fast wie daheim

Die Patienten unterscheiden sich teils nicht so sehr von den allgemeinmedizinischen Patienten, die ich in meiner letzten Praxis betreut hatte: Rückenschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen, Oberbauchschmerzen und Schwindel stellen häufig genannte Beschwerden dar. Ein langes Farmerleben auf den Reisterrassen von Luzon führt verständlicherweise zu körperlichen Beschwerden und wenn man als Frau – aus Angst vor Toilettenmangel – nur zwei Gläser Wasser am Tag bei Temperaturen um 30 °C trinkt, wundert es nicht, dass der Kreislauf manchmal versagt. Ursachen für Bauchschmerzen können Gastritis (das jüngste Kind mit regelmäßigem Kaffeekonsum, das ich gesehen hatte, war 3 Jahre alt) mit begleitender Anämie, Wurmbefall oder einfach nur Hunger sein. Viele Patienten beklagen Sehstörungen und meist ist die Ursache ein Katarakt – wohin man die Patienten zu Operationen schicken kann, versuchen wir gerade herauszufinden, aber es scheint staatliche „Cataract Vans“ zu geben, die z.B. 1x pro Jahr nach Conner kommen. Von guten Brillen können die meisten sehbeeinträchtigten Menschen hier nur träumen – ein Privileg das ich nun umso mehr zu schätzen weiß…