Einsatz in Jhargram, Westbengalen, Indien
Ein Bericht von German Doctor Dr. Margaret Bautz
Es ist mein 4. Einsatz für die GD und auch dieses Mal in einem weitgehend neuen Projekt, in dem ich vom 27.1. bis 9.3.2024 tätig sein durfte. Mein Kollege und ich waren das 3. „GD-Paar“ in dem Projekt in Jhargram, Westbengalen, Indien.
Nach dem Flug ab Frankfurt nach Kolkata mit Zwischenstopp in Dubai, ging es dann mit dem Auto ca. 5 Stunden weiter nach Kharikamathani, zu unserer Unterkunft. Das Doktor-Haus teilten wir uns mit einigen männlichen Mitarbeitern, die das Büro und einen gemeinsamen Schlafraum im Erdgeschoss nutzten. Wir hatten im 1. Stock je ein eigenes Schlafzimmer mit gemeinsamem Bad und Küche, in der unser Koch täglich leckere Currys zubereitete.
Unser Tagesablauf war weitgehend gleich: morgendlicher Start gegen 8:45 Uhr, Rückkehr gegen 15-17 Uhr. Wir hatten 3 Fahrzeuge zur Verfügung. Das Eine fungierte als Apotheke, das zweite für den Patient:innen- und Staff- Transport, das Dritte für den Transport der Tische, Stühle, Bänke usw., die wir täglich mitbrachten, auf- und abbauten.
Nach einer ca. einstündigen Fahrt in die Dörfer (täglich Wechsel im Rhythmus von 2 Wochen) wurde das mitgebrachte Equipment ausgepackt und in dem zur Verfügung gestellten Gebäude (meist ein Raum einer Schule) aufgebaut.
In der Auf- und Abbauphase hatten wir meist noch genügend Zeit für Spaziergänge durch das Dorf, um zu sehen, wie die Menschen leben und ihren Lebensunterhalt verdienen.
Eine wesentliche Erwerbsquelle ist das Sammeln oder Pflücken der Salblätter von den Salbäumen, die getrocknet und dann zusammengesteckt werden. Anschließend werden sie zu „Geschirr“ weiterverarbeitet. Sie sind der ideale Ersatz für Plastik und somit eine nachhaltige Alternative.
Leider ist das Pflücken der Blätter nicht ungefährlich. Nicht selten stürzen die Menschen dabei von den Bäumen und verletzten sich erheblich. Das Ergebnis von z.B. falsch zusammen gewachsenen Frakturen mit Pseudoarthrosen konnten wir in der Sprechstunde sehen.
Die Arbeit wird außerdem schlecht bezahlt. Für 2000 Blätter bekommen die Arbeiter:innen je nach Angebot und Nachfrage 100 Rupien. (ca. 1 Euro). Die Menschen sind in der Regel sehr offen und erlauben, dass wir sie fotografieren. Auch wir werden oft, meist zusammen mit Familienangehörigen, abgelichtet.
Das Leben für die Menschen ist hart. Es ist oft sehr traurig, die große Armut und die geringe Aussicht auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse zu sehen. Die Kinder haben trotz Schulpflicht (von 6-14 Jahren) wenig Chancen auf eine gute Bildung und einen einträglichen Beruf. Wie anders ist unser Leben in Deutschland, wo uns so viele Möglichkeiten offen stehen.
Die Krankheiten der Patienten sind vielfältig, und dabei oft ähnlich wie bei uns in Europa. Allerdings sind die Ursachen doch sehr unterschiedlich.
Warum haben untergewichtige und mangelernährte Menschen Diabetes? Neben der genetischen Komponente ist vermutlich ein weiterer Risikofaktor die kohlenhydratreiche Ernährung (morgens Reis, mittags Reis, abends Reis). Genauso auffällig ist die hohe Anzahl an Menschen mit hohem Blutdruck.
Viele Menschen leiden durch die schwere Arbeit an multiplen Rücken- und Gelenkschmerzen. Da sie, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, bis ins hohe Alter arbeiten müssen, ist dies speziell bei den älteren Menschen ein großes Thema. Um hier zu helfen, wird inzwischen ein „Sportprogramm“ vor der Sprechstunde angeboten, das von medizinischen Hilfskräften der Partnerorganisation (KJKS) durchgeführt wird und sich immer größerer Beliebtheit erfreut.
Hauterkrankungen, vermutlich auch u.a. durch Pestizide verursacht, spielen ebenfalls eine große Rolle und stellen eine besondere Herausforderung dar: in Deutschland habe ich dieses Ausmaß von u.a. Hautpilzerkrankungen und oder Krätze nie gesehen. Schwerpunkte bilden u.a. auch Tuberkulose und Lepraerkrankungen, die bei uns glücklicherweise nicht mehr vorkommen.
Die Zusammenarbeit mit den indischen Kollegen war sehr kollegial und hilfreich. Die Ärzte sind im Krankenhaus angestellt und konnten somit nur zeitweise die Sprechstunde unterstützen.
Sie gaben uns die Gelegenheit, das hiesige Krankenhaus in Karikamathani zu besuchen. Wir erhielten einen ausführlichen Einblick in die dortigen Verhältnisse und konnten sehen, dass eine Infrastruktur vorhanden war, und die Behandlung, den Möglichkeiten entsprechend, kompetent durchgeführt wurde. Es werden zahlreiche Operationen am grauen Star, mit einer hohen Erfolgsquote, durchgeführt. Die Abteilung wäre sicher im neuen „Krankenhaus-Atlas“ von Herrn Lauterbach positiv erwähnt worden. Trotzdem ist es so manches Mal frustrierend, wenn man diagnostisch oder behandlungstechnisch am Ende ist, und es in Deutschland nun erst richtig losgehen würde.
Auf der anderen Seite werden den Patient:innen Behandlungen geboten, die sie nicht annehmen, da sie sonst für das Geldverdienen ausfallen. Dies ist eine schwierige Situation, da eine stationäre Aufnahme nur mit einer Begleitperson möglich ist, die dann ebenfalls als „Verdiener“ ausfällt.
Aus diesem Grunde konnte z.B. eine alte Patientin mit einem Hb von 3 mg% zur Bluttransfusion nicht stationär aufgenommen werden. Sie hatte keine Begleitperson. Der Sohn musste seiner Arbeit nachgehen und sah die Dringlichkeit nicht ein.
Mir ist bewusst, dass unsere Arbeit hier vor Ort nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Trotzdem ist unsere Arbeit wichtig und hilft dort, wo unsere Hilfe dringend benötig wird. Außerdem, jeder Tropfen höhlt den Stein und Schritt für Schritt verbessern sich die Verhältnisse. Die Weiterbildung der lokalen Gesundheitskräfte ist ebenfalls ein sehr wichtiger Baustein, da somit das Gesundheitssystem in Jhargram nachhaltig gestärkt wird und die Menschen Hilfe erhalten, die bleibt.
Wir müssen uns mit kleinen Schritten begnügen, um das Leben der armen Menschen zu erleichtern und Unterstützung und Hilfe zu leisten. Ich möchte die Arbeit in den Projekten nicht missen, spürte jedoch oft die Ohnmacht, nicht mehr tun zu können.
Obwohl das Projekt erst seit Ende letzten Jahres besteht, funktioniert es wirklich gut. Die Mitarbeiter:innen sind engagiert, hilfsbereit und fleißig. Der Projektleiter ist nicht ständig vor Ort. Wenn er kommt, werden lange Meetings gehalten, die teilweise bis in den späten Abend gehen. Die „Überstunden“ werden von den Mitarbeiter:innen klaglos akzeptiert. Das Personal ist sehr engagiert und hat großes Interesse am Beruf und an einer guten Zusammenarbeit mit den German Doctors. Wir fühlten uns wohl im Team.
Die Wochen verflogen wie immer rasch. Nach vielen Eindrücken und neuen Erfahrungen ging es wieder zurück in die Heimat. Es fällt ein wenig schwer, nach den indischen Erfahrungen den Luxus unserer Verhältnisse zu verarbeiten. Was können diese Menschen dafür, an einem anderen, weniger komfortableren, Ende der Welt geboren zu sein?
Schreiben Sie einen Kommentar