Rückkehr nach Mathare Valley

Ein Bericht von German Doctors-Einsatzärztin Dr. Gabriele Becker-Hassemer aus Nairobi

Dr. Gabriele Becker-Hassemer im Mathare Valley in Nairobi

Mein zweiter Einsatz in Baraka, der Ambulanz der German Doctors in Mathare. Ich war gespannt, voller Erwartungen und Vorfreude. Dieses Jahr schien mir der Slum vertraut, am ersten Morgen auf dem Weg zum German Doctors Centre in Mathare,  bereits die bekannten Läden: Gas wird verkauft, Mandasi und Chiapati werden gebacken und Kleider genäht. Die Motorräder stehen schon bereit als Transportmittel für die Bewohner. In der Regenzeit ist auch die Hauptstraße matschig. Morgens um kurz vor 8 herrscht schon riesige Geschäftigkeit, jeder hat eine Aufgabe, einen Weg zurückzulegen.

Unsere German Doctors-Ambulanz Baraka im Slum von Nairobi

Vor dem Eingang der Ambulanz sitzen oder stehen schon Wartende jeden Alters, besonders viele Frauen mit Kindern und Säuglingen. Alle in bunten Tüchern, viele in Daunenjacken und Wollmützen. Letztere scheinen besonders beliebt zu sein. Mit 20 Grad Temperatur ist hier „Winter“, man bekommt Schnupfen, Erkältungskrankheiten aber auch Pneumonien. Masken müssen beim Eintritt in den Ambulanzhof getragen werden. Hier beginnt die Registrierung und „Triage“, besonders akute Fälle werden vorgezogen und gekennzeichnet und entsprechenden Ärzten zugeteilt. Besonders häufig sind Notfälle bei Kleinkindern, schwere Dehydrationen und Lungenentzündungen wie ich von meiner Kollegin Ayesha erfahren konnte. Ein neues Computersystem erleichtert die Zuordnung übersichtlich.

Mein erster Tag beginnt mit der montäglichen Frühbesprechung durch CO Ruth und Dr. Janet, eine nette Begrüßung, Wiedererkennen und Einführung in das PC System durch David. Diesmal bin ich Jane Rose, der Übersetzerin zugeteilt, langjährig erfahren in jeder Hinsicht. Sie kann anhand der Namen der Patienten auf deren Herkunft, z.B. ob sie aus einem Malariagebiet kommen oder ob eine Neigung zu besonderen Erkrankungen, wie Sichelzellanämie oder Diabetes besteht, schließen.

Auch kennt sie die sozialen Verhältnisse und macht Vorschläge zum „Counselling“, einer speziellen Sprechstunde in Baraka, die besonders Frauen, die missbraucht oder misshandelt wurden, Hilfe leistet.

Essensausgabe in unserem Ernährungszentrum

Meine erste Patientin hat Fieber, Gliederschmerzen, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen und fühlt sich schlecht. Sie ist im 5. Monat schwanger. Schnell war klar, dass sie in ein Malariagebiet gereist war. Sie hatte sich auch schon in einer Apotheke Malariatabletten besorgt und seit einem Tag mit der Therapie begonnen.

Glücklicherweise zeigte sich eine normale Schwangerschaft im Ultraschall mit sich bewegendem Baby und normalen Herztönen. Der Mutter ging es dagegen recht schlecht, niedriger Blutdruck und hoher Puls. Sie musste infundiert werden und hat unter der Regie des Pflegers Calisto im Emergency Room Schmerzmittel und Antimalariamedikation intravenös bekommen. Nach ca. 3 Stunden war sie wohlauf, schmerzfrei und konnte wieder lachen. Dies war ein tolles Erlebnis für mich, wirkungsvoll einzugreifen und Schlimmes verhindern. Jeder Einzelne zählt, ich finde das wunderbar.

Sprechstunde bei Dr. Gabby 🙂

Berührt hat mich eine junge Frau: 26 Jahre, vor 4 Wochen Geburt eines kleinen Mädchens, die mit heftiger Atemnot notfallmäßig vor mir saß, mit angstvoll weiten Augen und schneller schwerer Atmung. Die Atemnot war nach der Geburt aufgetreten. Sie hat schnellen Puls und alles wird schlimmer, wenn sie stillt.

Schon bei der Untersuchung ist ein lautes Herzgeräusch aufgefallen und sie hat geringe Wassereinlagerungen in beiden Unterschenkeln. Zum Glück gibt es in Baraka ein leistungsstarkes Ultraschallgerät, mit dem neben dem Bauch und der Schilddrüse auch das Herz untersucht werden kann. Somit konnte die Ursache rasch gefunden werden: ein kombinierter Mitralherzklappenfehler! Mit vorsichtiger Medikation ging es ihr in den nächsten Tagen besser, aber Stillen war immer noch sehr anstrengend. Sie ist immer mit ihrem Mann gekommen, der sich liebevoll um sie und das Kind gekümmert hat. Häufig kommen Frauen allein.

Letztlich mussten wir ihr vom Stillen abraten, auch wegen der Medikation. Die Röntgenuntersuchung der Lunge und des Herzens hat schließlich den Verdacht bestätigt. Eine kardiologische Untersuchung mit EKG etc. ist in Nairobi möglich, muss aber von den Patienten mit ca. 4500 KSH selbst gezahlt werden. Solch eine Untersuchung wäre die Basis für die Entscheidung ob ein Herzklappenersatz durchgeführt werden kann! Ein langer steiniger Weg in einem Land mit schwierigem Zugang zur medizinischen Versorgung.

Hauptaufgabe in Baraka und für Mathare ist die Behandlung von HIV und Tuberkulose, welche beide in hoher Prävalenz auch kombiniert vorkommen. Seit die antiretrovirale Therapie für alle im Rahmen eines staatlichen Programms verfügbar ist, können viele Menschen viruskontrolliert ein Leben frei von opportunistischen Infektionen leben. Ich habe Frauen gesehen, die seit über 10 Jahren antiretroviral behandelt werden und immer wieder einer Beschäftigung nachgehen und Kinder geboren haben. Diese Medikation wird in Baraka vergeben und kontrolliert, einige schwerkranke Patienten mit opportunistischen Infektionen müssen auch direkt aufgesucht werden, in ihrer Hütte, häufig einsam, von Nachbarn oder wenn möglich Angehörigen versorgt, in extremer Armut. Hier spenden die Social worker Trost, suchen und gewähren Unterstützung.

Teamwork

Wenn eine junge Frau, sehr schlank, blass und hustend vor mir sitzt kommt schnell eine Verdachtsdiagnose: Nachtschweiß, Appetitlosigkeit, Gewichtsverlust und Husten sind Zeichen einer Tuberkulose! Manchmal findet sich im Haushalt ein Mitglied welches ebenfalls an TB leidet. TB, die Erkrankung der Armen, enge Wohnverhältnisse, wenig Licht in den Hütten, Feuchtigkeit, unhygienische Verhältnisse und Mangelernährung! Ein weiterer Nährboden ist Immuninkompetenz bei HIV.

Mit wenigen Methoden: Sonographie der Lunge, Labor und Untersuchung des Auswurfs auf säurefeste Stäbchen kann die Verdachtsdiagnose bestätigt und die Patientin der sofortigen Therapie im Tuberkulosecenter Baraka zugeführt werden. Hier besteht eine auffangende Struktur. Zusätzlich kann bzgl. der Ernährung geholfen werden: Im angegliederten Ernährungszentrum können Hilfsbedürftige und Mangel-unterernährte regelmäßig Mahlzeiten bekommen.

Die German Doctors leisten in Nairobi langjährige Basisgesundheitsversorgung mit einem kompetenten einheimischen Team. Während meines Aufenthaltes sind mir auch immer wieder außerhalb von Mathare Menschen begegnet, die uns kennen und über gute Erfahrungen selbst oder in ihrem Umfeld berichteten.  Vor allem Kinderschutz, Hilfe bei Missbrauch, Gebärmutterhalskrebsvorsorge, Schwangerenvorsorge sowie Ernährungsschulung und -support sind etabliert und werden wahrgenommen.

Ich kann mich glücklich schätzen, hier teilhaben zu können, in einem gewachsenen Team zusammenzuarbeiten und so meine Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen.