Ein Montag in Baraka

Ein Bericht von German Doctors-Einsatzärztin Dr. Ayesha Sattar

Dr. Ayesha Sattar führt einen Ultraschall durch

Ein normaler Montag in der Kinderambulanz der German Doctors, Baraka Health Center Mathare, Nairobi:

7:30 Uhr

Charles, der Fahrer ist da und bringt uns in die Slums von Mathare. Ich schaue aus dem Fenster. Was mich heute wohl erwartet? In Gedanken sehe ich schon die vielen Patienten wartend vor dem großen Tor unserer Ambulanz. Auf dem Weg ziehen unzählige Menschen mit Karren voll beladen mit Kohl, hupende Motorräder, Matatus ( Kleinbusse) und lärmende Kinder an uns vorbei. Vor den Hütten werden Chapatis, Fladenbrote gebacken. Das Gemisch der Gerüche dringt durch das leicht geöffnete Fenster in unseren Van. Ich überlege, ob es gut riecht oder schlecht. Vorne unterhält sich der Kollege mit Charles über die anstehenden Wahlen.

 

Warten auf die Behandlung

8:00 Uhr

Ich bahne mir den Weg durch die Massen an wartenden Patienten vorbei an meinen Arbeitsplatz für 6 Wochen, ein kleines Sprechzimmer mit dem großen Teddybären an der Tür und ein Tierplakat, die Kennzeichnung des Kindersprechzimmers. Edna, meine rechte Hand, Übersetzerin und Assistentin, ist schon da und hat die Kinder schon gesichtet. Sie macht sich eine Liste der Namen und notiert, wer zuerst dran kommen muss. „Urgent“ leuchtet gleich der erste Fall auf unserem neuen Computersystem, ein typischer Montagmorgen-Fall. Ein kleiner Säugling ist dehydriert, ausgetrocknet durch tagelangen Durchfall und Erbrechen. Er ist bewusstlos und reagiert nicht mehr, Puls und Blutdruck sind schwach. Wir bringen ihn in den Emergency Room. Geübte Hände der Healthworker legen einen venösen Zugang und rein mit der Flüssigkeit, Glück gehabt, dieses Mal. Manchmal konnten wir keine Vene mehr finden und legten eine Kanüle in den Unterschenkelknochen, in der Not geht vieles, hauptsache Flüssigkeit geht irgendwo rein.

 

8:30 Uhr

Wir arbeiten die Liste ab, unzählige Kinder mit Hautinfektionen, Pilz-und Wurmbefall, Bronchitis und Lungenentzündungen. Alte eiternde Wunden, Verbrennungen. Ich ordne Inhalationen, Verbände und Wundbehandlungen an. Ein Dreijähriger kommt mit hohem Fieber, apathisch. Ich bin alarmiert und hake nach. Ja, die Familie war upcountry, ausserhalb Nairobis im Malariagebiet. Umgehend machen wir im Labor den Blutausstrich und es bestätigt sich Malaria. Wir können dem Kind rasch helfen, die erste Dosis des Malariamittels bekommt es als Infusion. Eine Mutter stellt ihr einjähriges Kind vor, es habe krumme Beine. Mir fällt auf, dass das Kind auch sehr untergewichtig ist. Eine ausführliche Ernährungsanamnese ist nicht notwendig. Meistens ist einfach keine Nahrung da, es gibt einmal am Tag Ugali, Maisbrei. Schwere Unterernährung mit Eiweißmangel, Rachitis und Vitamin D Mangel schreibe ich in den Computer. Wir können Hilfe anbieten. German Doctors betreibt neben der Ambulanz das sogenannte Nutrition Center(Ernährungszentrum), wo die Familien eine ausgewogene Mahlzeit am Tag erhalten, Kochlektionen erhalten und natürlich auch Vitamin D bekommen. Für Säuglinge und Kleinkinder gibt es hier „Plumpy Nut“ eine nahrhafte Erdnusspaste.

 

10:00 Uhr

Teamarbeit

Kurze Verschnaufpause. Wir bekommen eine Tasse Tee. Zeit für ein paar Worte mit Edna. Wie war dein Wochenende? Hast du dich erholt? Manchmal essen wir ein Mandazi, das wir auf der Straße gekauft haben, ein frittiertes Gebäck, das einem Krapfen ähnelt.

 

10:20 Uhr

Weiter gehts. Es kommt ein 7-jähriges Mädchen, das über Husten seit vier Wochen klagt. Die Mutter berichtet über einen Tuberkulosefall in der Familie, zudem sei sie, die Mutter, „on care“, d.h. HIV positiv und unter Therapie. Ich lasse mein Stethoskop über den Brustkorb des Mädchens gleiten und höre deutliche Geräusche auf der Lunge. Ich verordne ein Antibiotikum und veranlasse ein Röntgenbild. Am nächsten Tag soll sich der Tuberkulose Verdacht bestätigen. Wir bringen die Familie zum TB Desk nebenan, dort findet das staatliche Tuberkulose und auch HIV Therapieprogramm statt. Bis 13 Uhr sehen wir noch viele Kinder mit Durchfall. Einige erhalten eine Infusion, anderen verabreichen wir ORS, eine Trinklösung, die wir den Kindern als „Limonade“ anpreisen und tatsächlich eine orange Farbe hat. Etliche Verordnungen von Fiebermedikamenten, Salben, Entwurmungsmitteln und Antibiotika werden von der Pharmacy ausgegeben. Ich muss mich daran gewöhnen, eine Anzahl von Tabletten für gezählte Tage zu verordnen und nicht wie bei uns ganze Packungen.

 

Ein junger Patient

13:00 Uhr

Mittagspause. Ich treffe die Kollegen im Speisesaal. Wir essen Sandwiches oder „Leftovers“ und trinken Tee. Gelegenheit zum Fallaustausch und zur gegenseitigen Beratung. Auch kurze Zeit für aufmunternde Worte und Hilfsangebote, wenn einer von uns noch in Arbeit schwimmt.  Verlässliches Teamwork, das ich schätzen gelernt habe.

 

14:00 Uhr

Ein Zehnjähriger hat Bauchschmerzen. Es ist nichts zu finden, alle Laborwerte sind normal. Ich mache einen Ultraschall und atme auf – keine Auffälligkeiten. Ich kann die Mutter beruhigen und bin erleichtert. Auch hier gibt es mal harmlose Bauchschmerzen. Ich denke kurz an die Praxis zu Hause. Ultraschall ist ein Segen hier. Mit dem einheimischem Personal schallen wir alles, auch Knochenbrüche, Lymphknoten, Hauttumore und die Lunge. Was für ein Segen, ein gutes Gerät zu besitzen. Später kommt eine schwangere sehr junge Mutter. Sie fragt ob wir nachsehen können, ob es dem Ungeborenen gut gehe und ob es gedeihe. Edna und ich machen den pränatalen Ultraschall, messen den Kopfumfang und die Oberschenkellänge, berechnen die Schwangerschaftswoche und beglückwünschen die werdende Mutter. Alles in Ordnung. Ich bin Kinderärztin, sage ich lachend zu Edna, und nicht Gynäkologin. Ist doch ein Kind, meint sie lachend zurück. Ich frage mich, ob sie die Mutter oder das Ungeborene meint.

 

Bei der Behandlung

16:00 Uhr

Das Wartezimmer leert sich. Die letzten Patienten, die sich um 7 Uhr bereits angemeldet haben, sind behandelt. Der Säugling aus dem Emergency Room ist wach und trinkt bei seiner Mutter an der Brust. Er trinkt wieder gut, sage ich. Andere Kinder haben brav ihr ORS getrunken und dürfen nach Hause. Bevor ich den Computer ausschalte, überfliege ich unsere Tagesbilanz. Ich habe heute 47 Patienten gesehen, 61 Diagnosen eingegeben, 134 Medikamente verordnet. Kein Kind ist gestorben. Heute nicht.