Einsatz nach langer Pause
Ein Bericht von German Doctors-Einsatzarzt Dr. Christoph Kammeyer aus Dhaka
Nach 2 Jahren Pause aufgrund der Coronapandemie können mein Kollege Jörg und ich die Arbeit der German Doctors im Projekt Savar (nördlich von Dhaka) fortsetzen. Das Projekt wird von der Caritas Bangladesch organisiert und dem Projektleiter Gilbert und seinem Team ist es trotz der Coronapandemie in den letzten 2 Jahren gelungen, das Projekt weiterzuentwickeln. Ca. 70-100 Patienten suchen pro Tag eine der drei Ambulanzen (Jamgora, Vahail und Zirabo) auf, um uns ihre Beschwerden zu schildern.
Diese sind extrem heterogen: Viele chronisch kranke Patienten mit Diabetes und Bluthochdruck, Hauterkrankungen, vaginaler Ausfluss, Infektionserkrankungen, Schilddrüsenerkrankungen. Eine 38-jährige Frau berichtet weinend von ihrem unerfüllten Kinderwunsch, ihr Mann hat sie daraufhin verlassen. Ein 3-jähriger Junge, ein ehemaliges Frühgeborenes, hat eine Lungenentzündung. Ein 2-jähriger Junge mit Trisomie 21 strahlt mich an, aber ich frage mich, wie sein Leben in dieser von Armut geprägten Gesellschaft in Zukunft wohl aussehen wird.
Ein junger Mann, der als Tagelöhner hart arbeitet, kommt mit starken Rückenschmerzen, wahrscheinlich einem Bandscheibenvorfall. Er fragt nach Schmerzmitteln, nicht zur Arbeit gehen kommt für ihn nicht infrage, schließlich muss er am nächsten Tag etwas essen. Auch viele Hauterkrankungen, insbesondere Pilzerkrankungen, werden behandelt und ich bin froh, mit Jörg einen erfahrenen Dermatologen und Tropenmediziner an meiner Seite zu haben.
Aber wie auch in Deutschland haben nicht alle Patienten greifbare Erkrankungen: Eine alte Frau kommt mit „allgemeiner Schwäche“ seit 8 Jahren, Ganzkörperschmerzen und Brennen am gesamten Körper, sie und viele Patienten können nur symptomatisch behandelt werden.
Auch Schwangere sind regelmäßig unter den Patienten, das Projekt beinhaltet eine recht gute Schwangerschaftsvorsorge: Mit Feststellung der Schwangerschaft werden die Patientinnen zum Ultraschall und zur Blutabnahme geschickt. Während der Schwangerschaft kommen die Patienten dann regelmäßig zur Vorsorge, es wird Blutdruck gemessen, nach Symptomen eines Schwangerschaftsdiabetes oder einer Zystitis gefragt und Eisen und Folsäure ausgegeben. Um die 35. Schwangerschaftswoche werden die Schwangeren dann ins Krankenhaus geschickt, um die Entbindung zu planen, wir ermutigen jede Schwangere im Krankenhaus zu entbinden und viele geben an unserem Rat folgen zu wollen.
Die Lebensqualität der Menschen hier ist extrem schlecht, die Straßen sind verdreckt, vermüllt, überfüllt mit Rickschas, Autos und Bussen oder überschwemmt, da es kein funktionierendes Abwassersystem gibt, die Elektrizität fällt immer wieder aus bzw. wird rationiert, es ist extrem schwül und das ganze Leben hier wirkt improvisiert. Dennoch sind viele Menschen fröhlich und tragen ein Lächeln auf den Lippen, während sie geduldig auf die Behandlung warten.
Wir behandeln auch einige Textilarbeiter:innen, sie verdienen zwischen 3 und 5 Euro pro Tag für ihre harte Arbeit. Auf eine Stelle in einer der Textilfabriken kommen 500 Bewerbungen, sagt man mir. Die Menschen sind froh, diese Arbeit zu haben und können ihre Kinder ernähren und zumindest einige Jahre in die Schule schicken – wir sehen auch wiederum kaum schwer mangelernährte Kinder bei unserer Arbeit, sollten wir in Deutschland also weiter Kleidung Made in Bangladesh kaufen, um die Lebensgrundlage von Millionen von Männern und Frauen dort zu erhalten?
Nach der Arbeit spielen wir in einem Laden neben unserer Unterkunft „Carrom“, eine Art Billard. Der Ladenbesitzer, der selbst schon als Patient bei uns war, ist stolz, mir das in Bangladesch beliebte Spiel zeigen zu können, die fällige Gebühr von umgerechnet 10 Cent lehnt er konsequent ab.
Am Ende des Einsatzes bleiben eine große Sorge um die Zukunft dieser Menschen, die immer häufiger aufgrund von Überschwemmungen und finanzieller Not ihr Dorf verlassen, um in den bereits völlig überfüllten Städten überleben zu können, gleichzeitig auch Respekt für die Stärke dieser Menschen, die so ein entbehrungsreiches Leben unter so widrigen Umständen führen und zuletzt die Hoffnung, wenigstens ein wenig Leid gelindert zu haben. Ich möchte mich bei der Firma Dahlhausen bedanken, die mir für den Einsatz kostenfrei ein Ultraschallgerät geliehen haben.
Trotz der offensichtlichen Herausforderungen, die Dr. Kammeyer und sein Team in Bangladesch erleben, ist es bemerkenswert, wie positiv sie bleiben und wie sie sich auf die Verbesserung der Lebensqualität ihrer Patienten konzentrieren. Der Respekt und die Hoffnung, die sie für die Menschen empfinden, trotz der widrigen Umstände, in denen sie leben, ist wirklich inspirierend.
Es ist eine wichtige Erinnerung daran, wie wertvoll Gesundheitsversorgung ist und wie sehr sie überall auf der Welt benötigt wird. Wie schaffen es die Ärzte, in solch einer Umgebung optimistisch zu bleiben, und was können wir von ihrer Resilienz lernen?