Die Dürre macht sich bemerkbar
Ein Bericht von Einsatzarzt Dr. Friedemann Egender aus unserer Slumambulanz in Athi River:
Der süßliche Geruch nach Lindenblüte steigt mir in die Nase, während mich Schweißtropfen zwischen den Schulterblättern kitzeln. Ich denke, warum darf ich hier in diesem Land einen Elefanten adoptieren, aber keinen anderen Mann lieben. Das Bein unter mir zuckt und ich spritze Betäubung nach. Seit einem Monat hat Andreas einen offenen Knöchel. Gestern ist er in ein benachbartes Krankenhaus gegangen und hat verschiedene Antibiotika bekommen. Eines hilft gut gegen blutigen Durchfall. Den habe er nicht, versichert er meiner Übersetzerin Jaqueline, während ich seine enormen Krampfadern betrachte. Die tote Haut um die infizierte Wunde müssen wir wegschneiden, habe ich ihm gesagt; er hat genickt und das hat er jetzt davon.
Auch in Athi River zeigen sich Auswirkungen des Klimawandels
Seit über drei Wochen arbeite ich als German Doctor im Fanaka Medical Health Center, am Rande des Kanaani-Townships von Athi River in Kenia, einem Ort an der Hauptstraße von Nairobi nach Mombasa, und die Regenzeit hat begonnen. Ein paar Minuten täglich treibt das Wasser tiefe Furchen in die sandigen Straßen, bevor der Boden wie eine durstige Ziege alles wegsäuft und die Region um den gleichnamigen Fluss wieder im Staub versinkt. Der Athi versorgt auf seinem Weg Richtung Indischen Ozean unzählige Plantagen. Eigentlich. Denn in den letzten Jahren lässt ihn der Klimawandel pendeln zwischen reißendem Strom und dürrem Rinnsal. Statt Bananen und Süßkartoffeln bedeutet das zunehmende Mangelernährung und Infektionskrankheiten für die Menschen.
60.000 Menschen leben im Umkreis der Ambulanz – die meisten ohne Krankenversicherung
Andreas bedankt sich höflich und humpelt aus dem Zimmer. Er ist Anfang 30. Wir werden uns jetzt häufiger sehen. Der Wartesaal ist voller Menschen. 130 Behandlungen werden wir heute durchführen. Etwa 60.000 Personen leben hier in der Region, der Großteil davon ohne Krankenversicherung. Ohne den pandemiebedingten Lockdown wäre hier mehr los, wird mir gesagt. „Passt schon“, antworte ich. Unser Labortechniker Akal erklärt, seitdem niemand mehr weit reisen darf, ist Malaria hier seltener geworden. Fieber und Gelenkschmerzen sind geblieben, dazu gibt es jetzt Husten und Geschmacksverlust. Ich denke an mein letztes Jahr auf der Intensivstation. Schade um die Tropenmedizin, aber Corona kenne ich wenigstens. Bis jetzt.
Covid-19- Erkrankte gibt es auch hier
Chris, unser Wachmann, bringt einen älteren Herrn und seine Familie in den Behandlungsraum. Seit 2 Wochen gehe es ihm schlecht, Fieber, Husten und jetzt falle ihm das Atmen schwer. Gut, dass wir heute Morgen noch das undichte Ventil an der Sauerstoffflasche geklebt haben, denke ich, während mein Stethoskop über seine rasselnde Brust gleitet. Na dann mal los: Arterie, Highflow, einmal Komplettlabor und dann ab ins CT. Wie lange er denn Sauerstoff bekommen soll, holt mich eine Stimme ins Hier zurück, weil ganz voll sei die Flasche ja nicht mehr. Die Sauerstoffsättigung auf der kleinen Maschine an seinem Finger zeigt jetzt immerhin schon 92 Prozent an. Muss reichen. Für was eigentlich?
Motorrad statt Krankenwagen
Ambulanzautos trifft man hier in der Ecke eher selten und das nächste große Krankenhaus ist eine Stunde entfernt. Außerdem ist es fraglich, ob sie ihn dort aufnehmen ohne Versicherung und Geld. „Die fahren ihn selbst“, sagt mir Schwester Irene nach einem kurzen Austausch mit der Familie. Auf dem Motorrad. Hinter dem Fahrer und ein Dritter klemmt ihn dann vor sich ein. „Ganz gute Idee eigentlich für die Frischluftzirkulation“, denke ich und verabreiche ihm noch zwei Sprühstöße Kortison. Ob ich noch ein Antibiotikum gegen die Pneumonie mitgeben möchte? Ich nicke. Die Familie soll dann versuchen, später den Kontakt zu anderen Personen auf ein Minimum zu reduzieren, will ich noch sagen. Aber da schlängelt sich das Motorrad schon durch das rege Menschentreiben und verschwindet im Wellblechdschungel.
Hilfe, die bleibt!
Während ich zurückgehe, frage ich mich, ob Covid-19 jetzt mehr Armut oder doch Armut mehr Covid-19 begünstigt. Nächstes Wochenende werden wir in einen der unzähligen Nationalparks fahren und einen Artenreichtum erleben, der vielen Einwohnern hier verwehrt bleibt. Auf das schlechte Gewissen trinke ich einen Kaffee und lasse mich von meinen kenianischen Kolleginnen beruhigen: Tourismus sei sehr wertvoll für ihr Land. Ich finde es wertvoll, dass das Team hier unter Pandemiebedingungen seit einem Jahr eine medizinische Grundversorgung bietet. Der Respekt füreinander und die Anerkennung eines jeden Arbeitsbereichs hat Vorbildfunktion für so manche Klinikstruktur vor Ort, aber auch in Deutschland. Und wenn Entwicklungshilfe oft zurecht dafür kritisiert wird, Abhängigkeiten zu schaffen, gelingt es hier in Athi River das Selbstbewusstsein der Menschen zu stärken, indem ihnen Verantwortung übertragen wird. Seit Beginn des Projekts sind über 300 chronisch Erkrankte identifiziert und in langfristige Behandlungskonzepte integriert worden. Und wenn wir am Ende unseres fachlichen und kulturellen Austauschs wieder abreisen müssen, ist das die Hilfe, die bleibt.
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