Improvisieren im Slum
Ein Bericht von Einsatzarzt Dr. Konrad Freiwald aus Nairobi
Nach drei Jahren ist es mir endlich wieder gelungen, einen Einsatz mit den German Doctors in Nairobi zu leisten. Es ist nunmehr mein fünfter Einsatz, immer im Abstand von mehreren Jahren, sodass ich die Entwicklung des Projekts von Anfang an verfolgen konnte. Es ist weiterhin gut organisiert und strukturiert. Unsere Langzeitärztin Yvonne aus der Schweiz ist sehr engagiert und hat einige Verbesserungen erreicht. Beispielsweise die Triage der Patienten durch eine speziell geschulte Nurse, sodass akute Notfälle sofort behandelt werden und die übrigen Patienten zügig auf die verschiedenen Fachrichtungen Pädiatrie, Innere, Gynäkologie und Chirurgie verteilt werden. Wartezeiten können so vermieden werden.
Der chirurgische Arbeitstag beginnt mit der Sichtung akuter Verletzungen. Patienten mit Frakturverdacht werden zum Röntgen geschickt oder einer Ultraschalldiagnostik zugeführt. Auch das ist ein Fortschritt, dass jetzt auch Möglichkeit zur Ultraschalldiagnostik von Frakturen besteht, wodurch zeitliche Verzögerungen in der Behandlung und auch die Kosten einer sonst notwendigen Röntgenuntersuchung gespart werden. Es folgen dann eher orthopädische Fälle mit Nacken-, Rücken-, Fußschmerzen. Auch Impingementsyndrome der Schultern und Epicondylitis sind häufig. Die Nacken- und Rückenschmerzen sind vielfach überlastungsbedingt, kein Wunder, wenn man Menschen sieht, die solche schweren Holzbündel über viele Kilometer auf dem Rücken schleppen. Betrachtet man dann noch das Schuhwerk, so erklären sich auch die Fußschmerzen.
Die therapeutischen Möglichkeiten sind indes begrenzt. Man kann den Patienten Übungen zur Dehnung und Kräftigung der Muskulatur zeigen und praktisch mit ihnen üben. Dennoch werden in dem einen oder andern Fall „painkiller“ in Form von Paracetamol oder Ibuprofen unumgänglich sein. Im Dressing room geht es dann weiter mit Wundversorgungen, Verbandswechseln, Gipskontrollen, Anlegen von Gipsverbänden u.a. Es gibt immer wieder Verbrennungswunden gerade auch bei Kindern. Die Verbandswechsel sind meist sehr schmerzhaft und erfordern sehr viel Geduld und Einfühlungsvermögen der nurses. Und Everlyne, die Ambulanzschwester aus dem Stamm der Kikuyu, die R und L verwechseln, antwortet auf meine Anordnungen mit „all light, Daktali“.
Viele infizierte Wunden gilt es zu behandeln, eitrige Fingerinfektionen und Abszesse, die eröffnet werden müssen. Diese Krankheitsbilder spiegeln natürlich auch die schlimmen Lebensbedingungen der Patienten im Slum wieder. Die schlechten hygienischen Bedingungen begünstigen das Entstehen solcher Infektionen und das Kochen in den engen und dunklen Hütten führt zwangsläufig zu Verbrennungsverletzungen durch heißes Wasser oder Öl gerade bei Kindern. Nicht selten kommen Patienten erst spät zu einer Behandlung wie beispielsweise dieser Junge, den seine Mutter gebracht hat, nachdem er etwa sechs Wochen nach einem Sturz immer noch nicht laufen konnte. Es fand sich ein Oberschenkelbruch, den wir mit einem Becken-Beingips versorgt haben. Am Ende meiner Zeit konnte er dann wieder auf eigenen Füßen, noch etwas unsicher, stehen und gehen.
Trotz begrenzter Ressourcen gelingt es gerade auch in der Frakturbehandlung gute Behandlungsergebnisse zu erzielen, wie das Beispiel dieser Patientin mit einem Oberarmschaftbruch zeigt, den wir mit einem selbst „gebastelten“ Gilchristverband ruhiggestellt haben. Danach konnte die Patientin ihren Arm bald schon wieder mit ein wenig Unterstützung immerhin bis 90° anheben.
Bemerkenswert ist noch die Behandlung der vielen geschwürigen Wunden (ulcera). Hier stehen inzwischen, auch das ist neu, dank Sponsoring durch ein deutsches Unternehmen für Medizinprodukte moderne Wundbehandlungsmaterialien zur Verfügung, die ein besseres Wundmanagement ermöglichen und zu guten Behandlungsergebnissen führen. Manche chronische Wunde konnte zur Abheilung gebracht andere zumindest für eine Hautverpflanzung vorbereitet werden. Allerdings ist es sehr schwierig, die Patienten zu einer solchen Operation zu vermitteln. Manchmal erlebt man auch Überraschungen wie im Falle einer jungen Frau mit einem großen Ganglion am Handrücken, der ich erklärt habe, dass es sich um eine relative Operationsindikation handelt und ein solcher Eingriff auch nicht in unserer Ambulanz durchgeführt werden könnte. Sie war mit dieser Auskunft zufrieden und berichtete, dass sie auch nur eine second opinion haben wollte und sich also bestätigt fand, dass eine Operation nicht unbedingt nötig sei.
Über die schlimmen Lebensbedingungen im Slum von Nairobi in der Hauptstadt von Kenia wurde auch in früheren Blogbeiträgen ausführlich berichtet. Es erstaunt mich dennoch, dass die Menschen diese Lebenswirklichkeit so hinnehmen und nicht aufbegehren. Die Gründe dafür sind vielfältig, stichwortartig können genannt werden Korruption, Tribalismus, Kolonialismus, Klimawandel, der durch Dürren und Naturkatastrophen zur Verslumung der Großstädte beiträgt.
Quo vadis, Baraka? Diese Frage wurde auf dem German Doctors-Meeting in Bonn gestellt. Es gibt Überlegungen, das Projekt in Zukunft in einheimische Hände zu legen, sodass die deutschen Ärzte nicht mehr benötigt werden. Aus chirurgischer Sicht sehe ich allerdings noch viel Arbeit, bis das gelingen kann.
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