Eine niederschmetternde Diagnose

HIV-Hilfe in Nairobi: Ein Bericht von Einsatzarzt Dr. Michael Klemt-Kropp

Im Sommer 2017 erlebte ich meinen ersten sechswöchigen Einsatz mit den German Doctors. Mein Arbeitsplatz war das Baraka Health Centre im Mathare Valley-Slum von Nairobi in Kenia. In der zweiten Woche, die anfängliche Unsicherheit hatte sich gelegt und so etwas wie Routine trat ein, wurde ich mit einer Situation konfrontiert, die gut wiederspiegelt, wie komplex die Situationen im Slum manchmal sind und wie wichtig die Rolle unserer Ambulanz für die Menschen dort ist.

Labor

Ein kleiner Blick in unseren Untersuchungsraum

Notfall in Baraka

Ab acht Uhr morgens sah ich zusammen mit vier anderen Einsatzärzten wie üblich Menschen mit akuten Erkrankungen, die häufig schon Stunden vor der Öffnung der Pforte in der Kälte der äquatorialen Regenzeit anstanden. Bei der Registrierung wurde der Zustand der Patienten beurteilt und die Priorität angegeben, mit der sie behandelt werden sollten. Sehr kranke Patienten hatten Vorrang. Jane-Rose, meine Übersetzerin, rief eine neue Patientin auf. Gestützt von ihrem Ehemann kam eine junge, sehr geschwächte Frau in das Sprechzimmer. Es war offensichtlich, dass sie für eine normale Anamnese und klinische Untersuchung zu krank war. Wir brachten sie direkt in den Emergency Room. Jared, ein einheimischer Krankenpfleger und zuständig für die Notfälle, dokumentierte die Vitalparameter, versorgte die Patientin sofort mit einer Infusion und nahm Blut ab. Das eingespielte Team handelte professionell, schnell und sehr effizient. Durch die Infusion besserte sich der Zustand der Patientin etwas. Nach nur 30 Minuten hatten wir das Ergebnis der Blutuntersuchung aus dem Labor. Die Patientin hatte eine Malaria. Sie wurde sofort intravenös behandelt, in der Hoffnung, die Situation ambulant in den Griff zu bekommen. Sie hatte keine Krankenversicherung, kein Geld und eine stationäre Behandlung in einem staatlichen Krankenhaus wäre für sie unbezahlbar gewesen.

Eine Ultraschalluntersuchung

Eine Ultraschalluntersuchung

Ein unerwarteter Patient

Weil die Patientin noch nie bei den German Doctors war, gehört es – angesichts der Häufigkeit dieser Erkrankung im Mathare Valley-Slum – zur Routine auch einen HIV-Schnelltest durchzuführen; wenn möglich auch gleichzeitig beim Partner. Der Test war bei der Patientin und ihrem Ehemann positiv. Beide wussten nichts von der Infektion und hatten auch keine Symptome. Ich informierte den Ehemann. Wie so viele Patienten blieb auch er äußerlich ruhig – es war ihm aber anzusehen, dass seine kleine Welt gerade einstürzte. Direkt nach dem Gespräch brachte ich ihn zu unserem Team der HIV-Hilfe. Der ‚Counselor’ besprach mit ihm seine Diagnose, die Konsequenzen und die Behandlungsmöglichkeiten. Weitere Untersuchungen wurden geplant. Glücklicherweise ging es seiner Frau nach der intravenösen Malaria-Behandlung besser. Sie konnte nach Hause um dort die Therapie mit Tabletten weiterführen. Der Ehemann, inzwischen unerwartet auch unser Patient geworden, holte seine Frau zusammen mit einem Nachbarn ab.  Zu Hause wollte er in aller Ruhe die niederschmetternde Diagnose mit ihr besprechen.

HIV ist längst kein Todesurteil mehr

Drei Tage später sah ich ihn wieder. Er kam zusammen mit seiner Frau zu unserer HIV-Beratung. Das Team der Sozialarbeiter beurteilte nun auch die Situation des Ehepaares und analysierte das soziale Fangnetz. Gibt es eine sichere Möglichkeit die Medikamente zu Hause aufzubewahren? Gibt es einen ‚Buddy’ in der sozialen Umgebung, der die Therapie begleitet? Kommen die Patienten regelmäßig ihren Absprachen nach? Die HIV-Infektion wurde mit Medikamenten behandelt, die man auch in Europa vorschreiben würde. Das Ehepaar wurde gut instruiert, welche Mittel sie wann einnehmen müssen; Nebenwirkungen wurden besprochen. Es ist nämlich nicht einfach nur damit getan ein Rezept auszustellen!

Unsere HIV-Hilfe ist langfristig angelegt

HIV-Hilfe: Wir sind gut aufgestellt

Die deutschen Ärzte und das lokale Team arbeiten Hand in Hand

Bei weiteren Untersuchungen stellte sich dann noch heraus, dass der Mann auch eine Tuberkulose-Erkrankung hat. Das TB-Team in Baraka behandelte auch diese Infektion in perfekter Zusammenarbeit mit der HIV-Hilfe-Gruppe. Das Ehepaar erhält nun alle Medikamente der komplexen Therapie gratis – und das ist nur durch Spenden möglich. Ich sah den Ehemann in meinen verbleibenden Wochen mehrmals im Baraka Health Centre. Er war zuversichtlich. Er nahm alle Medikamente richtig ein und konnte mir sogar die Namen der Tabletten sagen. Gute Aufklärung! Seiner Frau ging es wieder gut nach ihrer durchstandenen Malaria. Die HIV-Infektion war durch das Routine-Screening in unserer Ambulanz in einem frühen Stadium erkannt worden. Eine definitive Heilung ist zwar noch nicht möglich, aber durch frühzeitige HIV-Behandlung ist die Krankheit gut zu kontrollieren. Die kostenlose Behandlung durch die German Doctors ermöglicht beiden ein normales Leben zu führen und sogar gesunde Kinder zu kriegen. Jeden Monat hat das Paar ambulant Kontakt mit dem HIV-Team – genau so wie weitere 3.000 Infizierte, die hier nicht nur medizinisch, sondern auch psychosozial betreut werden. Es war fantastisch, für einige Wochen in dieser Einrichtung mitarbeiten zu dürfen!