Der alltägliche Kampf gegen Tuberkulose und HIV

Ein Bericht der Einsatzärztin Dr. med. Gabriele Becker-Hassemer aus Nairobi

Dr. med. Gabriele Becker-Hassemer bei der Arbeit

Drei Tage bin ich zurück von meinem Einsatz in Nairobi vom 27.03. bis 08.05. 2021. Noch immer habe ich Bilder, Szenen und das dort so ganz andere Treiben vor Augen und kann mich nur schwer an die Realitäten hier in Deutschland gewöhnen. Baraka hat mich sehr beeindruckt: Die große Ambulanz der German Doctors in Mathare, den zweitgrößten Slum in Kenias Hauptstadt Nairobi mit über 500 000 Einwohnern, besteht seit über 20 Jahren.

Warten auf die Behandlung

Neben derzeit vier Ärztinnen und Ärzte der German Doctors, u. a. Chirurg/in und eine/r Kinderärzt/in halten eine kenianische Ärztin und einige Clinical Officers Sprechstunden ab,  die neben chronischen allgemein internistischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie und Asthma/COPD auch Epilepsie, Sichelzellanämie, HIV und Tuberkulose behandeln. Gynäkologische Vorsorgeuntersuchungen wie psychosoziale Beratungen werden durch Counsellors angeboten. Das Feeding-Center mit Kinderkrankenschwestern spielt eine große und wichtige Rolle bei häufig vorgefundenen unter- und mangelernährten vor allem Kindern aber auch Erwachsenen (Müttern!). Ich war überrascht vom Engagement, hatte ich doch als Internistin häufiger Patienten mit Tuberkuloseverdacht den entsprechenden Kolleginnen und Kollegen vorgestellt, die sich jedem mit freundlichem und großen Engagement angenommen haben.

Viele wohnen in Wellblechhütten ohne Fenster

Die Registrierung der Mathare-Bewohner, die medizinische Hilfe in Anspruch nehmen wollen, fand morgens von 6 bis nachmittags um 16 Uhr statt. Häufig sahen wir bei Arbeitsbeginn um 8 Uhr schon alle Warteplätze besetzt und lange Menschenschlangen am Eingang. Eine besondere Situation konnte ich bei Hausbesuchen, dem sogenannten Community Walk, mit Jared erleben.

Schwer kranke, häufig verlassene Frauen mit Kindern ohne Einkünfte in dunklen Wellblechverschlägen ohne Fenster wurden geduldig und einfühlsam befragt und beraten sowie gleich auch Konsequenzen aus den Gesprächen gezogen, z. B. Finanzielle Unterstützung zur Zahlung der Miete oder ein als gefährdet eingeschätztes Kind wurde in eine schützende weitere familiäre Umgebung vermittelt, z. B. zur Großmutter.

Die Sorge bzw. das Netzwerk bezieht sich nicht nur auf medizinische Probleme, sondern auf die gesamte Lebenssituation, die krankmachend ist: Enge, Lärm, Gestank, Fehlen von Strom und Wasseranschluss, Abwassersystem und den Mangel an Einkommen zur Deckung der basalen Lebensbedürfnisse.

Community Walk bei den Menschen zuhause

Immer wieder HIV-Neudiagnosen; erschüttert hat mich dies einer Frühschwangeren mitteilen zu müssen, die kürzlich negativ getestet war. Problematisch wird für sie die Einbeziehung bzw. erforderliche Testung des Partners, eine Prozedur bei der sie unterstützt wird. Häufig werden Frauen dann verlassen und die Männer entziehen sich der Diagnose. HIV bedeutet Stigma und wird verheimlicht. Das Elend beginnt mit der Diagnosestellung. Glücklicherweise ist die Medikation kostenlos und Baraka Health Center mit German Doctors versuchen ein Auffangnetz zu schaffen. HIV-Erkrankte leiden häufig unter Tuberkulose – auch aus Europa als Erkrankung der Armen unter schlechten Lebensbedingungen bekannt. Die Immunschwäche potenziert das Risiko zu erkranken.

Immer wieder habe ich Menschen jeden Alters, vor allem zwischen 25 und 40 Jahren zum TB Center gebracht: Sie fallen vor allem durch Schwäche, Anämie, Gewichtsverlust und chronischen Husten auf. Dank Lungenultraschall – ausgebildet ist Edna, meine Übersetzerin – kann die Diagnostik neben der Untersuchung des Auswurfs häufig ohne Röntgen erfolgen und so kostensparend und rasch vonstatten gehen. Die Übereinstimmung zwischen Ultraschall und Röntgen ist sehr groß.

Noch nie habe ich so viele fortgeschrittene Entzündungen, Abszesse gesehen. Häufig lag Knochenbeteiligung vor, so dass eine einfache chirurgische Versorgung und Antibiotika nicht zur Behandlung ausreichten. Auch die Häufung von Verbrühungen bei Kleinkindern, teils drittgradig, ist erschütternd. Die Enge der Hütten, Kochen (häufig mit Kerosin) auf dem Boden sind potentielle Gefahren. Ich hatte eine ca. 50jährige, armamputierte Patientin die als Kleinkind eine so schwere Verbrennung hatte, dass sie ihren Unterarm verlor. Zusätzlich war sie HIV-positiv, also ganz viele Handicaps.

In der Ambulanz

Luftverschmutzung durch offene Feuer und Müll gefährden die Atemwege, häufig sind COPD, Asthma und chronische Bronchitis. Bei der Anamneseerhebung bewegt sich die Hand nahezu jeder 2. Frau zum Unterbauch: Ich habe bald verstanden, zusammen mit häufig berichtetem Ausfluss liegen hier sexuell übertragbare Erkrankungen oder Entzündungen im kleinen Becken vor. Dies bedeutet häufig chronische Schmerzen, Unfruchtbarkeit und Bauchhöhlenschwangerschaft. Ich habe weit fortgeschrittene Tumore an der Haut und im Bauch gesehen. Überhaupt schaffen die unhygienischen Lebensbedingungen viele Hautprobleme, z. B. chronische Ekzeme, eitrige Ausschläge, Hautpilz und Krätze. Wie schaut es aus mit Corona? Ganz vergessen ob all der vorherrschenden Erkrankungen.

Der Verdacht wurde mehrfach ausgesprochen, aber Testkapazitäten sind in Kenia leider Mangelware. In der Enge des Slums ist Abstand halten nicht möglich, auch wurden dort eher selten Masken getragen (Diese müssen gekauft werden und das kann sich kaum jemand in den Slums leisten ). Aber wenn die Patienten zu uns kamen, herrschte Maskenpflicht. Eine Freude für mich ist, einen kleinen Beitrag zur Gesundung einiger Menschen beigetragen zu haben. Es war zu spüren, dass den German Doctors großes Vertrauen entgegengebracht wird und dass ich in einer verankerten, langjährig bestehenden Institution arbeiten konnte. Dafür, für diese Erfahrungen, bin ich sehr dankbar.