Wieviel Zeit braucht Vertrauen?

Tuberkulose-Therapie für die Ärmsten: Ein Bericht von Dr. Anne Muckelbauer aus Mindoro

Auf der philippinischen Insel Mindoro bieten die German Doctors seit 15 Jahren durch ihre Rolling Clinic Sprechstunden für die Bevölkerung der Mangyans an. Ich durfte dieses Jahr erstmals dort mitarbeiten. Mangyans sind die Ureinwohner der Insel. Es sind sieben verschiedene Stämme, welche teilweise noch sehr zurückgezogen in der unzugänglichen Bergwelt Mindoros leben. Wir fahren mit unserem Vier-Rad-Antrieb-Fahrzeug täglich Richtung Berge, soweit es die Straßen und Wasserfurten noch zulassen, und schlagen in einem Dorf dort unsere Ambulanz auf. Die Mangyans kommen nach und nach aus den Bergen der Umgebung herunter zur Sprechstunde.

Tuberkulose-Therapie auf Mindoro

Die junge Patientin auf der Bambustrage: Hier hilft nur eine konsequente Tuberkulose-Therapie

Seit fünf Jahren gelähmt!

In das heutige Dorf kommen die German Doctors schon seit sechs Jahren. Gegen Mittag bringen zwei Männer mit einer selbstgebauten Trage aus Bambusrohr eine junge Frau. Wir schauen schnell, um welchen Notfall es sich wohl handelt. Meine Dolmetscherin befragt die kleine Gruppe und erfährt: die junge Frau kann nicht mehr laufen, seit fünf Jahren! Nach der Entbindung ihres jüngsten Kindes wollte sie nach wenigen Wochen wieder aufs Feld gehen und brach zusammen. Seitdem liegt sie zu Hause in ihrer Hütte; seit fünf Jahren! Wie lange hat es wohl gedauert, bis sich in ihrem Dorf herumgesprochen hat, dass jeden Monat Ärzte in die Berge kommen? Die „Buschtrommeln“ sind normalerweise eigentlich sehr schnell… Wie oft hat sie wohl ein örtlicher „Heiler“ besucht und behandelt? Wie lange hat es wohl gedauert, bis sich die Familie dann entschlossen hat, doch einmal zu diesen seltsamen, fremden Ärzten hinunter zu gehen und um Hilfe zu bitten?

Eine Mangyan-Frau in traditioneller Tracht

Eine Mangyan-Frau in traditioneller Tracht

Es dauert lange, Vertrauen zu gewinnen

Vorsichtig untersuchte ich die Patientin. Warum sie wohl nicht laufen kann? Ist sie gelähmt?  Nein, sie kann beide Füße und Beine bewegen, sie kann sich herumdrehen. Dann sehe ich ihren Rücken: Über der Lendenwirbelsäule ist eine Geschwulst, ein Abszess, aber ohne Eiter. Eine zweite Geschwulst am Oberschenkel. Leider kenne ich diese Symptome nur zu gut, seit ich hier auf Mindoro arbeite: Knochen-Tuberkulose! Auf English harmlos als pott’s disease umschrieben. Gestern erst hatte ich zwei Patienten, die nach monatelanger Behandlung nun schon auf dem Wege der Besserung sind und wieder laufen können. Eine bleibende Rückenverkrümmung, ein spitzer Buckel wird aber lebenslang zurückbleiben.

Pflaster von einem "Naturheiler" angebracht

Pflaster von einem „Naturheiler“ angebracht

Eine Tuberkulose-Therapie braucht Zeit…

Nun beginnt der nächste Teil der mühsamen Aufgabe: Wir müssen die Patientin und ihre Angehörigen überzeugen, dass die Patientin erst einmal einige Untersuchungen im Krankenhaus durchlaufen muss, und danach eine mindestens einjährige Tuberkulose-Therapie folgt. Zum Glück willigt sie ein, und wir sorgen dafür, dass sie noch am gleichen Tag in die Stadt gebracht wird, gar nicht erst in ihr Dorf zurückkehrt. So sind wir sicher, dass die Behandlung – die allein durch Spenden finanziert wird – in die Wege geleitet wird. Dr. Pinky, die einheimische Mitarbeiterin von den German Doctors auf Mindoro wird sich um den weiteren Ablauf kümmern. Ein beruhigendes Gefühl, da ich selber bei einem sechswöchigen Einsatz die Patienten meist nur einmal sehen kann… Und ich bin sehr froh, dass wir zumindest dieser jungen Frau mit einer Tuberkulose-Therapie helfen können!