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Dr. Henning Honecker ist Allgemeinmediziner aus Berlin. Er war bereits über zehn Mal für die Ärzte für die Dritte Welt im Einsatz. Hier berichtet er von seinem letzten Einsatz in Kalkutta. Das Projekt der Ärzte für die Dritte Welt in Kalkutta besteht seit 1983. Es ist das älteste Projekt der Ärzte für die Dritte Welt. Ständig sind sechs deutsche Ärztinnen und Ärzte vor Ort. Täglich fahren drei Teams mit jeweils zwei German Doctors nach einem festen Raster in unsere verschiedenen Slumambulanzen im Stadtgebiet Kalkuttas und Howrahs. Daneben gibt es unter Leitung der Ärzte für die Dritte Welt Tuberkulosekrankenhäuser für Frauen und Kinder sowie verschiedene Tuberkulose-Ambulanzen.

Alltag für einen deutschen Arzt im Slum von Kalkutta

Eine junge Frau steht mit ihrer 8jährigen Tochter vor mir. Sie ist von schwerer Krankheit gezeichnet und der Blick ihrer Tochter geht ins Leere. Vor zwei Wochen verstarb ihr Mann an Lungentuberkulose.

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Auch die Frau verstirbt eine Woche später. Das ebenfalls schwer erkrankte Kind ist völlig auf sich allein gestellt. Wir nehmen es in unser Tuberkulose-Krankenhaus für Kinder und Jugendliche in Howrah auf. Sollte es überleben, muss eine Pflegefamilie gefunden werden. Wenn keine Familie gefunden wird, wird es ein Straßenkind. Staatliche Heime gibt es kaum.

Ich bin Arzt für die Organisation „Ärzte für die Dritte Welt“ in einem Slum in Kalkutta.
Mein Arbeitsplatz besteht aus einem Klapptisch, drei Klappstühlen und einer Liege. Wir arbeiten an einem stinkenden Kanal, aus dem Mückenscharen aufsteigen. Es wimmelt von Ratten.
Eine lange Schlange von Patienten wartet bereits. Sie haben sich zum Teil schon nachts eingefunden, um sich einen Platz für die Sprechstunde zu sichern. Für uns ist es jedoch unmöglich, alle Patienten zu behandeln. Die Zeit reicht nur für die Schwerstkranken.

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Als nächste Patientin kommt ein kleines Mädchen mit einem alarmierenden Herzgeräusch, das zur Diagnostik in die Klinik überwiesen wird. Eine dringend notwendige Operation würde 300 Euro kosten. Die Familie kann das Geld nicht aufbringen, und mit unserem Budget können wir notdürftig die laufenden Kosten bestreiten. Der nächste kleine Patient hat Schüttelfrost und hohes Fieber. In diesen Breiten ist dies ein Zeichen für Malaria, die unbehandelt zum Tode führen kann.

Aus offensichtlichen Gründen gibt es viele Fälle von Bluthochdruck – die Menschen stehen unter Dauerstress im Kampf um das tägliche Überleben. In Zelten, die aus Stangen, Tüchern und Wellblech zusammen geflickt sind, leben sie. Die etwas „besser Situierten“ leben in fensterlosen Räumen ohne Wasser, in denen das Stövchen mit Kuhmist beheizt wird. Der Qualm reizt die Atemorgane und führt zu chronischer Bronchitis. Die Enge des Raumes fördert das Ansteckungspotential für schwere Krankheiten wie Tuberkulose und Malaria.

Eine junge Frau zeigt mir verschämt furchtbare Verbrennungen an Oberkörper und Armen. Auf meine Frage nach der Ursache antwortet sie, dass ein Ofen explodiert sei. Möglich – wahrscheinlicher ist jedoch häusliche Gewalt.

Unter den 60 bis 70 täglich zu behandelnden Patienten sind auch viele Zuckerkranke, die teils noch mit Tabletten, häufig aber auch mit
Insulin behandelt werden müssen. Viele schwere Erkrankungen wie Epilepsien, Bluthochdruck oder Gelenkerkrankungen erfordern eine kontinuierliche, lebenslange Behandlung, die wir leisten.

Auch ältere Menschen mit zunehmenden Sehstörungen werden bei uns behandelt. Nach Festlegung eines Termins werden diese Patienten von