Flüchtlinge aus 25 Ländern
Ein Bericht von German Doctors-Einsatzarzt Dr. Johannes Brönneke-Born aus Griechenland
Vor dem schlichten Container mit Vordach, der sonst als Schulraum dient, warten ungefähr 10 Familien mit ihren kleinen Kindern aus vielen verschiedenen Ländern. Im Gebäude geht es auch lebhaft zu: ca. 20 – 30 Kinder sollen geimpft werden – den meisten fehlt jede Grundimmunisierung oder sie sind noch nicht vollständig geimpft. Es fließen viele Tränen bei den kleinsten, wenn sie ihren Piks manchmal gleich zweimal erhalten – die älteren Kinder sind meistens stoisch tapfer. Die Mütter – oft sind aber auch die Väter dabei – gehen sehr liebevoll und geduldig, nicht selten sehr besorgt mit ihren Kindern um. Auch in andere Sprechstunden komme oft Eltern mit übergroßer Sorge auch bei banalen, harmlosen Symptomen – Man gewinnt den Eindruck, die Kinder sind das wichtigste für viele dieser Menschen – das einzige, was ihnen nach oft gefährlicher und langer Flucht geblieben ist.
Heute sind wir German Doctors mit unserem Übersetzer für Farsi und Dari für 2 Tage in Joannina und arbeiten im nahe gelegenen Containercamp (für ca 1000 Flüchtlinge), Joannina ist ca. 3 Autostunden von Thessaloniki im Südwesten Griechenlands in bergiger Region gelegen, ringsum sind die Berge noch schneebedeckt; es ist eine schöne, mit ihrer Lebendigkeit typisch griechische Stadt – auch in dieser noch kalten Jahreszeit spielt sich das Leben vorwiegen draußen in Straßencafes und Tavernen ab. Nach der Sprechstunde im Camp, in der das ganze Spektrum allgemeinmedizinischer Probleme behandelt wird – mit minimalen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten – schlendern wir mit Daniel, unserm außerordentlich kompetenten und den Patienten gegenüber einfühlsamen Übersetzer durch die Stadt, diskutieren mit ihm Flüchtlingsprobleme, aktuelle Politik, Leben in Griechenland und erfahren über seine eigene Flucht aus dem Iran und quer durch Europa. Schließlich landen wir in einer typischen griechischen Taverne mit vielfältigen Speisen. Am Wochenende sind wir für zwei Tage in die Berge gefahren und haben dort die berühmte Vikos-Schlucht durchwandert.
Das Griechenland-Projekt in Thessaloniki mit unserer griechischen Partnerorganisation Arsis hat sich gut stabilisiert und ist durchgehend gut organisiert (dreiwöchentlicher Wechsel der 6-Wochen Ärzte, so dass jeweils eine gute Einführung und Übergabe möglich ist). Wir arbeiten derzeit außer in Joannina in drei verschiedenen Flüchtlingscamps im Umkreis von ca 60 km um die Stadt, sowie in Sheltern für unbegleitete Jugendliche, wo wir vor allem Impfaktionen durchführen und nach Untersuchung ärztliche Bescheinigungen für den Besuch von Schulen ausstellen, aber auch Behandlungen anbieten. Dazu findet einmal/Woche eine Sprechstunde im Büro von Arsis statt.
Die Camps – Nea Kavala, Vagiohori und Diavata – sind äußerlich ganz ähnlich mit langen Reihen von Containern, in denen jeweils eine oder mehrere Familien untergebracht sind, das ganze umgeben von einem Stacheldrahtzaun mit strengen Kontrollen an den Eingängen. Die Atmosphäre in diesen Lagern ist ganz unterschiedlich, auch abhängig von den dort arbeitenden, großenteils sehr engagierten Schwestern und anderen Mitarbeitern. In das Lager von Diavata durften wir derzeit nicht, da die Regierung nach Aussagen von Mauritio, der die Hilfsorganisation Quick-Response-Team leitet, NGOs aus den Lagern halten will. Wir haben deshalb in dem fabrikhallenartigen Gebäude dieser Organisation Sprechstunden abgehalten. Es finden hier mit Hilfe internationaler junger Freiwilliger vielerlei Aktivitäten, vorwiegend für Frauen und Mädchen statt: Nähkurse, ein Photokurs (mit dessen Resultaten der engagierte Photograph sogar schon Preise gewonnen hat), Malkurse, Basteln und Malen mit Kindern, Sprachkurse (auch für Deutsch: viele der Flüchtlinge, die weiterziehen wollen, haben als Ziel Deutschland – leider läuft die Weitereise oft über Schleuser, die auch in den Lagern ihre Mittelsleute haben). Mittags wird immer gekocht und gemeinsam gegessen, wodurch sich ein interessanter Austausch mit den viele Freiwilligen ergibt.
Die Sprechstunden sind sprachlich eine Herausforderung, kommen die Flüchtlinge doch (so hab ich anhand unserer Computerdokumentation nachgezählt) aus 25 verschiedenen Ländern: es ist oft ein geradezu babylonisches Sprachgewirr, in dem man sich durch verschiedenste Übersetzer- meist Flüchtlinge aus dem Lager, die ein wenig griechisch oder englisch sprechen – mit wenigen Brocken englisch oder französisch und mit Gestik und Übersetzungs-App verständlich macht.
Medizinisch ist man auf die klinische Erfahrung und viel Intuition angewiesen; außer einem Blutdruckmessgerät oder einem BZ- Gerät gibt es keine technische Ausrüstung. In wichtigen oder dringenden Fällen kann man an örtliche Krankenhäuser verweisen, wo immer mit langen Wartezeiten für Termin oder Behandlung gerechnet werden muss. Bezüglich medikamentöser Behandlung sind wir auf eigene Vorräte oder teils sehr eingeschränkte Vorräte in den Lagern angewiesen. In manchen Fällen kann auch die griechische Ärztin Dr. Marina etwas rezeptieren, das dann oft aber erst nach Tagen oder Wochen die Patienten erreicht.
Die Behandlungsgründe sind neben akuten Infektionen und vielen Hauerkrankungen häufig chronische Schmerzen bei teils erheblichen degenerativen Veränderungen bsd. bei der ländlichen Bevölkerung, Depressionen – kein Wunder bei den Entbehrungen, traumatischen Erlebnissen und Sorgen bezüglich der Zukunft, die die Menschen umtreibt – und psychosomatische Symptome, für deren Verständnis allerdings viel Einfühlung und sprachliche Möglichkeiten erforderlich sind – etwas das Daniel sehr gut macht. Oft sind die Schicksale vieler Geflüchteter herzzerreißend, bsd. wenn sie schon jahrelang ohne Hoffnung in den Lagern leben, oder von Abschiebung bedroht sind – schließlich haben solche Familien ihr gesamtes Hab und Gut für Schleuser verbraucht.
Immer mal kommen auch seltene Krankheiten vor: so konnte ich mit Hilfe unsere German Doctors Dermatologen Heino Hügel, dem ich Bilder und Beschreibung zugeschickt hatte, mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einem 12-jährigen Jungen Lepra diagnostizieren, eine Krankheit, die in Afghanistan noch endemisch ist.
Unsere Wohnung in Thessaloniki, in der wir zu zweit wohnen, ist eine charmante, großzügige Altbauwohnung mit spärlicher Möblierung mitten in der Stadt, 10 min zu Fuß zur Ägäis-Promenade mit Cafes, Bistros, Restaurants. Das alte Hafenviertel mit Markt, der mit seinen engen Gassen einem orientalischen Basar ähnelt , vielen Tavernen , Bars und kleinen Geschäften ist in fußläufiger Entfernung. Auch gibt es interessante Museen, die alte Agia Sophia mit über tausendjährigem Kuppelmosaik, römische Ausgrabungen und eine alte Festung mit herrlichem Blick über Altstadt und Ägäis. Am Wochenende haben wir Ausflüge in die Umgebung auf eine der drei Finger der Halbinsel Chalkidiki gemacht, uns dort auch ein billiges Apartment in einem kleinen Dorf am Meer gemietet.
Insgesamt sind die 6 Wochen in Griechenland voller interessanter, schöner, herausfordernder und natürlich auch bezüglich der Flüchtlinge trauriger Momente.
Schreiben Sie einen Kommentar