Ungefilterte Eindrücke
Ein Bericht von Swiss Doctors-Einsatzarzt Dr. Christoph Maier aus Nairobi
Es ist unheimlich, wie die 6 Wochen verflogen sind, deshalb möchte ich meine Erinnerungen fixieren. Erinnerungen, Emotionen, Geräusche, Gerüche, optische Eindrücke, von denen wir überflutet wurden in Nairobi. Sequenzen, derer wir kaum Herr wurden, weil die Inhalte so dicht waren, die Tage so angefüllt, die Lebensinhalte so verwirrend waren und so aufwühlend. Auch die Zeit so dicht war vom Frühstück ab 6.30 Uhr, Zeitung lesen – auch erdrückenden Eindrücke aus Europa – gemeinsamen Frühstück, abgeholt werden vom Fahrer in die Ambulanz. Auch auf dem Weg viele Eindrücke: Massen von Leuten die zu Fuss unterwegs waren, teils in bunten Kleidern, Strassenstände mit buntem Obst, Berge von Krautköpfen. Schon am frühen Morgen das Frittieren von Teigtaschen mit allen Gerüchen, Hupen von Motorrädern, Autos, ein unheimliches Gewühle hinein in den Slum.
Dann warteten die Patienten schon seit 6:30 Uhr, teils Fortbildungen noch eingestreut um 8 Uhr in der Woche, Kindergeschrei vor der Ambulanz; 50% der Zeit lief der laute Generator vor dem Fenster, weil der Strom ausfiel. Neu auch die elektronischen Krankengeschichten per Computer, in die man sich einarbeiten musste – aber doch gut, weil sie die Einträge der vielen Ärzte lesbar macht. Meine Verbesserungsvorschläge aus 32 Jahren Erfahrung in zwei Praxen machte sich bezahlt und ich hoffe, dass davon einiges umgesetzt wird, um die Arbeit zu erleichtern und zu beschleunigen.
Ich sah teils bis zu 45 Patienten am Tag. Davon hatten 40 % Probleme wie in Europa: Rückenschmerzen, Magenschmerzen… Allerdings musste man sich stets vergegenwärtigen, dass der Magen auch im Unterbauch liegen konnte und eine STD verbarg mit eitrigem Ausfluss und Beckenentzündung. Überhaupt machte es Stress, dass man immer im Hintergrund mitdenken musste, ob es nicht auch HIV oder Tuberkulose oder eine tropische Krankheit wie Malaria sein konnte. Allerdings war es etwas einfacher, da Malaria in Kenia nur regional auftritt, wir also bei Fieber nach einer vergangenen Reise fragen mussten. Oder die Übersetzerin darauf hinwies, dass der Namen auf eine Malariaregion hindeute. Dann war aber doch nicht nur an Tuberkulose zu denken bei Gewichtsverlust und Schwitzen, sondern auch an einen Basedow. Immer musste man sich bewusst sein, dass wir die sozialen Gegebenheiten nur wenig einschätzen konnten und die Patienten sprachlich in Kisuali und teils englisch nicht richtig abholen konnten.
40 % kamen zur Zweitmeinung, etwa mit CT Bildern von Bandscheibenvorfällen. Hier sind wir der Meinung, dass dies nicht unser Job hier ist, nicht Aufgabe der Ambulanz. Und dann 20 % wirklich vital Kranke mit Tumoren, kachektisch TBC, HIV, Tumorkranke bis hin zum Mädchen, 9 Jahre mit Nephroblastom 14×10 cm grossen tastbaren Tumorrezidiv re Oberbauch; aber hatte schon Chemotherapie im Kenyatta Unispital und war in Remission. Viele Babys, die dehydriert waren und Infusionen brauchten, wurden gut von unserer Kinderärztin Annemarie versorgt. Da war ich froh, dass wir sie hatten und uns nicht um die Kleinkinder kümmern mussten, die teils Knochenmarksinfusionen kriegten, weil ein Venenzugang nicht mehr möglich war.
Es gab mir auch das gute Gefühl, 39 Jahre Medizinwissen nicht nur angesammelt zu haben, sondern auch praktisch anwenden zu können, nicht nur in die Rente abzugleiten, sondern es noch anzuwenden. Im Gegenteil noch dazuzulernen mit der Sono in neuen Anwendungsgebieten, als Senior gefragte zu werden, aber auch die jungen Kollegen in ihrem Fachgebiet fragen zu können. Am Abend auszutauschen bei unklaren Bildern speziell auch der Dermatologie, auch Syphilis….
Dann gab es auch das Erleben einer Beerdigungstradition, das wir mitbekamen – zwei Kolleginnen sogar dort waren zur Aufbahrung einer Mutter eines Laboranten, die anerkannte Sozialarbeiterin im Slum war. Die Tradition der Afrikaner, drei Wochen zu warten mit der Beerdigung im Heimatdorf, die Aufbahrung im Wohnort mit allen Emotionen: Schreien, Tanzen Weinen, Lachen; überhaupt den Leichnam sehen zu wollen, fühlen zu wollen, dass die Toten wirklich tot sind.
Diese Tradition stand für uns im Kontrast damit, dass wird bei Patienten teils erlebten, wie eigenartig emotionslos Diagnosen hingenommen wurden. Neudiagnosen, HIV, TBC, Schwangerschaft. Teils erklärbar damit, dass mit der Schwere der Diagnose zugleich verbunden war: Wie schaffe ich das finanziell? Wenn ich mir die Versicherung von 5$ nicht leisten kann, und muss jetzt ins Krankenhaus, die gesamte Verwandtschaft angepumpt wird, um mir das leisten zu können, oder es auch nicht möglich ist. Das ist nur schwierig aushaltbar, aber unsere Ausgabe ist es ja nicht zu spenden, sondern medizinisch zu unterstützen. Langfristig eventuell die Ambulanz ganz in kenianische Hände übergehen zu lassen. Zum Teil erlebte ich das auch im Kontrast zum letzten Jahr, wo die medizinischen CHOs (Clinical Health Officer) die Sonos weitgehend selber machten. Dies dank Ruth – einer Internistin aus Trier, die diese intensiv online und vor Ort schulte. CHO ist ein Zwischending von Arzt und Krankenschwester. Nach einer 3-jährigen Ausbildung kann der CHO selbständig Kranke behandeln – während Corona, als keine German Doctors vor Ort waren, musste dies auch sein.
Herausragend für uns war und ist die Fröhlichkeit der Menschen allen Umständen zum Trotz, den Geldnöten, dem fehlenden Wasser in Nairobi – es soll bei 60 % der Menschen in Nairobi kein fließendes Wasser geben, weil die Leitungen leck sind. Dies trotz der Wahlen die anstehen und der Politik, die in solchen Dingen eigentlich Abhilfe schaffen wollte. Und die Teuerung der letzten Wochen von 50 % – auch eine Auswirkung des Ukrainekrieges. Das Interesse der Kinder an den “Mzungus”, uns Weißen, denen sie immer den Fausthandschlag geben wollten. Aber auch viele Jugendliche, die herumhängen, wo man leicht verstehen kann, wenn eine gewisse Lethargie in Aggression umschlagen kann. Covid war kein Thema, die wenigen Schnelltests, die ich machte waren negativ, 40 % der Bevölkerung in Nairobi ist geimpft, wenn auch meist mit AstraZeneca, also weniger effektiv; auf dem Land mangels Transport auch deutlich weniger. Aber eigentlich ist es wenig ein Thema für die Leute dort, es gibt Drängenderes.
Ich denke es wirkt nach, das europäische Jammern auf hohen Niveau, trotz Krieg in der Ukraine geht es uns allen gut, wir sind abgesichert in Krankheit und existentiellen Nöten. Wir werden aufgefangen. Ob ich nochmals einen Einsatz wagen werde ist für mich offen, es kann ja jeden Tag anders werden in der Gesundheit, da muss man realistisch sein mit 68 Jahren. Sind wir für jeden Tag froh, in dem es uns gutgeht.
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