Gefährliche Fliegen

Ein Bericht von Einsatzärztin Dr. Verena Gröschel aus Kilifi

Dr. Verena Gröschel bei der Behandlung

Welche Vorstellungen verbinden sich mit Kenia? Safari, Nationalparks, hohe Berge mit einzigartiger Landschaft, die BIG 5, sich wiegende Palmen im Wind, weiße Traumstrände am Indischen Ozean. Das alles gibt es, aber da fahren Kolleginnen und Kollegen erst nach einer anstrengenden Woche hin, um sich 2 Tage zu erholen. Das erst 9 Monate alte Projekt der German Doctors in Kilifi ist den Kinderschuhen noch nicht heraus, aber es wächst, das merkt man. Ich bin dankbar, dieses Projekt als 6 Wochen Kurzzeitärztin begleiten zu können. Der Anfang ist klimatisch sehr herausfordernd. Aus dem kalten Deutschland kommend, schlägt mir feuchtheiße Luft entgegen, keine Klimaanlage. Wir 2 Kurzzeitärztinnen sind froh, dass wir in den Zimmern Ventilatoren besitzen. Stromausfälle gibt es, aber sie sind nicht sehr häufig. Wir wohnen auf dem Collegecampus. Die Küche im Erdgeschoss versorgt uns mit einfacher landesüblicher Kost. Das Obst ist ein Traum und der frisch gepresste Mangosaft lässt uns den Tag mit viel Vitaminen beginnen.

Weiterbildung von Studierenden

Wir arbeiten in der Bomani Dispensary, einer dörflichen Ambulanz, die eine Bevölkerung von etwa 12.000 Menschen medizinisch versorgt. Es gibt im Wesentlichen 3 medizinische Behandler: 1 kenianischer Clinical Officer und 2 German Doctors Kurzzeitärzte. Der Langzeitarzt springt ein, wenn es notwendig ist und macht auch Hausbesuche in Dörfern. Seine Frau als Physiotherapeutin
behandelt Menschen mit neurologischen Ausfallerscheinungen und Kinder mit neurologischen Erkrankungen und Behinderungen.

Eine Mütterstation (Maternity) ist für die Schwangerenvorsorge und Geburten zuständig. Es gibt eine „under 5 clinic“ für Mütter mit kleinen Kindern, Familienplanung, Impfungen und Wundversorgung. Unsere Krankheitsbilder sind bunt gemischt wie die Kleidung der Frauen. Gleich in den ersten Wochen sehe ich jedoch viele kleine Kinder mit Unterernährung. Da wird der übliche Husten oft zur
ernsten Pneumonie und ich mache mir Sorgen. Kann ich durch unsere Übersetzer der Mutter verständlich machen, wie ernst es um ihr Kind steht? Einweisung ins Krankenhaus ist keine Option für die Familien, die 6 oder mehr Kinder haben. Schon allein der Transport wäre viel zu teuer. Oft werden sie auch vom Krankenhaus wieder nach Hause geschickt. Es gibt einfach Patienten, denen es noch schlechter geht.

Krätze ist an der Tagesordnung, wir sind froh, wenn es nicht zu eiternden Wunden und Abszessen kommt. Letztere habe ich aber auch mehrfach spalten müssen- ohne lokale Anästhesie. Sehr beeindruckend ist bei der Exprimation von 2 vermeintlichen Abszessen nicht der erwartete Eiter. Es erscheinen 2 sich kräftig windende Larven der Putsi Fly (Mangofliege). Die Larve bohrt sich gerne in die Haut von Kindern, die im Sand sitzen. Oder sie legt Eier ab in Wäsche, die am Boden trocknet.

Fußwaschung und Desinfektion gegen Tungiasis

Neu für mich waren die sogenannten „jiggers“, Sand flies. Die Tungiasis ist die Hauterkrankung, eine Zoonose. Die Tungiasis kommt bei vielen Huftieren vor. Letztere sind nachts in den Lehmhütten unserer Patienten. Die Larven der Sand flies bohren sich in die Haut an den Fußsohlen und Zehen. Bei einem Besuch in einem nur wenige km entfernten Dorf haben wir an der dortigen Primary School unzählige Füße gewaschen, desinfiziert und mit Vaseline eingecremt. Auf diese Weise wird den Larven die Luft zum Atmen genommen und sie können manchmal aus der Haut gezogen werden. Aufklärung über den Befall der Parasiten findet in den Schulen statt. Die Familien erfassen gar nicht, dass der Befall dieser Fliegen mit nachfolgender Wundinfektion, Blutvergiftung und Amputation sehr leicht zu einer gefährlichen und lebenslimitierenden Erkrankung führen kann. Ein großer Pott Vaseline kostet etwa € 3,50. Oft ist dies nicht erschwinglich für die Familien. Bei der Entscheidung Nahrungsmittel oder Vaseline wird diese natürlich zugunsten der Nahrungsmittel getroffen.

Junge Frauen mit ausbleibender Periode sehen wir jede Woche. Der mitgebrachte point-of-care Ultraschall über das Mobiltelefon zeigt einen vitalen Fötus mit Herzschlag. Die Mütter freuen sich nur bedingt – schon wieder ein Kind! Aber dennoch sehen wir auch die Früchte der Familienplanung: es gibt etliche Frauen mit einem Implantat, Depotinjektionen oder sogar Antibabypille. Auch bei der jungen Generation gibt es ein Umdenken.

Patientenaufnahme

Wir arbeiten eng mit dem ansässigen Northcoast Medical Technical College zusammen. Die Studenten kommen zu uns in die Dispensary zum Bedside-Teaching. Als Kurzzeitärzte nehmen wir an Tutorials teil und wöchentlich an einer großen Präsentation der Studenten. Abwechselnd mit dem einheimischen Team halten wir eine CME Fortbildung. Angestrebt wird eine gemeinsame Fortbildung von German Doctors mit einem einheimischen Teammitglied. Auf diese Weise hoffen wir, dass das Projekt weiter wächst und die Dispensary in Bomani ein attraktiver Standort wird für Studenten, die ihre erste Stelle nach der Ausbildung antreten möchten. Aber es wird auch immer wieder klar, mit welchem Luxus wir gesegnet sind. Welch ein ausgezeichnetes Gesundheitssystem wir in Deutschland besitzen, trotz allen Defiziten.