Manchmal gibt es Glücksmomente
Ein Bericht von Einsatzärztin Dr. Maria Rosenberger aus Chittagong
Seit drei Wochen bin ich nun in Chittagong. Es ist mein erster Einsatz mit German Doctors und ich habe mich ganz gut eingelebt. Gerade ist eine Zeit des Umbruchs hier und es werden neben den bestehenden zwei CbC´s (Community based Center) gerade zwei weitere eröffnet. Das Team vergrößert sich und so sind seit unserer (Barbaras und meiner) Ankunft drei anstelle von zwei Ärzten vor Ort. Da Chittagong eine Megacity ist und es für viele Slumbewohner ein sehr weiter Weg in die Ambulanz ist, wurde das Prinzip gefördert, Ambulanzen in den unterpriviligierten Regionen zu eröffnen, welche abwechselnd von einem „Satelite Team“ versorgt werden. Die Fahrt zu CbC3 dauert ca 45 Minuten, die zu CbC4 2-3 Stunden.
Das Team hier ist super! Wirklich freundlich und man kann die Gutherzigkeit bei manchen direkt spüren. Mein Übersetzer – Andrew – ist ein so empathischer und gebildeter Mann und hilft mir bei meiner Arbeit sehr. Denn nur was er mir serviert kann ich nachvollziehen und verstehen. Nur wie er den Patienten die Empfehlungen und Behandlungskonzepte vermittelt kommt auch an. Daher bin ich sehr dankbar für ihn. Auch er arbeitet erst seit einem Monat hier und war vorher über lange Jahre in einer Lepra-Klinik beschäftigt.
Auf medizinischer Entdeckungsreise
Manchmal habe ich Glücksmomente – wenn ich glaube etwas für mich neues entdeckt zu haben. Eine einseitige Beinschwellung bei einer älteren Dame kommt mir wie eine Filariasis vor. Weil ich das nur aus Büchern kenne, freue ich mich ehrlich gesagt eine solche medizinische Entdeckung gemacht zu haben. Bei der Therapie wird’s dann aber schon wieder schwierig und ich muss mir die Blue Bible zur Hand nehmen.
Weitere medizinische Neuheiten in meinem Erfahrungsschatz wie eine ausgeprägte Neurofibromatose, Wirbelsäulen-Tuberkulose und Mumps! (habe ich in Deutschland dank der Impfung noch nie gesehen) stehen neben chronischen Erkrankungen wie Hypertonie, Diabetes, Asthma oder COPD. Aber auch eine Menge unterschiedlicher juckender Hautprobleme, Infektionen etc. sieht man täglich. Der ganz normale Rückenschmerz kommt bei den hier herrschenden Lebensbedingungen auch nicht zu kurz. So dass der Wunsch nach Painkiller so groß ist wie der Erklärungsbedarf, wenn man keine gibt. Die körperlichen Vorführ-Übungen erfolgen im Akkord. Banales von schwerem zügig zu unterscheiden hilft einem, die meist recht große Patientenzahl zu managen.
Wir sind doch hier, um zu helfen
Manchmal überkommt mich Trauer, Mitgefühl und Betroffenheit. Wenn eine Frau von ihrem Mann vergewaltigt wurde und wochenlang vaginal blutet, aber nicht ins Krankenhaus/zu einem Gynäkologen gehen kann, weil sie niemanden hat, der mit ihr dort bleibt (in Bangladesch werden die stationären Patienten von Angehörigen versorgt). Wenn die Mutter mit dem septischen Baby bei Pneumonie nicht ins Krankenhaus geht, weil sie niemanden hat, der dann auf die anderen Kinder Zuhause aufpasst. Da überkommt mit Wut und Resignation. Die Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit. Wo wir doch hier sind um zu helfen.
Ein 10-jähriger von Geburt behinderter Junge wird von seiner Mutter getragen. Er kann noch nicht mal sitzen, hat keinen Muskeltonus und leidet unter Epilepsie. Aber feixt mich freundlich an und ich bin ergriffen. Wenn ich daran denke, welche Möglichkeiten, Einrichtungen, Hilfen in Deutschland zur Verfügung stehen würden.. Hier trägt die Mutter des Heranwachsenden das Kind oder es muss eben am Boden liegen. Beide Eltern arbeiten. Ich frage mich, wie das geht. Als sie am Folgetag wegen Laborwerten wieder kommen präsentiert mit Brayan stolz das Kind in einem Rollstuhl. Der war wohl vorhanden und hat jetzt einen neuen Besitzer. Der Kopf lässt sich daran freilich nicht fixieren, aber der Junge muss nicht mehr getragen werden. Auf meine Frage ob wir wieder einen kaufen können, erwidert er nur: „Yes, we can“.
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