Vieles relativiert sich
Ein Bericht von Einsatzärztin Dr. Silke Lindner aus Mindoro
„Komme gleich wieder!“ schrieb ich an meine Tür. Und dann ging ich, mit Rucksack und einem Koffer- zur Hälfte gefüllt mit Medikamenten und medizinischem Werkzeug, mit einem Kopf voller Wissen über Tropenmedizin und die Philippinen, mit einem Gefühlsgemisch aus Vorfreude, Sehnsucht und Respekt ob der Dinge, die mich erwarten. Seit langem schlummerte der Wunsch in mir, vor einem Jahr wurde er konkret: ein ehrenamtlicher Einsatz über German Doctors im Süden von Mindoro zugunsten benachteiligter Ethnien. Es galt viel zu tun- lernen, organisieren, bürokratische Hürden überwinden, Kurse ablegen… und nochmals lernen, in sich spüren, Zweifel zulassen und ausräumen, Dinge abwägen, sich impfen, auf die Tropen vorbereiten.
Da stand ich nun
Am 24.8.2019 trat ich in Manila aus dem Airport auf die Straße und Asien empfing mich: heiße, feuchte Luft schlug mir ins Gesicht und ein lautes, buntes Gewusel umgab mich. Da stand ich nun, atmete durch und lächelte in mich hinein. Wow! Ich bin tatsächlich hier! Am Abend traf ich meine Kollegin , die die Nordtour begleiten würde und am nächsten Tag ging es per Auto und Fähre nach Calapan auf die Insel Mindoro, von da aus mit dem Fahrer des German Doctor- Teams erst nach Victoria und dann weiter nach Mansalay. Die Fahrt hierher öffnete mein Herz für diese Insel und ihre Menschen. Reisfelder, Bananenplantagen, Kokospalmen leuchteten in üppigem Grün, im Hintergrund erhoben sich die Berge, der Himmel in strahlendem Blau, das Meer glitzernd, die Straßen gesäumt von Hütten und Häusern, Verkaufsständen, Palmen, Garküchen -und überall diese wieselnden und hupenden Tricycles und Bicycles, vollgepackt mit Menschen, Getier und Gepäck… Alles ist neu für mich und trotzdem irgendwie vertraut. Der Empfang im Doctorshouse war überaus herzlich. Ich lernte das Team der Rolling clinic und des Staffhouses kennen. Und dann ging es los… Jeden Morgen 7:00 Uhr startete der vollgepackte Jeep mit dem German Doctors– Logo zu einem Dorf im Dschungel. Unser Ankommen wurde immer erwartet. Nach Aufbau und Begrüßung eröffnete ich zur Auflockerung und sehr zur Freude der Patienten die Sprechstunde mit „exercices“. Danach begann die Sprechstunde.
Jeden Tag erlebte, erfuhr, sah ich über viele Stunden nonstop Menschen und deren Not, deren Schicksale. Mir wurde Einblick gewährt in eine Welt, die wir uns für unser eigenes Leben nicht vorstellen können, nicht vorstellen möchten- ein schier unentwirrbares Knäuel aus Armut, Hunger, Leid, schweren Erkrankungen und mangelnder Bildung. Ich war zutiefst berührt und ergriffen und das gab mir Kraft für meine Arbeit: täglich bis zu 100 Patienten mit Pneumonien, Würmern, Abszessen, schweren Hautinfektionen, Tuberkulose, Wunden, Epilepsien, Psychosen, Anämien, Unterernährung, Diabetes, Hypertonie, Masern, strokes und pain, pain, pain… Das Equipment: meine Sinne, mein Wissen, meine Hände, ein Stethoskop- und dieses wundervolle, starke Team der Rolling clinic, welches Tag für Tag , Jahr für Jahr großartige Arbeit leistet. Mit jeder Woche wurde mir mehr bewusst, wie wichtig, nachhaltig und gut strukturiert die Arbeit der Organisation von German Doctors ist. Die ärztliche Tätigkeit ist nur ein Baustein im System. „Hilfe, die bleibt“ wird umgesetzt und gelebt. Ich habe mich oft gefragt, wie wohl das Schicksal der oft schwer kranken Mangyans verlaufen würde, wenn es German Doctors nicht gäbe – und die bittere Antwort drängte sich sofort in meine Gedanken.
Ohne Frage, mein tägliches Tun war sehr anstrengend, die Bedingungen ungewohnt und hart, vieles therapeutisch nicht umsetzbar. Doch lernt man schnell, die Gegebenheiten anzunehmen und das Optimum für die Patienten herauszuholen. Man gewöhnt sich an die Arbeit in ärmlichen, improvisierten Hütten, an Schmutz, an die Hunde, Schweine und Hühner , die durch den Behandlungsraum laufen, an den prasselnden Regen aufs Blechdach, der zeitweise so laut war, dass ich die Auskultation unterbrechen musste, an die reduzierten therapeutischen Möglichkeiten. Man lernt um- das medizinische Handeln und die Strategie der Therapien müssen andere sein als unter den Bedingungen, die wir von zu Hause kennen. Vieles relativiert sich. So gingen die Wochen dahin und die Arbeit im Dschungel formte sich zum Alltag, wurde vertraut.
Sehnsucht nach der Ferne
Als ich am Abend des 3. Oktober in Calapan auf die Fähre stieg, war der Himmel glutrot und für einen kurzen Moment blieb die Zeit in mir stehen. Wehmut, Glück und etwas Stolz durchströmten mich und ich wusste, ich werde zurückkehren. Nun, wieder zu Hause, fliegen meine Gedanken ständig auf die Insel und Sehnsucht macht sich breit. Es war eine unglaublich intensive und wertvolle Zeit, die mich prägen wird. Ich fühlte mich in meinem ärztlichen Tun wirklich nützlich und bin dankbar für meine gesammelten Erfahrungen und die vielen emotionalen Erlebnisse, dankbar dafür, dass ich eintauchen durfte in diese so andere Welt, in der ich so herzlich aufgenommen wurde und einen kleinen Beitrag leisten konnte. Die Freundlichkeit der Menschen, ihr sanftes, froh gelauntes Wesen, ihr mitunter unsägliches Leid und die soziale Ungleichheit berührten und motivierten mich. Eine Tür ist aufgetan, durch die ich wieder und wieder gehen werde, gehen muss. Die Not auf der anderen Seite der Welt hat ein Gesicht bekommen, ist in unser Bewusstsein eingedrungen und die solidarische Geste der Hilfe bringt Menschen unterschiedlichster Lebensstrukturen einander näher. Das ist wundervoll.
Salamat po! ( Danke!)
Sehr schöner und inspirierender Bericht. Danke!