Wozu braucht man hier den Notfallkoffer?
Als Ärztin in Chittagong: Einsatztagebuch Teil 4
Inzwischen habe ich mich ganz gut in Chittagong eingewöhnt – und den Notfallkoffer habe ich während meiner Arbeit bislang nie gebraucht. Es gibt natürlich immer noch strapaziöse und einprägsame Minuten, besonders im lärmenden Straßenverkehr, wenn mir bei Unternehmungen schon nach kurzer Zeit die viel zu lange, aber kulturell erforderliche Kleidung tropfnass am Körper hängt und ich wie alle anderen die so unglaublich staubig-feuchte und dreckige Luft einatme. Meist stellt sich dann eine gewisse angenehme Schläfrigkeit ein und bis jetzt habe ich es immer noch rechtzeitig zur Dusche bzw. zum nächsten Glas sauberen Wassers geschafft. An die Arbeit in der Ambulanz habe ich mich ebenfalls gewöhnt, und in meiner Freizeit ist es mir auch noch nicht langweilig geworden. Für Bengali-Verhältnisse ist das Doctor’s house ja ziemlich luxuriös: Mit Küche, Toilette, Dusche, Klimaanlage, meistens 😉 Strom und Internet, extra Zimmer für jeden, Wohnzimmer, Terrasse und natürlich auch noch unserem Koch. Die Wohnung ist auf dem Dach des Caritas Komplex im 3. Stock, und zwei Wachen sind auch immer da. Es gibt ein riesiges Bücherregal und vor allem auch Zeit um die Dinger zu lesen, und allein vor der Haustür schon jede Menge zu erkunden.
Ich lerne Land und Leute kennen
Außerdem wurden mein Kollege und ich dank der bengalesischen Gastfreundschaft schon von einigen Leuten nach Hause eingeladen (ein 1. und ein 7. Geburtstag, Kommunionsfeier, oder auch einfach so). Es gab dann auch immer Massen zu essen, und die Männer und die Gäste kriegen immer zuerst und die anderen schauen zu. Für meine Abneigung gegen große Mengen von Softdrinks oder Fleisch hat hier niemand Verständnis – es macht den Anschein, dass hochkalorische Speisen Statussymbol sind. Sie schauen uns dann gerne beim Essen zu und wollen sehen, ob wir auch mit den Händen essen können. Außerdem haben sich immer wieder Leute Zeit genommen, uns zu Sehenswürdgkeiten zu begleiten (z.B. Zoo, Kunstgalerie, Teeplantage, Kirchen und Tempel, Bootswerft). Es ist schön und gut, auch genug angenehme Seiten an diesem fremden Land kennenzulernen. Witzigerweise ist außerdem auch die Schwester einer Kollegin aus Deutschland gerade hier in einem anderen Projekt tätig und es war total verrückt sie hier in Bangladesch kennenzulernen.
Heute brauchen wir den Notfallkoffer doch…
Ironischerweise hatten wir uns gerade am Vorabend die Frage gestellt, wozu man hier eigentlich den Notfallkoffer braucht. Nichts ahnend habe ich heute meine Sprechstunde beendet und etwas irritiert den Übersetzer meines Kollegen vorbeiflitzen sehen (flitzen gibts normal nicht). Er hat irgendwas von ‚oxygen‘ gemurmelt. Im Inhalationsraum um die Ecke entdeckte ich dann meinen Kollegen Alex, einen Tupfer auf die Armbeuge eines Patienten drückend. Komisch, was macht der denn? Der Notfallkoffer ist ja auch da! Er erklärt kurz: Der Patient hat eine Lungenentzündung und wahrscheinlich auch eine Blasenentzündung und mit seiner COPD jetzt grad ein echtes Atemproblem. „Can you call the ambulance?“ – seine Frage an unseren Übersetzer. Ein ratloser Blick – „Charles ist not here. We don’t have the number!“. Die entgeisterte Antwort meines Kollegen „That is not possible!“ reicht nicht, er muss noch zweimal erklären, dass er es ernst meint und wir hier einen Krankenwagen brauchen.
Daraufhin kriegt unser junger Übersetzer dann doch Angst, und versucht zitternd die siebenstellige Notfallnummer, die wir in der Zwischenzeit gefunden haben einzutippen. Also damit waren wir ja schon auf einem guten Weg. Aber dann kam dann der stellvertretende Leiter unserer Ambulanz: Krankenwagen gibts nicht, zu teuer. Mehrminütige Telefonate mit unserem Chef hier; die Entscheidung lautet: CNG!
Mit dem CNG ins Krankenhaus
Braucht man mit einer initialen Raumluftsättigung von 64% wirklich einen Krankenwagen? Also eigentlich gibt sich das nach Prednisolon und Inhalieren mit Sauerstoff eh etwas, SpO2 74% – was tun? Krankenwagen – zu teuer! CNG – geht gar nicht finden wir! Sauerstoffflasche ins CNG mit rein und dann ins Krankenhaus – geht eigentlich auch nicht, ist aber der einzige Kompromiss. So richtig vertrauenserweckend finde ich die Sauerstoffflasche auch ohne CNG mit seinem tollen Gas-Tank nicht. Aber immerhin keine Rikscha… Letztendlich ist die Sauerstoffflasche eh leer und der zähe Bengali fährt mit seiner 70er-Sättigung in Begleitung seiner exazerbierten COPD und Pneumonie im CNG zum Krankenhaus. Ganz schön nervenaufreibend, aber zum Glück geht alles gut. Soviel für heue; die nächste Geschichte aus der Ambulanz folgt im 5. Teil meines Einsatztagebuchs!
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