Hilfe auch in schwierigen Zeiten
Ein Bericht von German Doctors-Langzeitarzt Dr. Tobias Vogt aus Kalkutta
Einmal mehr berichte ich über die gute Zusammenarbeit zwischen unseren Unterstützern von Pro-Interplast und den German Doctors, vertreten durch mich hier in Kalkutta! Das Jahr 2020 ist wohl für jeden Weltenbürger anders gelaufen als erwartet. Indien wurde unversehens zum Zentrum einer Epidemie durch das Coronavirus, und das hatte und hat bis heute profunde Auswirkungen auf das Gesundheitssystem des Landes und auf die Chancen vieler Patienten, ihre Krankheit in den Griff zu bekommen.
Lockdown in Indien
Zunächst gab es ab März eine dreimonatige Ausgangssperre, von der auch die German Doctors nicht ausgenommen wurden. Einzig staatlich bestellte Ärzte durften / mussten arbeiten. Während die anderen German Doctors bald das Land verlassen mussten, blieben unsere indischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ich hier zurück. Wir konnten nur noch die stationär versorgten Kranken unserer eigenen Krankenhauser weiter im Auge behalten und behandeln.
Zum Zeitpunkt des plötzlichen Beginns der Ausgangssperre war eine gute Zahl an Patienten in unseren beiden Tuberkulose-Krankenhäusern in stationärer Behandlung, und die meisten entschieden sich dafür, im Krankenhaus zu bleiben. Denn draussen arbeiteten die niedergelassen Ärzte mit ihren zahlreichen Praxen nicht mehr, und auch die ambulanten Dienste der German Doctors und des St. Thomas Homes waren geschlossen. Schnelle Hilfe konnte niemand erwarten. Ausserdem verloren viele Familien in den Monaten der Ausgangssperre ihr Einkommen. Gerade die auf Tagelohnbasis arbeitenden Männer der unteren sozioökonomischen Schicht konnten nicht mehr arbeiten, weil alle Fabriken und Baustellen geschlossen waren. Ohne Tagelohn waren diese Familien bald mit ihren Ressourcen am Ende, und es gab Familien, die schlichtweg nichts mehr zu essen hatten. Die stationär versorgten Patienten unserer Krankenhäuser waren über die prekäre Situation zuhause informiert, und blieben aus ganz nachvollziehbaren Gründen lieber im Krankenhaus als auf Entlassung zu drängen.
Zusammenarbeit mit einheimischen Ärzten
Zum Glück hat es Pro-Interplast in dieser Zeit mit einer grosszügigen Spende ermöglicht, dass Nahrungsmittelpakete für Familien ohne Einkommen und ohne Essen ausgegeben werden konnten, und tausende Menschen haben sich über diese Pakete sehr gefreut. Sie enhielten nur Grundnahrungsmittel wie Reis, Erbsen, Öl, Kartoffeln usw., nichts Verderbliches oder Teures. Ab Juli / August 2020 war es uns möglich, die ambulanten Dienste der German Doctors und des St. Thomas Homes Schitt für Schritt wieder aufzunehmen. Bis heute stellt Indien aber keine Visa an deutsche Staatsbürger aus, und neue German Doctors können nicht ins Land kommen. Wir haben indische Ärzte gefunden, die zusammen mit den einheimischen Mitarbeiterinnen und mir, und für gute Entlohnung den Dienst in den Slums tun, den sonst die deutschen Einsatzärzte leisten würden. Im grossen Ganzen läuft die Zusammenarbeit mit den indischen Ärzten gut.
Aber es hat sich auch das Gesundheitssystem des Landes verändert: Viele Ärzte und Krankenschwestern infizierten sich mit dem Coronavirus, und einige von ihnen starben auch daran. Ganze Stationen wurden unter Quarantäne gestellt oder geschlossen. Und ganze Krankenhäuser wurden vom Staat in Krankenhäuser nur für Covid 19-Patienten umfunktioniert. Ärzte, die finanziell gut gestellt sind, blieben einfach für Monate zuhause, oder sind nur noch über das Internet ansprechbar. Viele Patienten mit anderen Krankheiten als Covid 19 fanden in den staatlichen Krankenhäusern und Ambulanzen keine Ansprechpartner mehr. So erging es auch den Patienten, die pro-interplast zusammen mit mir betreut: es gab keine Krankenhäuser und Ärzte mehr, die Operationen vornehmen wollten. Entweder waren die Beteiligten selbst krank oder in Quarantäne, oder unsere Vertagskrankenhäuser waren umfunktioniert in Covid 19-Krankenhäuser, oder Patienten wurden nur mit einem negativen Corona-Test stationär aufgenommen, an dem man aber als Normalverbraucher aber nicht gut herankam. Schliesslich haben Krankenhäuser sogar stationäre Aufnahmen von Patienten abgesagt, weil im Krankenhaus so viele Bedienstete mit dem Coronavirus infiziert waren bzw. so viele Kontakte von Coronavirus-positiven Bediensteten im Krankenhaus arbeiteten, dass stationär aufgenommene Patienten ein zu hohes Risiko hatten, wahrend des stationären Aufenthaltes von Krankenhaus-Bediensteten infiziert zu werden.
Die Schattenseiten der Schutzmaßnahmen
All dies führte dazu, dass wir in den Monaten März bis Juli nur wenigen Patienten mit einer Operation helfen konnten. Viele Patienten mussten sehr lange auf eine Operation oder andere Hilfe warten, und viele Kranke haben die Ausgangssperre und die Veränderungen des Gesundheitssystems in diesen Monaten mit ihrem Leben bezahlt. Diejenigen Ärzte und Kliniken, die bereit waren, Patienten von uns zu operieren, sofern ein negativer Corona-Test vorlag, verlangten das Doppelte von dem, das wir sonst dort zu bezahlen haben.
Inzwischen spielt sich manches wieder ein, aber auch wir hatten drei Fälle von Covid 19 beim Personal, und einer davon ist dem Tod nur noch sehr knapp von der Schippe gesprungen. Weiterhin können wir nur vielleicht die Hälfte der Patienten versorgen, die wir sonst versorgt hätten, und oft stellen sich mehr Patienten bei uns an, als wir an diesem Tag sehen können. Für alle von uns gilt ein strenges Gebot, nur mit Maske, Haube, Kittel und Handschuhen zu arbeiten. In der Schutzkleidung wird es an heissen Tagen etwas ungemütlich, und man verliert ganz viel Flüssigkeit. Dennoch ziehen wir diese persönlichen Schutzmassnahmen ausnahmslos an.
Tuberkulose ist weiterhin eine Gefahr
Die Patienten der Stationen unserer beider Tuberkulose-Krankenhäuser dürfen schon seit sieben Monaten keine Besucher mehr empfangen, aber sie haben von uns ein für sie kostenloses Telefon zur Verfügung gestellt bekommen. Zwischendurch gab es noch einen Zyklon in Indien, der an einigen unserer Einrichtungen schwere Schäden angerichtet hat, und bis heute ist nicht alles repariert worden. Trotz dieser Umstände konnten Patienten operiert werden wo immer es möglich war, und pro-interplast war mal wieder der Leuchtturm für viele ʺauf rauher Seeʺ!
Die hiesige Tuberkulose-Epidemie hält nicht still weil gerade auch eine andere Epidemie abläuft. Die Tuberkulose kommt weiterhin so häufig vor wie auch sonst, und wie auch in Vorjahren so machen auch dieses Jahr die Patienten mit Tuberkulose das Gros der Patienten aus, die pro-interplast hier operieren liess.
Dabei geht es, wie auch schon seit Jahren, am häufigsten um die Krankheit der Tuberkulose der Wirbelsäule, welche grosses Leid und Schäden anrichtet und im schlimmsten Fall auch eine Querschnittslähmung bewirkt. Mir wurde ein Patient bekannt, der im März (kurz vor dem Beginn der dreimonatigen Ausgangssperre) an einer Tuberkulose der Wirbelsäule erkrankte und auch eine Querschnittslähmung erlitt, und er fand keine Hilfe bis August, als wir unsere Ambulanzen wieder eröffnet haben. So wurde er erst mit mehrmonatiger Verspätung operiert, und das hat Auswirkungen auf seine Chancen, nochmal ans Laufen zu kommen. Es gab in den Monaten der Ausgangssperre kaum einen Arzt, den er hätte erreichen können, und es gab auch keine Transportmittel, mit denen ein querschnittsgelähmter Mann hätte transportiert werden können. Busse und S-Bahnen fuhren nicht, genauso wie die Mini-Taxen. Es ist ein pathetischer ʺFallʺ eines Menschens, den die Epidemie und die Veränderungen des Gesundheitssystems zur Unzeit getroffen haben, zu einem Zeitpunkt als er gerade dringend Hilfe brauchte.
Medikamentenresistenz häufig in Kalkutta
Hinzu kommen Patienten mit Tuberkulose der Halslymphknoten, die in den letzten 12 Monaten operiert worden sind. Dabei handelt es sich um Patienten, die am Hals einige rund Walnuss-grosse, oft als Gruppe mehrerer Knoten zusammenstehende Schwellungen haben. Die Lymphknoten sind ja so etwas wie die ʺPolizeiwachenʺ unseres Körpers, und wenn sie anschwellen weiss man, dass etwas Böses im Gange ist, und so ist es ja auch. Der Körper wehrt sich gegen die Tuberkulosebakterien, aber er wird mit ihnen nicht fertig. Je grösser die Lymphknoten sind, um so heftiger findet diese Auseinandersetzung statt. Manchmal ist es notwendig, grosse Lymphknoten herauszuoperieren. Damit schafft man auch viele ʺBösewichteʺ erst einmal weg, und so bekommt das Ganze wieder eine Chance zu heilen. Natürlich müssen die Medikamente weiter eingenommen werden, aber vielleicht nicht mehr ganz so lange wie ohne eine Operation. Und wir brauchen manchmal auch Lympknoten-Gewebe eines einzelnen Patienten, das wir mikrobiologisch untersuchen lassen können. Dann kann uns das Labor die Frage beantworten, auf welche Tuberkulose-Antibiotika dieses Bakterium überhaupt noch anspricht, d.h. welche Antibiotika das Bakterium noch abtöten können. Es ist keinesfalls selbstverständlich, dass die seit 50 Jahren gut bekannten Tuberkulose-Antibiotika auch heute noch wirken, denn das Bakterium kennt diese immer selben eingesetzten Antibiotika inzwischen auch ziemlich gut, und es hat Abwehrmechanismen entwickelt, die es vor diesen Medikamenten schützen. Das Problem der Antibiotika-Resistenz sehen wir sehr häufig hier in Kalkutta, und eine Information aus einem Labor, welches Antibiotikum wirkt und welches nicht, kann einen grossen Unterschied für Patienten ausmachen.
Eine dritte Gruppe von Patienten sind solche mit schweren Verbrennungswunden oder mit sehr harten Narben, die die Beweglichkeit einer Gliedmasse einschränken. Schwere Verbrennungsunfälle werden hier derzeit zum Glück weniger, weil weniger Familien mit einem Kerosinkocher kochen, aber sie kommen noch vor. Patienten haben nach einer Verbrennung oft sehr feste Narbenstränge und können sich dann nicht mehr gute bewegen. So etwas kann von einem plastischen Chirurgen wieder normalisiert werden. Dabei geht es nicht darum, das Aussehen des Patienten und ihrer Narben zu verbessern, sondern um Beweglichkeit wieder herzustellen.
Wollen wir hoffen, dass das neue Jahr uns etwas mehr Spielraum gibt als das letzte Jahr mit seiner Corona-Epidemie. So wäre es für die vielen Kranken hier das beste. Ich werde alles dransetzten um Patienten, die eine Operation brauchen, auch operiert zu bekommen.
Danke Tobias , daß Du uns die Probleme so plastisch geschildert hast.. Die Menschen in Indien hat es besonders hart getroffen .Eigentlich können wir da jetzt nur mit Geld helfen.
Ich danke Ihnen herzlich für Ihre jahrelange wertvolle Arbeit,
Renate Weber–spelsberg,Kierspe bei Lüdenscheid
Hallo Tobias,
keine Ahnung, ob du diese Nachricht lesen kannst und dich überhaupt an mich erinnerst. Wir haben vor einer halben Ewigkeit in Düsseldorf gemeinsam Medizin studiert. Durch Zufall habe ich neulich erfahren, was du seit vielen Jahren für die Menschen in Kalkutta auf die Beine gestellt hast. Dafür meinen allergrößten Respekt, es ist bewundernswert, was du mit deinem Team dort für die Bevölkerung bewirkst. Alles Gute für dich und viele Grüße, Sevinc.
Hallo Tobias, immer wenn ich an meine Einsätze zurückdenke, denke ich als Erstes an Dich und Deinen
enorm langen Einsatz mit dem täglichen Kampf gegen die Tuberkulose und all die Krankheiten aller Art. Aber nicht nur das, Du warst uns damals auch Vorbild mit Deinem speziellen medizinischen Wissen und hast uns manches Mal aus der Patsche geholfen, als wir wir mit dem Patienten nicht weiter wussten.
Speziell Kalkutta bleibt mir bleibt mir besonders in meinem inzwischen 86-jährigen Gedächtnis, und ehrlich gesagt, ich liebe diese Stadt mit allen ihren Schwächen aber auch Stärken. Ich nehme mal an, Du erinnerst Dich noch an mich. Bleib gesund und mach weiter; great! Liebe Grüße von Ulf Siebel