Ein sicherer Ort

Ein Bericht von Swiss Doctors-Präsidentin Dr. Gudrun Jäger aus Serabu

Anlässlich eines Aufenthaltes in Sierra Leone im November diesen Jahres hatte ich Gelegenheit, das Safe home der Organisation Commit and Act in Makeni zu besuchen. Seit Oktober besteht eine enge Zusammenarbeit und Unterstützung der Arbeit durch die German/Swiss/Austrian Doctors, und daher war ein Besuch des Safe home eine willkommene Gelegenheit, die Organisation persönlich kennen zu lernen und die Arbeit vor Ort zu sehen.

Commit and Act wurde während der Ebola Epidemie 2014 gegründet von Hannah Bockarie zur Unterstützung der Ebola Überlebenden. In den folgenden Jahren erfolgte eine Ausweitung und Focusierung auf 2 Schwerpunkte: der Kampf gegen die Genitalverstümmelung (Female genitale mutilation, FGM) und die sexuelle Gewalt gegen Mädchen. In beiden Bereichen verzeichnet Sierra Leone hohe Zahlen, welche die Bedeutung der Thematik anzeigen.

Fast alle Frauen leiden unter der Praxis

Ein großes Plakat thematisiert das gesellschaftliche Problem

Gemäss Zahlen von Unicef ( Daten bis zum Jahr 2015) haben ca.  90% der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren die Genitalverstümmelung erfahren.  In Sierra Leone findet die FGM oft im Rahmen von Initiationszeremonien statt und ist fester Bestandteil der Tradition und Kultur. Daher ist- auch wenn die FGM inzwischen verboten ist- der soziale Druck durch die Community  gross und eine Verweigerung schwierig. Der Ansatz zur Bekämpfung dieser Tradition erfolgt daher auf mehreren Ebenen und ist vielfältig. Commit and Act führt Bewusstseins – und Sensibilisierungskampagnen in den Dörfern und Schulen durch und versucht die Mädchen zu stärken im Sinne von „my body, my right“. Dahinter steht auch das Wissen, dass gebildete Mädchen und Frauen die FGM eher ablehnen und die Komplikationen und negativen psychosozialen Folgen kennen. Ein weiterer Ansatz besteht darin, den Eltern, die sich verpflichten, ihre Töchter nicht der FGM zu unterziehen, eine monatliche finanzielle Unterstützung zu geben für den Schulbesuch.

Die Mädchen in dem Programm werden regelmässig untersucht, um zu gewährleisten, dass sie nicht heimlich der FGM unterzogen wurden.  Insbesondere die Ferienzeiten und die Feiertage sind eine gefährliche Zeit für die Mädchen, da sie zu der Familie in die Dörfer geschickt werden, wo die FGM im Rahmen der Feierlichkeiten und Bundu Zeremonien durchgeführt werden. Nur durch regelmässige und stetige Überzeugungsarbeit und Sensibilisierung wird es zukünftig möglich sein, die Zahlen der FGM zu reduzieren und diese Praktiken zum Verschwinden zu bringen.

Wiedergutmachung

Eine symbolische Nachstellung der Wiedergutmachung

Der 2. Schwerpunkt der Arbeit von Commit and Act betrifft die leider häufige sexuelle Gewalt an jungen Mädchen und Frauen. Schätzungen vermuten, dass jede 2. Frau in Sierra Leone in ihrem Leben sexuelle Gewalt erfährt. Die hohe Zahl an Vergewaltigungen führte auch 2019 zu einem Aufruf des Präsidenten und einer besonderen Unterstützung durch die Frau des Präsidenten ( Foto ).  Immer wieder führen die Vergewaltigungen auch zu Schwangerschaften, einige der Mädchen sind erst 11 oder 12 Jahre alt zum Zeitpunkt der Vergewaltigung und dadurch erhöhten Risiken in der Schwangerschaft ausgesetzt ( in Sierra Leone ist die Abtreibung illegal). Commit and Act unterstützt die Opfer sexueller Gewalt, indem sie im Safe home einen temporären Rückzugsort bekommen. Im Safe home in Makeni können rund 25 junge Mädchen eine Unterkunft bekommen. Es erfolgt eine medizinische Untersuchung durch eine weibliche Health workerin und die psychosoziale Betreuung zur Aufarbeitung der Gewalttat wird in die Wege geleitet.  Es erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit dem Ministry of Social Welfare und der Polizei.

Ein sicheres Zuhause für Frauen in Not

Auch wird der Kontakt zu der Familie und der Dorfgemeinschaft gesucht und die mögliche Rückkehr zu der Familie- oder wenn dies nicht möglich ist- zu anderen Verwandten vorbereitet. Eine eindrückliche Verarbeitung wurde mir bei meinem Besuch dargestellt: in der Dorfgemeinschaft wird durch Mitarbeiter von Commit and Act eine sogenannte Wiedergutmachung durchgeführt: dies bedeutet, dass  betroffene Kinder  in einen Kreis genommen werden, umgeben von der Dorfgemeinschaft; und gemeinsam erfragt und herausgearbeitet wird, dass das Kind Teil des Dorfes ist und Schutz durch die Gemeinschaft erfahren soll. Dieser Vorgang und Prozess soll der Stärkung der Gemeinschaft und sozusagen der Wiederaufnahme des Kindes dienen, indem die ganze Community mit die Verantwortung übernimmt und den Schutz der Kinder als Ihre Aufgabe sieht. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Sensibilisierungen und Awareness Kampagnen  in den Communities, Schulen und Krankenhäusern; so ist auch im Herbst 2020 erneut im Serabu community Hospital eine Schulung durch die Gründerin von Commit and Act , Hannah Bockarie, durchgeführt worden. Nur durch den multimodalen Ansatz und die Arbeit an der Basis ( mit Unterstützung der Regierung) ist  zukünftig eine Reduktion der sexuellen Gewalt, die die jungen Frauen erleiden müssen, möglich.