Chicken pox? Noch nie gehört!

Ein Bericht von German Doctors-Ärztin Dr. Rosemarie Pichler aus Kalkutta

Ich wollte schon immer medizinische Nothilfe in einem Entwicklungsland leisten und nun liegt der erste Einsatz in Kalkutta hinter mir. Die Gefühle fahren Achterbahn, die Gedanken Karussel – ein Zustand, der auch acht Tage nach Rückkehr noch anhält… Aber der Reihe nach: Vor der Abreise beschleicht mich ein zunehmend mulmiges Gefühl; die Angst vor dem Ungewissen, der große Respekt vor der neuen Aufgabe, die andere Kultur. Heute weiß ich: Nicht nur eine andere Kultur erwartete mich – es war ein Eintauchen in ein anderes Universum…

Team German Doctors

Das Team der German Doctors in Kalkutta

Drei von sechs Wochen in Kalkutta habe ich mich in geistig, seelisch, körperlich, emotionalem Ausnahmezustand gefühlt – dazu die große Hitze und 70-80% Luftfeuchtigkeit. Der heißeste Sommer in Indien seit 50 Jahren. All das habe ich tagsüber ausgeblendet, haben mich doch die Patienten, ihre Beschwerden und die nur geringen zur Verfügung stehenden Mittel ausreichend beschäftigt. Mehr Ärger hatte ich dann schon mit schlaflosen Nächten – denn noch ein winziges, trockenes Areal auf der durchgeschwitzten Matratze zu finden, war die nächste Herausforderung.

Medizinische Nothilfe unter schwierigen Bedingungen

Meine vier Arbeitsplätze waren unterschiedlich ‚komfortabel‘; wenn ich Sterne vergeben müßte: Foreshore Road, der Luxustempel ***, Shengail**, Bhojerhat ** und Tikia Para minus 3*. Dieser Arbeitsplatz ist eigentlich eine Zumutung: Straßenlärm mit permanentem Gehupe auf der einen Seite, die Eisenbahn auf der anderen Seite. Der Kompressor, der Strom für Licht und die Ventilatoren liefern soll (hin und wieder aber halt auch nicht) ist ohrenbetäubend laut – und vor dem Untersuchungszimmer hört man lautstark um einen Platz kämpfende Patienten. Herz oder Lunge abhorchen? Ein phantastisch, phantasievolles Unterfangen. Blutdruck messen? Töne hören? Oftmals unmöglich. Ablesen erfolgt nach Gefühl und nach dem Ausschlag des Zeigers…

Medizinische Nothilfe in Indien

Einsatzärztin Dr. Pichler leistet medizinische Nothilfe

Meine beiden Übersetzerinnen Esther und Nasima entpuppen sich als wahre Goldschätze, sie tragen mich durch die ersten Tage und Wochen – sind mein Rettungsanker! „Doctor: …chicken pox“… ich: Keine Ahnung, dass „chicken pox“ Windpocken sind… Nach drei Wochen taue ich auf, alles wird ‚rund‘, ich fühle mich wohl und zu Hause – überlege, wie ich es anstellen könnte, zwei Einsätze in Folge zu leisten… An den Wochenenden gibt es Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung: Sunderbans, Varanasi, Shantiniketan.

Und schon sind die sechs Wochen um…

Wenig Luxus in den Behandlungsräumen

Wenig Luxus in den Behandlungsräumen

Ich konnte einen Arbeitstag länger bleiben, aber eh ich mich’s versah, wartete der Fahrer und brachte mich zum Flughafen von Kalkutta und – siehe oben – beginnen die Eindrücke der letzten sechs Wochen Achterbahn zufahren. Gedanken und Erinnerungen sind noch frisch und ich habe Heimweh nach Howrah, obwohl ich noch gar nicht abgeflogen bin… Der dringende Wunsch, im nächsten Kalkutta-Einsatz all das anzuwenden und umzusetzen, was ich im ersten mühsam erarbeitet habe, lässt mich – zu Hause angekommen – sofort den nächsten Einsatz buchen… Es gibt somit einen ‚Wiederholungstäter‘ mehr bei den German Doctors – ich werde wiederkommen, um erneut medizinische Nothilfe zu leisten!