Das Gefühl, noch nicht fertig zu sein

Ein Bericht von Einsatzarzt Dr. Peter Hartmann aus Mindoro

Seit 2002 betreiben German Doctors ein Gesundheitsprojekt auf Mindoro, der 7. größten Insel des philippinischen Archipels, südwestlich der Hauptinsel Luzon. Zwei ÄrztInnen kümmern sich um die medizinische Versorgung des indigenen Volkes der Mangyans, die – von den „modernen“ Philippinos verdrängt und vergessen – in den Bergen leben, weitgehend ohne Anbindung an Sozial-oder Gesundheitssystem. Von zwei Standorten aus besuchen die Ärzte mit einem Team (Fahrer + drei Health Workern) als mobile Sprechstunde -„rolling Clinic“- die oft abgelegenen Dörfer, die von den PatientInnen oft erst nach langen Fußmärschen erreicht werden.

Die Mangyans sind auf den Ausbruch von Covid19 nicht vorbereitet

Nachdem ich Ende 2019 meine Arbeit in unserer allgemeinmedizinischen Praxis in Münster beendet hatte, war ich sehr froh ab Mitte Februar als German Doctor auf Mindoro arbeiten zu können. Nach zwei sehr abwechslungsreichen Reisewochen durch die philippinische Inselwelt war ich zunächst eingeladen an der feierlichen Graduation von 51 frisch durch die German Doctors ausgebildeten Community Health Workern (48 Frauen, 3 Männer) im Süden von Mindoro teilzunehmen. Und dann begann mein Einsatz, unsere täglichen Fahrten und Sprechstunden mit der Rolling Clinic von Victoria, dem nördlichen Standort aus. Habe ich ausgesprochen gerne gemacht. „Corona“ war auch schon zu dieser Zeit ein Thema, aber weit weg, in China oder vielleicht ein bisschen auch in Manila. Am 12.03.2020, Donnerstag Abend, Beginn des freien Wochenendes in Puerto Galera, ein Urlaubsort im Norden Mindoros, breaking news: Lockdown, innerhalb von 48 Stunden wird jeglicher Verkehr vollständig eingestellt, Flüge, Schiffe, Busse, Jeepneys, Taxi. Es ging dann alles sehr schnell, auch mit Hilfe des Teams konnte ich alles so organisieren, dass ich Sonntag früh in Frankfurt landete. Am Flughafen interessierte es niemanden, wo ich herkam.

Ich hätte gerne weiter gemacht

Das war alles viel zu plötzlich, zu abrupt, ich hatte das Gefühl noch nicht fertig zu sein, hätte gerne weiter gemacht, hatte mich nicht einmal vom Team verabschieden können. In den ersten Tagen gingen etliche E-Mails, What’s App-Nachrichten hin und her. Wir konnten uns versichern, dass es uns persönlich gut ging, niemand direkt von SARS-CoV2 betroffen war und wie unsere Lebensumstände verändert waren. Klar war, dass über lange Zeit kein Arzt/Ärztin aus Deutschland fliegen könnte. Aber bald erfuhren wir hier in Deutschland, dass das das German Doctors– Team wieder unterwegs war, die täglichen Touren wieder aufnehmen konnte, die Versorgung mit Dauermedikamenten gewährleisten, über Corona, Schutzmaßnahmen, Verordnungen etc. informieren und Lebensmittel, Hygieneartikel, Hilfsmittel verteilen konnte.

Schon Ende März erreichte mich und die anderen ÄrztInnen, die zuletzt auf Mindoro waren, die Anfrage aus Bonn, ob wir als „Back-up aus der Ferne“ bei medizinischen Fragestellungen aus Mindoro zur Verfügung stehen. Die Mitarbeiter vor Ort und federführend Joelyn, die COO ( Chief Operating Officer), sprich Projektleiterin der German Doctors auf den Philippinen, hatten darum gebeten. Innerhalb eines Tages waren alle KollegInnen nicht nur einverstanden, sondern – glaube ich – sehr erfreut sich wieder einbringen zu können. Gaby Knecht und ich sind seitdem für das Nordteam, vier weitere Kollegen für den Süden aktiv. Anfangs lief die Kommunikation über What’s App, zunächst etwas verzögert. Die Healthworker vor Ort mussten erst mit Smartphones ausgerüstet werden und in der Übermittlung der Patientendaten und -beschwerden geschult werden. Die Kommunikation per What’s App lief zunächst schleppend, da die App auf den Philippinen nicht sehr verbreitet ist und nicht überall funktioniert. Anfang Mai hatte dann Joelyn eine Facebook Messenger Gruppe etabliert, die seitdem die direkte, unkomplizierte Kommunikation mit den Mitarbeiterinnen vor Ort ermöglicht.

Diese besuchen weiterhin in vierwöchigem Rhythmus die Dörfer, werden aber auch per Smartphone von den Healthworkern in den Dörfern informiert und angefragt bei akuten Erkrankungen. Dieser Austausch vor Ort ist oft erschwert durch schlechte Internet- und Telefonverbindungen, an manchen Orten muss man auf den Berg steigen um ein Netz zu finden, bei starkem Regen noch mal mühsamer. So gibt es an manchen Tagen „no patients today“, an anderen auch mal Zwanzig.

Tuberkulose in allen Variationen

Die häufigsten Konsultationen erfolgen wegen dermatologischer Probleme: Hautpilzerkrankungen, Ekzeme, Abszesse, Verletzungen, unklare Schwellungen, Verdickungen lassen sich auf den Fotos relativ gut präsentieren. Dann oft Fragen zu erhöhtem Blutdruck, Überfunktion, Vergrößerung der Schilddrüse, seltener anderen Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes oder Gicht. Atemwegserkrankungen, die bei den Sprechstunden in den Dörfern eine große Rolle spielten, sind ohne körperliche Untersuchung natürlich nur eingeschränkt beurteilbar, Empfehlungen zur Asthmabehandlung oft eindeutiger zu geben, wobei wir hier, wie auch bei anderen Erkrankungen in der Auswahl der Medikamente sehr beschränkt sind. Bei Zahnschmerzen, „dicker Backe“ bleibt nur der Rat einen Zahnarzt aufzusuchen, alternativ ein Schmerzmittel zu nehmen, bis der Zahn wieder Ruhe gibt oder ganz zerstört ist.

Eine Patientin mit Wirbelsäulentuberkulose

Während meiner Zeit auf Mindoro war ich erschrocken über die Häufigkeit von Tuberkulosen, Lungen-TBC bei Erwachsenen, Tuberkulose außerhalb der Lunge bei Kindern und Jugendlichen, vor allem Wirbelsäulentuberkulose. Gleichzeitig war ich sehr angetan von der Konsequenz und der Effektivität der Diagnostik und Therapie unter den problematischen Bedingungen. Dieses TB-Programm läuft weiter, in Zusammenarbeit der German Doctors mit staatlichen Stellen. Gerade in den letzten Tagen wurden uns wieder etliche PatientInnen mit dringend verdächtigen Symptomen einer Lungentuberkulose vorgestellt. Im Wechsel und Zusammenarbeit mit Dr. Gaby Knecht beantworten wir die Fragen zeitnah. Auch bei wechselseitigen Nachfragen, fehlenden Infos, Alternativen zu aktuell nicht vorhandenen Medikamenten oder auch über die aktuelle Coronasituation klappt der Austausch mit den Mitarbeiterinnen vor Ort wirklich hervorragend.

Corona hat die Philippinen natürlich auch hart getroffen, insbesondere der Großraum Manila ist weiterhin durch die strengsten Lockdownmaßnahmen in Südostasien beeinträchtigt, die Menschen leiden massiv unter der dadurch verschärften sozialen und finanziellen Not. Die oft brutale Politik der Duterte-Regierung macht es sicher nicht einfacher. Anfangs traten auch auf Mindoro Coronafälle und mindestens fünf Covid19-Todesfälle auf. Aktuell gebe es auf der Insel 57 gemeldete Coronafälle. Drei Tage lang, Anfang Juli trugen die Mangyans Gesichtsmasken, die Gemeindevorsteher hätten es bei Kontakt mit den German Doctors gefordert, zwischenzeitlich schien das niemanden mehr zu kümmern. In den letzten Tagen waren wieder alle PatientInnen mit Masken zu sehen. Es ist zu hoffen, dass das Virus die Dörfer der Mangyans verschont. Social distancing wäre bei den Lebens-und Wohnbedingungen absolut nicht durchführbar. Keiner kann wissen, wie es mit der Coronapandemie weiter gehen wird. Dennoch hoffe ich, dass es im nächsten Jahr wieder möglich sein wird auf die Philippinen zu reisen und dort wieder als German Doctor zu arbeiten.