Eine letzte Nacht in Calapan

Teil 2 des Einsatzberichts von Einsatzärztin Dr. Christine Beis aus Mindoro

Ankunft am Doctors House

Willkommen in Calapan!

Aller Müßiggang hat sein Ende, die Stadt hat mich wieder. Calapan, mit 120 000 Einwohnern die Hauptstadt von Oriental Mindoro – nicht schön, nicht hässlich, eine asiatische Stadt eben; kein Moloch wie Manila; noch gemütlich, keine Hochhäuser, dafür mehr oder weniger verkommene Wohnhütten, mit kleinen Gärten mit vielen Hühnern und Hunden. Im Doctors-Haus  haben wir eine Katze. Sie wurde letzte Woche Christine getauft. Bis zu meinem Nachfolger. Halt, den wird es ja hier nicht geben, denn heute Nacht schläft das German Doctors-Team nach 15 Jahren zum letzten mal hier. Ab morgen sind wir im GD-Quartier in Socorro und in 10 Tagen wird das Team nach Victoria ins neue Doctors-Haus ziehen. Heute wurde schon eifrig gepackt. Ich war zuständig für die Entrümpelung der sich im Lauf der Jahre angehäuften Literatur meiner Vorgänger (u.a. eine aktuelle Rote Liste von 2002) und habe dabei einige sinnvolle Sachen gefunden. Morgen geht’s auf ein neues Abenteuer, Tour Nummer 2.

Sprechstunde mit Seeblick

Das Sprechzimmer auf Mindoro ist luftig und hell durchleuchtet

In Europa fast unvorstellbar – offene Praxisräume mit Blick zum See, Naujansee; dazwischen fast undurchdringbarer Dschungel. Heute fand die Sprechstunde im Mangyandorf Bahid in einem von irgendeinem Agrarverein hier zu Verfügung gestelltem Unterstand statt. Abgehängt wurde wieder notdürftig mit einer Art großer Betttücher (wie bei einigen Sprechzimmern bisher auch), die aber sowieso immer sinnlos sind, weil durch deren Löcher und Lücken ständig neugierige, sich amüsierende Dorfbewohner unser Tun beobachten – philippinischer Datenschutz!

Einigen Patientinnen ist es schon peinlich, sich auf die provisorische Liege zu legen und von mir z.B. den Bauch abtasten zu lassen. Viele Mangyans, ob Mann, Frau oder Kind tragen eine Art Strick um den Bauch, was vor Baucherkrankungen schützen soll. Leider hilft das nicht immer, sonst würden sie nicht die Sprechstunde der German Doctors konsultieren. Andere haben Vorgängermodelle des Europäischen Kinesiotapes im Gesicht, Schulter, oder da wo es eben wehtut – hilft auch nicht immer. Von Homöopathie hat hier noch keiner jemals was gehört, nicht einmal mein medizinisches Personal. Akupunktur dagegen ist zwar bekannt, macht aber keiner.

Das Abtasten durch die Ärztin ist für die Mangyans ungewohnt

Unsere begrenzt mitgebrachten Medikamente kann ich solange verordnen, wie der Vorrat reicht; alle Abgaben müssen durch meine Unterschrift bestätigt werden. Natürlich muss ich bei den Verordnungen oft kompromissbereit sein, denn entweder ist ein von mir gewünschtes Arznei gar nicht auf der Liste oder noch nie oder nicht mehr im Bestand. Aber eine Alternative habe ich bisher immer gefunden.

Meine Dokumentation in den gelben (für Erwachsene) und pinkfarbenen (für Kinder) Karteikarten, die von den Patienten mitgebracht werden, finden nach dem Soap-Schema statt; d.h.: S=Anamnese, O=Befund, A=Diagnose, P=Therapie. So können nachfolgende Kollegen die Krankengeschichte des Patienten gut nachvollziehen. Diese Karten werden bei den jeweiligen Dorfhelfern aufbewahrt und an die Patienten vor deren Behandlung ausgegeben. Das System ist einfach und ich komme damit gut zurecht. Jacky muss dann, meist am Abend, die Diagnosen des Tages in den PC übertragen. Ich habe auch die Möglichkeit, Überweisungen ins Provinzhospital zum Röntgen, oder zur weiteren Abklärung auszustellen oder auch sehr sehr begrenzt Labor anzuordnen, das von Rachel, der PTA abgenommen und nach Manila geschickt wird. Das Ergebnis hat man dann in 4 Wochen, wahrscheinlich! Sollten dann noch Beschwerden da sein, kann man sich ja nach dem Labor richten. Blutzuckermessungen, Urinstreifen- und Schwangerschaftstests werden auf Anordnung gleich von Rachel gemacht.

Noch acht Mal schlafen in Socorro… Ich hoffe, die Eidechsen im Zimmer und Mücken im Bad und hier auf der Veranda fressen mich nicht auf bzw. stechen mich nicht – bin gut moskitoabwehrend eingeschmiert.

Tanzende Seeprinzessinnen

Idyllische Atmosphäre am Seerosenteich

Auf der Hinfahrt in unser heutiges Zieldorf Mansarin fuhren wir an einem Weiher mit vielen wunderschönen pinkfarbenen Seerosen vorbei. Dabei musste ich an ein Märchen aus meiner Kindheit denken: „die tanzenden Prinzessinnen“ von der belgischen Königin Fabiola. Die Prinzessinnen tanzen darin nachts über den Teich und tagsüber schlafen sie als pinkfarbene Seerosen.

Das Dorf Mansarin: Wir hatten unsere Praxis in einer Art Kindergarten aufgebaut. Zur Zeit sind ja Ferien hier in den meisten Einrichtungen, aber nicht in allen, daher hatten wir viele Kinder und jugendliche Patienten. Aufgefallen ist mir, dass im Dorf einige blonde Kinder leben und Jacky hat mir bestätigt, dass es, wenn auch wenige, durchaus Mangyanfamilien mit hellerer Haarfarbe gibt. Nach der Sprechstunde waren wir dann endlich in einem richtig schönen Fleisch-, Fisch-, Obst- und Gemüsemarkt in Pinamayalan und haben dort kräftig eingekauft. Zur Belohnung gab’s dann Halo Halo.

Der Hausgockel, seines Zeichens angehender Kampfhahn

Und Zeit, unseren Hausgockel auf dem Baum zu malen, war heute auch noch. Er hat sich furchtbar aufgeregt und mich immer wieder angekräht, der arme Kerl. Er ist nämlich angebunden und soll zum Kampfgockel ausgebildet werden, wie viele seiner Artgenossen hier. Hahnenkämpfe lieben die Filipinos.  Und dann hatten wir noch Besuch von unseren Nachbarn, einigen Jungs der Mangiyantagesstätte. Sie laufen tatsächlich den ganzen Tag nackt  herum nur mit einer Schnur um den Bauch, mit oder ohne Lendenschurz, mit oder ohne Holzsäbel.

Sprechzimmer mit Flussblick

Heute war die Anreise in unser Dorf Libasan wieder abenteuerlich.  Zwei, wenn auch nicht viel, aber wasserführende Flußbetter haben wir überquert. Für Rolando und unseren GD-Ranger kein Problem. Wie funktioniert das nur in der Regenzeit?! Rolando sagt, dann fährt die Truppe eben Umwege… Hab ich ein Glück, dass ich in der Trockenzeit hier bin. Heute hat’s trotzdem geregnet und eigentlich genieße ich ja die Autofahrten, weil es unterwegs immer Interessantes zu sehen gibt. Libasan bekommt von mir den 1. Platz in der Pneumoniestatistik meiner bisher besuchten Dörfer. Die dafür typischen Abhörgeräusche sind bei den Mangyans sehr gut zu hören, da sie alle sehr schlank sind. Ich muss nur manchmal um Ruhe bei den Neugierigen vor dem Sprechzimmer bitten, die da keine Grenzen kennen.

Heute war wieder ein besonderes Spektakel geboten. Die Patienten, ihre Angehörigen und überhaupt das ganze Dorf scheinen an dem Tag, an dem die Rolling Clinic kommt, also alle vier Wochen, großes Dorftreffen zu haben. Alle bleiben stundenlang, tratschen, essen und lachen viel – ist sicher gut für die Seele. Ich habe auch wirklich den Eindruck, dass psychische Erkrankungen bei den Mangyans sehr viel seltener sind als in unserer Welt.

Die Sprechstunde ist für die Kinder besonders interessant

Heute hatte ich 116 Patienten und es waren sicher 400 Leute um mich und meine Sprechzimmerimprovisation. Alle sind sehr freundlich, teilweise, v.a. kleinere Kinder scheu. Die größeren lachen oder besser kichern meist ständig, finden mich und das, was ich tue wahrscheinlich recht exotisch (was ich ja wirklich nicht bin), aber hier gibt es außer alle vier Wochen einen German Doctor, keine Europäer. Ich mache ja viele Fotos, frage die Mangyans auch vorher, ob ich das darf. Erst sind sie meist nicht begeistert und dann werden sie, v.a. Kinder ab 2 Jahren, richtig fotogen und wollen sich dann oft auch die Bilder ansehen auf dem Handy. Sobald ich aber meine „Sprechstundenstalker“  fotografieren will, sind sie ganz schnell weg von der Bildfläche.

Manchmal bringen uns die Dorfbewohner Bananen, gekochte Kartoffeln oder kleine selbstgemachte Naschereien; von unserem Team wiederum bekommen diese dann Tücher und Decken, die von einer Großspende nach dem schlimmen Taifun im Dezember 2018 noch übrig sind. Es ist schon, trotz der Armut und dem Dreck in den Dörfern sehr viel Lebensfreude zu spüren. Heute hatte ich mal  einen „Praxisraum“ mit Blick zum Fluss!

Hinter den sieben Bergen…

Pferde sind in der Bergregion flexibler als die schweren Geländewagen

Heute kamen die Patienten, meist barfuß, wirklich über einige Berge in unsere Rolling Clinic, die irgendwo zwischen den Hügeln von Dumlig ihre Zelte aufgeschlagen hatte. Einige kamen sogar per Pferd. Hier gab es auffällig viele Pferde, weil die teils steinigen Berge mit einem Motorfahrzeug schlecht zu befahren wären und die Ernte von einer Art Rüben und vorwiegend Bananen sonst nicht transportiert werden könnte. Ich hab die Pferdetreiber beim Pferdebaden im nahen Fluss beobachtet und das Satteln der Pferde mit einem vielleicht hölzernen Gestell. Alles sehr interessant für mich. Interessant war auch, dass heute die meisten Patienten einen Schirm dabei hatten, als Sonnenschutz heute und sicher auch als Regenschutz, wenn’s regnet – keine Unterhose, aber Sonnenschirm! Die Filipinas haben immer Angst, braun zu werden; sie hätten auch gerne längere Nasen, schmalere Lippen.

Ganz tapfer hat der junge Mann den Eingriff überstanden

Heute waren die Patienten im Gegensatz zu gestern viel eiliger, weil derzeit diese Rüben geerntet werden. Sie hockten aber geduldig im Open-air-Wartezimmer, und haben nur gelacht. Ein 8-jähriger Junge hatte heute wenig zu lachen, war aber ganz tapfer, als ich ihm zwei große Abszesse über dem Augenlid eröffnet hab. Er ist dann mit Mutter und Geschwistern über einem der Hügel schnell verschwunden. Habe ich heute wirklich schon Halbzeit? Die Zeit vergeht wie im Flug!

Die Bergdoctora

Heute führte uns die Rolling Clinic-Tour auf erdigen Straßen und durch seichte Flüsse nach Apagnan, ein Dorf am Hang gelegen, die Praxisräume nur mit festen Schuhen erreichbar –  die Mangyans schaffen das barfuß, ohne einen Blick auf den Boden zu werfen. Hier sind sie allerdings auffällig sauberer als in einigen unserer bisherigen Dörfer, da viele Bewohner von der Reis-, Rüben-, Kokos- und Bananenernte leben. Eine Kokosnuss haben sie mir geschenkt. Gar nicht so leicht, diese zu essen oder die Milch davon zu trinken. Meine Zuschauer haben sich jedenfalls amüsiert. Bei meinem üblichen Dorfrundgang vor der Sprechstunde hat sich die Dorfjugend wieder gerne zum Gruppenbild fotografieren lassen, wie immer mit viel Gekicher… Sie sind schon nett. Ich hab dann noch einige Riesenschneckenhäuser gefunden. Rolando hat mich aufgeklärt: diese Schnecken leben hier auf den Bäumen und werden von den Bewohnern als Delikatesse gegessen, ich denke mal, vorher gekocht?

Eine Kokosnuss für Dr. Beis

Auffallend war heute mein letzter etwa 4-jähriger Patient (die meisten wissen nur ungefähr, wie alt sie sind). Er war wegen einer Hautkrankheit mit seiner Mutter und vier Geschwistern da. Aufgefallen ist mir gleich seine linke Hand, an der er sieben Finger hat. Er wirkte auch entwicklungsverzögert, hat nicht gesprochen, oder nichts verstanden, vielleicht noch andere innere Missbildungen? Jetzt hätte ich gerne ein Ultraschallgerät gehabt, weil bisher noch gar keine Diagnostik gemacht worden war. Aber die oder eine OP kann hier keiner bezahlen, und solange der Junge damit im Leben einigermaßen zurechtkommt, muss er damit zurecht kommen…

Und mein German Doctors-Team hat heute tatsächlich einen Karaoke Abend organisiert, weil ich immer davon gesprochen hab. Dabei will und kann ich gar nicht singen. Aber meine Helferinnen sind schon gerade am Üben. Der Karaoke Kasten steht nämlich schon auf unserer Terrasse in Socorro. Und viele Zuschau- und Zuhörer haben wir auch schon – die Nachbarmangyankinder.

Über eine Hängebrücke musst du gehen…

„Easy like a Sunday morning“… So wurde ich heute (einem Sonntag-Morgen) schon vom Karaoke-Kasten, der ja auf unserer Terrasse hier in Socorro die Nacht verbrachte, begrüßt. Leider wurde der „Sunday mornig“ nicht so „easy“. Erst war die Anreise in das Dorf Granvida sehr anstrengend, vor allem für unseren Fahrer Rolando und unser Fahrzeug; uns vier Mitfahrerinnen war nur übel. Die letzte Strecke von gut 40 Minuten waren wir im Schritttempo auf einem für Mountainbikeprofis geeigneten Weg unterwegs, bergauf, bergab, großsteinig, schlaglöchrig: furchtbar. Und beim Auspacken unseres Sprechzimmers hat mir Jacky dann erzählt, warum unsere Haushälterin Anne-Marie uns morgen verläßt. Bisher war daraus ein Geheimnis gemacht worden: sie hat Tuberkulose, ist seit zwei Wochen unter Behandlung (d.h. sie schluckt ihre Mehrwirkstofftabletten) und muss das ein halbes Jahr durchhalten. Dann darf sie wieder arbeiten und will dann aber gerne ins Ausland. Schade, ich habe sie sehr ins Herz geschlossen, mag ihre Küche sehr, sie kann gut Englisch, Singen… Und als ich so an Anne-Marie dachte, kamen zwei Patientenfamilien mit Säuglingen und mehreren Geschwistern, deren beider Mütter vor wenigen Wochen verstorben waren. Die jeweils älteste Schwester ist dann für ihre Geschwister zuständig, obwohl sie mit 12 oder 13 Jahren selber noch ein Kind ist; aber der Vater muss Geld verdienen; es gibt weder Kindergeld, noch Sozialhilfe, keine Tafel oder Sozialwohnungen… Das Leben kann hart sein.

Ein mulmiges Gefühl bleibt beim Betreten der Brücke

Granvida wäre eigentlich eine Nacht die Übernachtungsstation für unser GD-Team gewesen. Es gab wohl Probleme mit dem Besitzer dieses Bambushauses, so habe ich es nur von außen gesehen und bin nicht traurig, dass ich darin nicht schlafen muss! Granvidia an sich ist aber ein sehr pittoreskes Dörfchen an einem Hang mit einer interessanten Kirche, Schule und der einzigen Hängebrücke, die ich bisher auf Mindoro gesehen habe. Sie ist aber höchstens fußgängergeeignet. Hier wachsen Mandarinen und eine Art Äpfel, deren Schale aber nicht essbar ist – man löffelt sie aus. Wir hatten heute keine 50 Patienten, weil heute Mangyan-Wahl-Sonntag ist und uns am Hinweg schon einige Menschengruppen entgegengekommen waren. Sie nehmen viele Kilometer Fußmarsch in Kauf, um zum Wahllokal zu gelangen, was heute wichtiger war, als zum Arzt zu gehen. Jacky meint, die kämen dann alle morgen zu uns, da unsere Rolling Clinic  im benachbarten Tal sein wird. Ich habe aber bisher gelernt hier, dass man sich auf Vorhersagen nicht immer verlassen kann.

Ich denke, heute wird unsere letzte Nacht im Doctors-Haus in Socorro sein, weil wir morgen schon im neuen Haus in Victoria schlafen sollen. Mal schauen, ob das alles so klappt. Auf jeden Fall bin ich froh, das hier noch erlebt zu haben mitten unter Mangyans. Die Besuche der sehr scheuen, kaum bekleideten Kinder in Socorro werde ich vermissen, ebenso wie den alten Nachbarn, der den Garten, die Hühner und Gänse hier versorgt und immer sehr freundlich ist.

Kein Aprilscherz

Die Baustelle zwang uns zu einem Umweg

Es ist vollbracht! Nach ewigem hin und her ist das Nordmindoro-Team inklusive mir heute Nachmittag in das neue Doctors-Haus nach Victoria gezogen. Vorher waren wir bis 13Uhr in Bugton. Wegen einer Wegbaustelle (Straße wäre übertrieben!) konnten wir nicht zu der üblichen Stelle für die Praxis dort fahren; schnell wurde von den DOTs (German Doctors Helfern) improvisiert: wir wurden im Gemeindehaus untergebracht, die Medikamentenausgabe war im Sitzungssaal und die Anmeldung auf der Terrasse. Schnell wurden Tische angeschleppt. Und die DOTs in Bugton waren auch lustig und engagiert, ja richtig stolz auf ihren Freiwilligendienst. In anderen Dörfern ist das leider nicht immer so. Zu den Aufgaben der DOTs zählt das Wiegen und Blutruckmessen bei den Patienten, Abzählen von Medikamenten… Als Belohnung bekommen sie dann ein Mittagessen, Eier und Reis.

 

Der Chairman, nicht aus Deutschland

Rolando hat mir in Bugton einen Mann als „German“ vorgestellt; ich hab ihn natürlich auf Deutsch angesprochen und nachdem er gar nicht darauf reagiert hat, habe ich das ganze dann für einen Aprilscherz gehalten. Später hat sich dann herausgestellt,  dass er der „chairman“ ist, also der Dorfchef und durch und durch philippinisch! Es waren auffällig viele Tuberkulosekranke unter meinen Patienten heute. Auch ein 4-jähriger Junge mit einer Tuberkulose-bedingten Missbildung der Wirbelsäule (Gibbus). Er lebt eigentlich mit seiner Familie in den Bergen. Seit er und sein Vater aber krank sind, bleiben beide im Dorf hier, bis die 6-monatige Behandlung vorüber ist. Die Mutter wohnt und arbeitet weiterhin in den Bergen in der Landwirtschaft, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen – es gibt ja keine Sozialversicherung.

Und dann hieß es, das Doctors-Haus in Socorro auszuräumen und Abschied zu nehmen von Anne-Marie, vom Nachbarn, den immerhin schon winkend „bye-bye“ rufenden Mangyankindern dort, dem schönen Garten und in Victoria (der Nachbarsort heißt Gloria) alles wieder einzuräumen. Das Haus ist sehr schön und man merkt den italienischen Einschlag der 65-jährigen Besitzerin, einer philippinischen Lehrerin, die eigentlich in Rom nahe am Vatikan lebt und nur zur Zeit auf Besuch hier ist (einer ihrer Söhne wohnt im Nachbarhaus). Wegen des Umzugs blieb heute unsere Küche kalt, wir gingen ins „el barco“, ein zu einem Schiff umgebauten Restaurant. Unsere neue Haushälterin heißt Anna und kann leider kaum Englisch. Die GD-Chefin von Mindoro, Joelin,  kam dann am Abend zur Hausbesichtigung.

Graduation days in Conception

Früh lernen die Kinder die Arbeit auf der Insel kennen

Heute war das GD-Team in Conception. Wir hatten nur etwas über 30 Patienten, weil der Rest beim Feiern waren: Graduation-day, das ist die alljährliche Zeugnisvergabe, ein Anlass für Familie und Freunde, sich zu treffen, gemeinsam zu essen und zu feiern. Viele nehmen sich frei deshalb; so auch Cecile, deren Tochter morgen ihren Graduation-day hat – das hängt wohl von der Schule und dem Ort ab. Nachdem wir ja mittags schon wieder in Victoria waren, hatte ich nachmittags Zeit, ins Ortszentrum zu gehen, hab bei der kirchlichen Veranstaltung anlässlich des Graduation-days zugesehen und war dann am Markt, um mir Flip Flops zu kaufen, war dann ein bisschen enttäuscht von Victoria, das sicher nicht hält, was der Name verspricht.

Unser Mangyandorf Conception heißt nicht nur so! Es gibt viele kinderreiche Familien, obwohl Cecile alle 4 Wochen versucht, die Patienten über Verhütung, Familienplanung, Conception zu beraten. Einige wenige der Frauen nutzen die Gelegenheit, sich die 3-Monatsspritze kostenlos in unserer Rolling Clinic geben zu lassen, aber die meisten Familien haben mehr als drei Kinder. Ein etwa 20-monatiger Junge war heute in meiner Sprechstunde wegen Husten. Die auffällige Fußstellung beider Füße (Klumpfuß) und die fehlende linke Großzehe war mir schon im „Wartezimmer“ aufgefallen. Die Fehlstellung hätte man durch konsequente  Fußübungen wohl verhindern  können; aber so wird der Junge ohne Operation nicht laufen können, selbst wenn die Eltern die Übungen, die ich Ihnen gezeigt habe, machen würden. Jacky hat ihn auf eine Liste gesetzt, auf der Mangyans stehen, die einen Sponsor für eine Operation suchen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob seine Eltern dafür Verständnis hätten. Behinderte werden in ihren Mangyanfamilien behütet und versorgt und sind selbstverständlicher als in unserer europäischen Gesellschaft. Sie werden z.B. von ihren Angehörigen überallhin getragen, weil Hilfsmittel wie Rollstühle, Lifter einfach nicht da sind. Aber nicht nur die Namen der Orte klingen vielversprechend, auch sehr viele Namen meiner jungen Patienten: eine schmutzige kleine „Princess“, eine „Venus“, der ein Bad nicht schaden würde oder ein nackig verrotzter „Boy Charles“ sind nichts besonderes in meiner Sprechstunde.

 

Die Rolling Clinic kündigt sich im Dorf an, damit möglichst viele Patienten erscheinen

Und zum Abschluss des Tages war unser Team dann tatsächlich noch eingeladen zum Abendessen anlässlich der Graduation-Party von Jackys Neffen hier in Victoria – Gemeinsam essen mittags im Doctors-Haus, abends das Zeugnisfest! Und jetzt verstehe ich auch die Aufteilung unserer Tour, nachdem ich sie jetzt einmal durchgemacht habe: Mindoro besteht aus zwei Provinzen: Occidental- und Oriental-Mindoro. Die Tour mit mir als Ärztin deckt den nördlichen Teil, (also die Gemeinden  Pola, Gloria,Victoria, Bansud, Socorro, Pinamalayan, San Theodoro, Naujan und Baco) letzterer ab, die Süd-Tour mit diesmal Ursel als Ärztin den Süden. Die Nordtourärzte, also auch ich, hatten zwei Doctors-Houses bis April in Calapan und Socorro, d.h. der Arzt und das Team blieben übernacht immer in einem der beiden, je nachdem, welches näher an dem Mangyandorf war, das am nächsten Tag angefahren wurde. Und seit 1.April 2019 gibt es nur noch ein Doctors-Haus,  und zwar in Victoria. Ja, und ab morgen bin ich „offline“ und genieße vier freie Tage mit meinem Besuch aus Germany, bevor es am Montag wieder losgeht mit meinem letzten Drittel der Rolling Clinic Mindoro-Nord!