Afrika ist bunt

Ein Bericht von Einsatzärztin Dr. Sandra Haghir aus Serabu

Im Dezember 2018 trat ich meinen zweiten Einsatz mit den German Doctors an. Vor zwei Jahren war ich auf den Philippinen. Diesmal sollte es nach Serabu in Sierra Leone gehen. Ich war noch nie in Afrika und meinem Chef, der ja meine Beurlaubung genehmigen musste, fiel dazu auch nicht mehr ein als die Begriffe „Bürgerkrieg“ und „Ebola“. So geht es wohl vielen anderen auch. Aber nach den Vorbereitungsseminaren weiß man es besser. Und, ja, es wird auch viel erzählt über die vielen Todesfälle etc. – aber dann selbst davorzustehen, ist dann doch etwas Anderes.

Neuer Arbeitsplatz

Der Weg zu meinem neuen Arbeitsplatz

Also los, mit Air France. Ankunft in Freetown mit 7 Stunden Verspätung und nur der Hälfte des Gepäcks, aber ansonsten munter. Der Fahrer brachte uns in die Unterkunft und nach leider nur kurzem Ausruhen zunächst nach Bo. Dort wurden Einkäufe getätigt und das Fahrzeug gewechselt um die letzte Stunde auf buckeligen Wegen und mit viel Staub nach Serabu zurückzulegen. Ehrlicherweise ist ein Teil der Strecke inzwischen befestigt und lange nicht so schlecht, wie immer erzählt wird – zumindest nicht in der Trockenzeit.

Gleich am Eingang müssen sich alle, die das Krankenhausgelände betreten, die Hände mit Seife waschen – ein sinnvolles Relikt aus der Ebola-Zeit. Danach die Zimmer im Doctor`s House beziehen und gleich ein Rundgang durchs Krankenhaus mit Carine, der niederländischen Langzeitärztin. Da alle Gebäude in der gleichen gelben Farbe gestrichen sind, fällt die Orientierung anfangs etwas schwer. Das Krankenhaus macht einen ordentlichen und sauberen Eindruck. Dienstbeginn am nächsten Morgen. Zum Glück gibt es ja Carine und Joseph, den „black pediatrician“, einer der CHOs (clinical health officer, also ein ausgebildeter „Arzt“) als Ansprechpartner. Alle ärztlichen Mitarbeiter, außer den KollegInnen aus Deutschland, sind CHOs. Gleich am ersten Tag kamen Frühchen-Zwillinge, ein vier Wochen alter Säugling mit einem sehr tiefen Abszess am Hals, wie man ihn in Deutschland niemals sieht, und ein Kind per Ambulanz. So einen Ambulanzabholservice gab es bisher nur für Schwangere, jetzt auch, regierungsfinanziert, für alle anderen Patienten.

Zu warm für Hektik

In dem Krankenhaus werden auch erwachsene Patienten internistisch und chirurgisch betreut, es gibt eine Entbindungsstation und eben die Kinderklinik. Dauerhaft anwesend sind deutsche Ärzte aus den Fachbereichen Gynäkologie und Kinderheilkunde. Alle anderen Fachrichtungen sind inzwischen so selbstständig mit den einheimischen Mitarbeitern, dass deutsche Kollegen nur noch sporadisch kommen. Wir sollen ja auch mehr unterstützen und anlernen als selber machen. Außerdem ist das Krankenhaus Ausbildungsort für das „Capacare“-Programm, dass CHO-Chirurgen ausbildet – und das sehr gut.

Für die einheimischen Mitarbeiter ist es sicherlich nicht einfach, alle sechs Wochen einen anderen deutschen Arzt vor sich zu haben, der im Allgemeinen von den Krankheitsbildern vor Ort nahezu keine Ahnung hat und auch ein anderes Arbeiten gewohnt ist. Aber man sieht es gelassen. Das Gute ist, dass alle immer sehr geduldig sind und das Arbeitstempo im Gegensatz zu Deutschland deutlich reduziert ist. Das macht es für die deutschen Ärzte nicht leichter, man passt sich aber im Verlauf an. Für Hektik ist es ohnehin viel zu warm. Gut ist auch, dass die zumeist vorherrschenden Krankheitsbilder (Malaria, Anämie, Durchfallerkrankungen, Kräutervergiftung und schwere Unterernährung) nach einem relativ stringenten Schema, entsprechend dem ETAT+-System, behandelt werden. Damit braucht man nicht bei jedem Krankheitsbild ein neues Behandlungsschema ersinnen und jeder kann sich danach richten. Irgendwann lernt man auch, das Personal voneinander zu unterscheiden. Dass vor allem der weibliche Teil fast täglich die aufwendige Haarpracht ändert, macht es nicht einfacher.

Schattenseiten der Arbeit

Kranke Kinder

Vor allem sind es Kinder, die unter den schlechten Bedingungen erkranken

Wirklich anstrengend sind die vielen Todesfälle, die sich in den Wochen so ereignen und die sich auch trotz korrekter Reanimationsmaßnahmen leider nicht verhindern lassen. Das liegt noch nicht einmal unbedingt an der Unterernährung oder daran, dass die Patienten erst spät kommen, sondern auch daran, dass Tropenkrankheiten deutlich aggressiver sind als Infektionskrankheiten in Deutschland. Auch mit deutscher Intensivmedizin würde man nicht alle dieser Kinder retten können. Leider. Und man möchte keine toten Kinderaugen sehen müssen.

Aber wenn man genauer drüber nachdenkt, fallen einem auch viele Kinder ein, denen geholfen werden konnte und die geheilt oder zumindest auf einem deutlichen Weg der Besserung nach Hause entlassen werden konnten. Die unterernährten Kinder sehen furchtbar aus, aber vielen kann man durch Spezialnahrung helfen, vor allem, wenn die Mütter genug Geduld aufbringen, diese Nahrung ihren Kindern zu verabreichen. Es erfolgt eine Aufklärung über gesunde Ernährung und den Müttern wird vermittelt, wie sie gesunde Nahrung aus einheimischen Nahrungsmitteln selbst zubereiten können.

Bei der Behandlung

Bei der Behandlung

Auch auf möglichst langes Stillen wird hingewiesen. Die Firma Nestlé hat mit ihrer Milchpulverkampagne leider nichts Gutes bewirkt. Auf den Milchpulverdosen sind wohlgenährte Babys abgebildet. Natürlich wollen alle Mütter, dass ihre Babys auch so aussehen. Dass das mit Stillen deutlich besser zu bewerkstelligen ist als mit Milchpulver aus vielleicht mit Durchfallerregern verseuchtem Wasser, ist nur schwer zu vermitteln. Auch der Impfstatus der Kinder ist in vielen Fällen noch verbesserungswürdig. Dazu kommen noch Totgeburten oder andere Geburtskomplikationen, die in dieser Häufigkeit in Deutschland nicht auftreten. Längst nicht alle Frauen entbinden in einer Gesundheitsstation oder im Krankenhaus. Und nahezu alle sind genital beschnitten. Anstrengend an dem Projekt ist auch, dass man zwar das Krankenhausgelände verlassen darf, aber nicht das Dorf, da man ja immer „on call“  ist und in einem angemessenen Zeitraum wieder im Krankenhaus sein muss, wenn man angerufen wird. Das Handynetz funktioniert gut.

Man möchte wiederkommen

Fußballfands

Die Kinder sind große Fußballfans

Afrika ist bunt, laut, geruchsintensiv, gesellig, liebenswert und abschreckend. Man ist mehr Lernende als Lehrende und fühlt sich trotzdem integriert. Das Dorf hat weder Strom noch fließendes Wasser, für Deutschland undenkbar. Und trotzdem resigniert niemand. Es gab im letzten Jahr Präsidentschaftswahlen und man hat den Eindruck, dass eine Aufbruchstimmung im Land herrscht. Es gibt an allen Enden etwas zu tun, egal, wo man anfängt. Dieses Krankenhaus garantiert eine medizinische Basisversorgung, die es ansonsten so in der Region nicht gibt. Es hat einen guten Ruf und es kommen auch Patienten aus anderen Regionen, um sich dort behandeln zu lassen. Mit den vorhandenen Mitteln wird dort sehr gute Arbeit geleistet. Dieses Projekt „macht was mit einem“, wie es mal jemand formulierte. Ja, stimmt. Man möchte dort wieder hin, auch wenn man sich manchmal aufgrund der Wärme nach leckeren Salattellern oder Eisbechern sehnt. Oder nach einem telefonfreien Abend. Oder nach weniger Mücken.