Mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein

Ein Bericht von Einsatzarzt Dr. Hermann Bönisch aus Nairobi

Vor kurzem bin nach meinem 6 Wochen Einsatz mit den German Doctors in Baraka [der Segen] im Mathare Valley in Nairobi, einem der größten Slums der Stadt dann nach Kampala in Uganda weitergeflogen. Von dort ging es weiter nach Kibanga. Hier habe ich vor vielen Jahren einige Wochen in einem Medical Health Center, das von einem guten Freund, Deusdedit Kirunda, einem katholischen Priester, der in Deutschland häufig Pfarrvertretungen machte, initiiert wurde, gearbeitet. Was für eine andere Welt, aus der Weltstadt Nairobi in den Dschungel von Uganda.

Zurück nach Nairobi in Kenia: Nach meinem ersten Einsatz mit den German Doctors Anfang 2018 in Dhaka in Bangladesch, zeitnah nach meinem Ausscheiden aus dem Berufsleben, – ich habe mehr als 30 Jahre im Krankenhaus als Internist und Kardiologe gearbeitet – war ich jetzt etwas weniger aufgeregt als zuvor. Der Flug war problemlos, ebenso die Abholung am Flughafen durch Ben, einem Fahrer der German Doctors. Nairobi ist bei weitem nicht so chaotisch, laut, ’smogy‘ und schmutzig wie Dhaka; allerdings leben in Nairobi auch ’nur‘ etwa 4 Mio. Menschen während in Dhaka etwa 11 Mio. Menschen leben sollen. Untergebracht waren wir in einem schönen Haus im Balozi Estate in Muthaiga, einen sehr schönen Stadtteil von Nairobi. Empfangen wurde ich sehr freundlich von meinen Kollegen: einer älteren sehr erfahrenen Gynäkologin, einem total netten Kinderarzt aus Salzburg und einem tollen Ehepaar aus Köln, sie Anästhesistin, er Chirurg.

Anders als bei dem German Doctors-Projekt in Dhaka hatten wir in Nairobi also verschiedene Fachabteilungen vertreten. Das ganze seit über 20 Jahren bestehende Projekt war sehr sehr gut organisiert. Es gab mehr als 80 einheimische Mitarbeiterinnen /Mitarbeiter, die allesamt sehr qualifiziert sind. Morgens um 8 Uhr begann die Arbeit, bei unserem Eintreffen war der Warteraum schon proppenvoll. Die Geduld der Patienten war phänomenal. Von der Rezeption, wo die Patienten einen kleinen Obulus zahlten, wurden sie den einzelnen Ärzten zugeteilt. Nach unseren Untersuchungen gingen die Patienten zum Labor, auch hier wieder mit Wartezeiten verbunden, anschließend zurück zu den Ärzten, bei HIV oder Tuberkulose positiv wurden die Patienten von uns zu den Clinical Officers begleitet, die die weitere Langzeitversorung übernahmen; ebenso gab es spezielle Chronikerprogramme für Asthma, COPD, Diabetes, Schilddruesenerkrankungen, Bluthochdruck, Herzinsuffizienz usw. Schließlich gingen die Patienten noch zur Pharmacie, wieder mit Wartezeiten verbunden; Pole pole: gemach, gemach!

Wie erwähnt war ich sehr angetan von der fachlichen (und natürlich menschlichen) Qualität der einheimischen Mitarbeiter; mit meiner Übersetzerin, Edna, hatte ich das große Los gezogen; sehr, sehr gutes Englisch, den Patienten gegenüber sehr zugewandt, fachlich sehr kompetent (insbesondere bei Hauterkrankungen, die ich noch nie auf schwarzer Haut gesehen hatte); die Clinical Officers, von Ausbildung und Kompetenz zwischen Ärzten und Schwestern /Pflegern stehend, die eigenständig insbesondere die Langzeitpat. betreuten, die Counselors, die vor allem die psychologische Führung der Patienten übernahmen, die Schwestern und Pfleger, die Mitarbeiter im Labor und in der Pharmacie, im Nutrition Center, in der Rezeption, in der Verwaltung, im Securitybereich, unsere Fahrer usw. allesamt Mitarbeiter, die mich zutiefst beeindruckt haben, nicht zu vergessen, die Community Health Volunteers. Über allem stand souverän mit George Audi der Projektmanager.

Sehr geschätzt habe ich die Fortbildungen, die die einheimischen Mitarbeiter für uns Kurzzeitaerzte gehalten haben, so habe ich z. B. über HIV in den 6 Wochen mehr gelernt, als in vielen Jahren zuvor. Sehr gut war auch der Kontakt zu Dr. Wafula, einem einheimischen Spezialisten, der einmal pro Woche kam und insbesondere die ‚ Sichelzellkinder‘ betreute.  ‚Give and Take‘, ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘; selten habe ich die Umsetzung in kurzer Zeit so gut erlebt, wie jetzt in Baraka. Auch der telemedizinische Kontakt zu unserem dermatologischen Konsiliarius, Heino Hügel, vom Bodensee bei unklaren Hauterkrankungen war wieder einmal genauso excellent wie seinerzeit in Bangladesch. Die Welt ist klein geworden. Neben den ’normalen‘ Erkrankungen wie Pneumonie, COPD, Diabetes, Joint Pain, Herzinsuffizienz… gab es sehr viele landesepezifische Erkrankungen, wie Malaria, Gonorrhoe, Sichelzellerkrankungen, HIV, Tuberkulose, die o.g. Hauterkrankungen usw, usw…

Sehr schwer zu ertragen und von grosser Hilflosigkeit geprägt waren sehr ernste von uns Ärzten gestellte Diagnosen, die dort kaum therapeutische Konsequenzen nach sich zogen : z. B Ein 7-jähriges Mädchen, dass vom Victoriasee kam mit einem ausgeprägten Aszites (Wasserbauch) bei Leberzirrhose, wahrscheinlich Folge einer Bilharzihose ; eine Frau mit einem großem Tumor im Mittelbauch, am ehesten einem hepatocellulaerem Carcinom ( Leberkrebs) entsprechend ; ein alter Herr mit einer desolaten Hüfte, der nicht mehr laufen konnte und dringend einen Hüftgelenksersatz bedurft hätte. Mein sehr geschätzter Kinderarztkollege, Michael, kam zu mir, da ihm bei einem 4-jährigen Kind eine schwere Zyanose auffiel; toll, wie er das auf dunkler Haut erkannt hatte. Mit einem Puls Oxymeter konnte ich den Sauerstoffgehalt im Blut messen: 45 % ( normal etwa 95 %), bei der Herzultraschalluntersuchung fand sich dann ein sehr schwerer angeborener Herzfehler, eine ‚Fallot’sche Tetralogie, ein Befund, der dringend einer Herzoperation bedurft hätte, usw,usw.

Apropos Ultraschall: Wir hatten ein sehr gutes Kombinationsultraschallgerät, mit dem man die Schilddrüse, die Gefäße, das Herz, den Bauchraum sowie gynaekologische Erkrankungen untersuchen konnte. Leider war die Nutzung des Gerätes nicht optimal organisiert, so dass ich nur einen sehr geringen Teil der Untersuchungen gemacht habe, die internistisch/ kardiologisch notwendig und moeglich gewesen wären. Schade. Hier sind sicher bessere Organisationsstrukturen notwendig. Von Anfang an fiel mir auf, wie ordentlich gekleidet und sauber der Großteil unserer Patienten in Baraka war, anders als in Bangladesch. Bei einem Rundgang mit der Krankenschwester Franziska und der Community Workerin Elizabeth im Slum vom Mathare Valley haben wir dann im Rahmen von Hausbesuchen die Patienten in ihren Hütten aufgesucht, die nicht mehr in der Lage waren zu unserer Ambulanz zu kommen; schockierende Bilder; hier behandelten wir wirklich die ‚Ärmsten der Armen‘. Insgesamt war unsere Arbeit sehr erfüllend und befriedigend, nicht immer einfach, manchmal auch frustierend, schwer zu ertragen und von großer Hilflosigkeit geprägt. Das German Doctors-Projekt in Nairobi hat ein hohes Niveau und ist sehr gut organisiert. Es war sehr sehr lohnenswert, dort zu arbeiten, ohne allerdings den Anspruch haben zu wollen, die Welt zu verändern. Unserem ‚ärztlichen Ethos‘ entsprechend war die von uns geleistete Arbeit jedoch sicher mehr als ein ‚Tropfen auf dem heißen Stein‘.

Anders als in Bangladesch, einem streng muslimischen Land, mit wenig Möglichkeiten in der Freizeit bot Nairobi – die Stadt am kühlen Wasser in der Sprache der Massai – viele Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, tolle Ausflüge an den Wochenenden, Schwimmen nach der Arbeit im nahegelegenen Utali Hotel usw.  Sehr beeindruckend war für mich das Treffen mit einem alten Freund der German Doctors, dem bald 90 jährigen Benediktiner Pater Peter Meienberg, der seit Anfang der 60 er Jahre in Afrika lebt und sehr sehr viel miterlebt hat. Sein Buch ‚ Afrika unter die Haut‘ hat mich gefesselt ; persönlicher Höhepunkt meines Kenia-Aufenthaltes war der Besuch im Frauengefaengnis von Nairobi, wo Pater Peter als Gefängnisseelsorger einen Gottesdienst celebrierte. Halt ‚Afrika unter die Haut’…