Mein erster Arbeitstag

Teil 2 des Einsatzberichts von Dr. Barbara Müllerleile aus Kalkutta

Heute ist mein erster Arbeitstag in Kalkutta. Ich bin mit dem Langzeitarzt Tobias und meiner Kollegin Brigitte für die Forshore Road eingeteilt. Nach dem Frühstück um 8:10 Uhr trifft sich alles im Hof vom Pushpa Home. Es wird sehr eng und wir fahren etwa eine Stunde durch Howrah. Das Mitfahren ist absolut gewöhnungsbedürftig. Es ist Linksverkehr und der Fahrer steigt ein, lässt den Motor an und drückt auf die Hupe. Die lässt er nicht mehr los bis wir am Ziel sind. Alle anderen machen es genauso. Es entsteht ein Höllenlärm. Ich brauche bestimmt ein Hörgerät, wenn ich wieder zu Hause bin…

Eine Kuh in Kalkutta

Kühe sind nahezu überall vertreten

Die Patienten warten schon…

Nach der Ankunft bauen die Übersetzerinnen auf was man so braucht. Ich bin so froh, dass ich mein eigenes Blutdruckgerät mitgenommen habe und mein Ohrthermometer. Dann kommen die Patienten. Ich habe heute 36 gesehen. Die meisten waren Diabetiker Typ 2. Da musste ich ein wenig die Medikamente nachbessern. Dann gab es viele Hypertoniker, auch kein Problem.  Ich muss noch erzählen was passiert, während die Übersetzerinnen aufbauen. Draußen in der lieben Sonne bei 30 Grad stehen drei Schlangen. Eine mit Frauen mit Kindern von einen Tag alt bis jugendlich, daneben Frauen und daneben Männer. Ein Arzt hat einen Stempel in der Hand, der Andere hat rote Mützen und der dritte zählt laut. Der erste Arzt stempelt auf den Unterarm des Patienten, der zweite guckt, wer richtig krank aussieht und setzt diesem eine rote Mütze auf, damit sie nicht so lange warten müssen, der dritte zählt die Gestempelten. Heute war bei 90 Schluss. Dann geht es los. Zuerst die mit der roten Mütze, dann die Kinder, dann alle anderen hübsch der Reihe nach. Das geht von 9 bis 12:30 Uhr und von 13  bis 16 Uhr. Wenn noch Kapazitäten übrig sind, wird nachgestempelt.

Mein erster Arbeitstag in Kalkutta

Mein erster Arbeitstag in Kalkutta

Mein erster Arbeitstag ist sehr ereignisreich

Die Leute warten unter Umständen von 3 Uhr nachts bis 15 Uhr und werden dann nach Hause geschickt, ohne Behandlung. Heute lief es gut und alle kamen dran. Während ich mich so durchgehangelt habe, rief man mich plötzlich in den Verbandsraum. Dort saß eine Mutter mit einem 2-jährigen Kind, welches sich vor vier Tagen mit heißem Tee den rechten Unter- und Oberschenkel verbrüht hatte. Die Blasen waren aufgegangen und ich habe das nekrotisch Gewebe abgetragen. Und das Ganze dann mit Sofratüll verbunden. Das Kind kriegt ein Antibiotikum. Problem, wer macht den Verband morgen? Da das Kind auch etwas unterernährt war und die Mutter einverstanden war, konnte es im Pushpa Home auf der Feeding Station aufgenommen werden. Hier gibt es Essen für Mutter und Kind. In den staatlichen Krankenhäusern gibt es nur die medizinische Behandlung. Essen ist Sache der Angehörigen. Wenn man niemanden hat, Pech! In der Mittagspause bin ich mal vor und hinters Haus gegangen. Dort gibt es Wasserlöcher, in denen Männer Schlamm sieben, um Metall zu finden. Ich denke mir: „Wo soll denn da Metall herkommen?“ Von den Leichen, deren Asche in den Fluss geworfen wird, werden die Goldzähne gesucht. Es wird immer wieder Schlamm aus dem Fluss in die Löcher geschwemmt. Allerdings ist die Ausbeute nicht sehr groß. Nach dem Essen geht es weiter. Ich hatte drei Mal Röntgen angefordert. Wet Film, das heißt ohne Befund, im Vertrauen, dass Tobias die Bilder mit mir anschaut. Aber er ist weg, Visite machen im St. Thomas Home. Selbst ist die Frau, aber mit etwas Bauchschmerzen… Hilft aber nix, ich sehe keine Tuberkulose. Um 16:30 Uhr haben wir alle Patienten gesehen.

Eine farbenfrohe Tracht

Eine farbenfrohe Tracht

Feierabend

Ich habe mich mit zwei Kolleginnen im Lindsay am New Market auf der Dachtrasse verabredet. Ich gehe also raus aus der Ambulanz und zum Fluss. Es gibt eine Fähre. Auf der Fähre sind gefühlt 150 Männer und ich und die gucken und bitten mich nachdrücklich nach unten, da ist das Frauenabteil ohne Frauen – nur ich. Am anderen Ufer nehme ich mir ein Taxi zum New Market und treffe auf dem Dach meine Kolleginnen. Wir genießen den Sonnenuntergang und die Aussicht bei Eistee. Meiner erster Arbeitstag in Indien liegt hinter mir. Aber morgen geht es weiter in der Ambulanz der German Doctors. Ich bin  gespannt, was mich in den nächsten Wochen noch alles erwartet…