Die Anreise ist bereits ein Erlebnis

Ein Bericht von Einsatzärztin Dr. Helga Lenschow aus Chittagong

Verkehrschaos in Chittagong

Das ist nun mein fünfter Einsatz mit den German Doctors. Die bisherigen Aufenthalte waren auf den Philippinen und jetzt bin ich gespannt, was in Chittagong wohl anders sein wird. Unglaubliche Schwüle empfängt mich , denn es ist beginnende Monsunzeit. Ich werde abgeholt ,und da kann ich gleich den Fahrer bewundern, wie er bei dem unglaublichen Straßenverkehr zwischen ungezählten Rikschas und Babytaxis und Bussen und LKWs ohne Schrammen durchkommt. Dieser Straßenverkehr bleibt so, die ganzen Wochen und ich kann mich tatsächlich etwas daran gewöhnen und vertraue den Schutzengeln, die sich in dem Gewirr noch auskennen. In zwei Tagen habe ich mich eingewöhnt, ich weiß, hier schwitzt man ständig und auf der Straße ist unsereiner sofort als nicht Einheimischer zu erkennen. Das bleibt auch unverändert. Hier sind die German Doctors immer wieder sofort ein Blickfang. Schlendert man so durch die benachbarten Straßen, muß man seine Vorstellungen von Ordnung, Sauberkeit und vor allem Mülltrennung hinter sich lassen.

Die kleinen Patienten lassen die Behandlung meist ruhig über sich ergehen

Am Montag beginnt die Arbeit und mein Übersetzer Liton hilft mir mit entsprechender Kompetenz schnell in die bewährten Abläufe zu kommen. Später wird es Nasrin sein, die mich ebenso gut unterstützt. Im Allgemeinen hat jeder von uns zwischen 40 bis 50 Patienten, wobei es wichtig ist ,die echt kranken Patienten herauszufinden, vor allem bei den Kindern, denn es ist nicht immer einfach bei laufenden Ventilatoren und der ungewohnt lauten Geräuschkulisse ein Kind abzuhören. Am häufigsten sind Atemwegsinfekte, Hauterkrankungen, chron. Krankheiten wie Diabetes  und Hochdruck und sehr häufig Beschwerden am Bewegungsapparat. An drei Tagen arbeitet man in diesem Medical Center, am Mittwoch und Donnerstag in einem Outlet im CbC 1 und CbC 2 (Community based Center) , d.h. wir sind aushäusig mit dem Team in zwei verschiedenen Slums. Die Fahrt dorthin ist schon ein Erlebnis, dass uns die Problematik im Straßenverkehr wieder demonstriert. Es ist übervoll und mit der Fülle steigert sich der Verkehrslärm ins Unermeßliche. Alle Regeln, die wir zu Hause penibel einhalten, kann man hier vergessen. Der Verkehrsstrom würgt sich so langsam voran, daß es nicht so oft wie befürchtet zu Kollisionen kommt. Ich bewundere die Reaktionsgeschwindigkeit der Fahrer.

Bescheidene Verhältnisse

Im Slum angekommen, gehen wir den schmalen Weg längs der übelriechenden Abwasserläufe rechts und links entlang zu unserem Arbeitsplatz. Das ist ein sonderbarer Eindruck: die ärmlichen Behausungen zu beiden Seiten, dunkel im Innern. In manchen Hausöffnungen sitzen Männer auf dem Boden und hämmern Metallteile mit schweren Schlägen zurecht. Und dazwischen laufen Kinder fröhlich durcheinander, kommen hinter uns her und probieren ihre wenigen englischen Wörter aus und freuen sich wenn wir ihnen in Englisch antworten. Und dann begegnen uns in dieser grauen Umgebung Frauen in ganz farbigen Gewändern, als wollten sie mit der Sonne wetteifern. Ich wirke da wohl etwas farblos in meiner Bekleidung.

Viele Patienten warten bereits auf eine Behandlung

Vor den Ambulanzräumen der German Doctors werden wir erwartet. Unsere beiden Sprechzimmer erfüllen ganz bescheidene Bedürfnisse. Es wird wirklich beschwerlich, wenn der Strom ausfällt und wir bei spärlicher Beleuchtung vom Handy oder akkubetriebener kleiner Not- Neonlampe arbeiten. Der Ventilator fällt aus und die Hitze wird heftig. Ich bewundere unsere Patienten, wie sie mit Ruhe und Gelassenheit auch diese Umstände hinnehmen. Die meisten Patienten haben sich für den Arztbesuch besonders sorgfältig gekleidet und die Kinder sind oft wie für den Sonntagsausgang geschmückt. Die Erfahrung sagt uns, dass die schönen Kleider oft nur geliehen sind und uns etwas vortäuschen. Es entspricht oft nicht unseren Vorstellungen, wie nun eine körperliche Untersuchung abläuft: haben wir doch zu Hause gelernt, daß man einen Patienten genau anschauen soll, die Lunge auch bei freiem Oberkörper auskultieren sollte etc, so muß man hier bei weiblichen Patienten oft mit den kunstvoll verschlungenen Tüchern kämpfen, um den richtigen Durchblick zu bekommen. Es kann sogar soweit kommen, dass z.B. bei Hautveränderungen der Blick darauf verweigert wird , und man nur den Beschreibungen entsprechend eine Diagnose stellen kann. Es ist auch gelegentlich vorgekommen, dass auf diese Weise keine Diagnose zu stellen war und wir dann von einer gezielten Behandlung abgesehen haben.

Frauen und Kinder zuerst

Bei dem ersten Arbeitstag im CbC 1 beeindruckt mich besonders das Feeding Programm im Nebenraum. Gleich morgens wird der gemauerte Ofen angeheizt und in einer großen Schüssel die Mahlzeit für die Kinder zubereitet. Hier bekommen Mütter mit ihren mangelernährten Kindern drei Mahlzeiten pro Tag und werden auch unterrichtet, bis ihr Kind im Normbereich der Entwicklungskurve ankommt. Bedrückend sind die Situationen, wenn Kinder mit Behinderungen in die Sprechstunde kommen. Ein Förderbedarf bleibt unerfüllt. Das würde den finanziellen Rahmen sprengen und auch die konsequente Mitarbeit der Eltern überfordern. Hier kümmern wir uns vor allem um die Begleiterkrankungen  und das sind ganz oft Infekte der oberen Atemwege.

Das Feeding Programm unterstützt Mütter bei der Versorgung ihrer Kinder

Wenn auch im Allgemeinen recht gut überschaubare Krankheitsbilder die tägliche Mischung ausmachen, so ist es doch hin und wieder notwendig, unklaren Beschwerdebildern nachzugehen. Man hat den richtigen Riecher und bringt dann mit sparsamer Diagnostik die Klärung auf den Weg. Unklare Bäuche sind da ein gutes Betätigungsfeld. Erstaunlich ist die Tatsache, dass unter den Patienten viele eine Dauerbehandlung wegen Diabetes mellitus oder Hypertonie haben und zu den regelmäßigen Kontrollen bestellt werden, was von Seiten der Patienten nicht immer so gut funktioniert. Dennoch wird vom Team streng darauf geachtet, daß die Medikamenteneinnahme und auch die Arzttermine regulär eingehalten werden.

Neugierig untersucht diese kleine Patientin das Stethoskop

Im Team kann man sich sicher fühlen, insbesondere darf man dankbar sein für die Hinweise, wo man sich in der Innenstadt sicher fühlen kann, wo man einen Ausflug hin machen kann und wie eine Fahrt in die Umgebung am besten zu organisieren ist. Komol, unser Koch hat uns wunderbar versorgt, es gab niemals Essensprobleme. Wir haben seinen abwechslungsreichen Speiseplan genossen. Bei den Früchten waren Mangos die absoluten Favoriten und er wußte auch, wo die schmackhaftesten zu bekommen waren. Nach eigenen Erfahrungen haben wir ihm diese Wege gern überlassen. Er weiß halt immer, wo. Am Ende des Aufenthaltes kommt der Gedanke: Was bleibt, ohne sentimental zu werden? Und ich beobachte, dass in diesem armutsgebeutelten Land die Zusammenarbeit mit dem einheimischen Team Kreise zieht und damit zunehmend Menschen erreicht werden, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Unsere Hilfe wird gern angenommen und die Achtsamkeit unserer Patienten auf die eigene Gesundheit und die ihrer Kinder wächst. Ich bin wohlbehalten wieder nach Hause gekommen. Dem einheimischen Team in Chittagong bin ich dankbar für seine Unterstützung und Fürsorge auch für meine Person.