Ein typischer Arbeitstag
Ein Bericht von Einsatzarzt Dr. Winand Lange aus Chittagong
Mein erster Tag im MCPP (Medical Center for the Poorest of the Poor) in Chittagong. Ich werde von meiner Kollegin Patricia, die bereits zwei Wochen da ist, ins Medical Center begleitet, das im hinteren Teil des Gebäudes, etwas im Dunkeln liegt. Schon beim Hineinkommen sehe ich die lange Schlange von Patientinnen – ja die Mehrzahl sind sicher Frauen, teilweise mit ihren unterschiedlich alten Kindern am Anmeldeschalter, die sich ordentlich und wohl auch geduldig hintereinander reihen. Es ist ein fremdartiges, für mich noch sehr ungewohntes Bild durch die sehr farbenfrohe Kleidung.
Die Patienten sehe ich anschließend im Sprechzimmer, zusammen mit Liton, meinem Übersetzer, der sich nach vier Wochen mit Nasrin, der zweiten Übersetzerin, abwechseln wird, damit auch die Übersetzer die Gelegenheit bekommen, mit unterschiedlichen Ärzten zu arbeiten und so aus deren Schwerpunkten zu lernen. Die Vorteile liegen auf beiden Seiten. So fängt ein typischer Arbeitstag an. Meist ist die Schilderung der Beschwerden und Probleme recht lebhaft, gelegentlich mit Gesten und Zeigen geschmückt, so dass ich manchmal eine Ahnung habe, worum es geht; verstehen tue ich nichts. Die Kommunikation erfolgt ausschließlich über unsere Übersetzer, selbst nach einigen Wochen verstehe ich immer noch nichts. Nicht direkt mit den Patienten kommunizieren zu können, bleibt für meinen ganzen Einsatz irgendwie frustrierend und das größte Manko für einen German Doctor. Wie gerne man einmal nachhaken möchte, kann man nur ahnen. Selten gibt es einige wenig Englisch Sprechende, die dann oft nicht gut zu verstehen sind wegen eines starken Akzents.
Ansteckende Freundlichkeit
Manche Frauen betreten das Sprechzimmer und bedecken noch einmal den Kopf etwas genauer mit dem Tuch, ein Weißer, noch dazu ein Mann, das ist etwas Besonderes. Nach der Konsultation verlassen einige den Raum, ohne nur einmal Blickkontakt zu mir aufgenommen zu haben (ein Zeichen großen Respekts). Andere, meist Hindus, sind das krasse Gegenteil, sie betreten den Raum mit einem strahlenden Lächeln, ihre Freundlichkeit ist fast ansteckend; „namoshkar“ „Sei mir gegrüßt“; wenn ich es sage, fangen manche munter an, mir ihre Beschwerden zu schildern. Dann muss ich sofort mit Gestik das Ganze unterbrechen, denn ich verstehe ja nichts und kenne auch nur dieses Wort. Die Übersetzung der manchmal recht ausführlichen Schilderung der Patienten fällt dann gelegentlich auch einmal kürzer aus: „whole body pain“. Aus einer Minute Redefluss werden drei Worte. Wenn Hindus wieder gehen, lächeln sie, verabschieden sich mit einer Handgeste, und es kann schon einmal sein, dass sie mir als Zeichen des Respekts über die Füße streichen.
In der Regel können wir mit den zur Verfügung stehenden Mitteln eine Arbeitsdiagnose und ein Therapiekonzept erstellen; zufrieden sind wir damit meistens auch, trotz der eingeschränkten Möglichkeiten; ausreichend, allerdings meist nicht optimal. Manche Therapien stehen aus Kostengründen nur verkürzt zur Verfügung; aber es gibt zumindest vorübergehend eine ausreichende Schmerzlinderung. Viele Patienten haben keine Vorstellung von der Funktion des eigenen Körpers; sie wundern sich, dass wir bei ins Bein ziehenden Schmerzen auch die Wirbelsäule untersuchen. Rückenschmerzen und durch die häufig starke berufliche körperliche Belastung entstandene Beschwerden gehören zu den häufigsten Erkrankungen. Ein schmächtiger 14-jähriger mit Rückenschmerzen geht lieber in einen Handwerksbetrieb, um dort als Angelernter Töpfe und Eimer aus Blech in harter Arbeit per Hand zu fertigen als in die Schule zu gehen. Nun wundert er sich mit seiner Mutter über die Schmerzen im Rücken.
Frauen zeigen ihren Körper nicht oder nur teilweise; dies ist ein gewisses Problem, da einfach bestimmte Bereiche keinem Mann gezeigt werden und ohne Diagnose auch für uns German Doctors eine Therapie nicht möglich ist. Glücklicherweise sind auch viele „Lady Doctors“ im Einsatz, so dass hier oft die Patientinnen zu den Kolleginnen gehen können. Ist dies nicht so, dann müssen die Patientinnen eben warten bis der nächste „Lady Doctor“ kommt und diese dann die „Private Area“ anschauen darf. Wenn Männer ein Hautproblem in der „private area“ haben, bleibt Siton, mein Übersetzer anwesend, ist Nasrin, meine Übersetzerin dabei, verlässt sie kurz den Raum.
Viel hilft viel
Auch andere Dinge sind für uns nicht immer nachvollziehbar; halte ich die geschilderten Beschwerden für nicht behandlungsbedürftig, dann fallen schnell noch ein paar andere Dinge ein, die vielleicht doch noch eine Behandlung nach sich ziehen. Die Vorstellung, dass viele Tabletten auch viel helfen, herrscht einfach vor. Auch besteht immer wieder einmal die Vorstellung, dass die Behandlung des Hautpilzes mit einer Creme nicht gut genug sei, obwohl sie hilft; die Behandlung wurde einfach beendet, dann wurde es (natürlich) wieder schlechter und jetzt möge doch bitte eine Tablette zum Einsatz kommen. Dann sind wir und die Übersetzer gefordert, Überzeugungsarbeit ist notwendig.
In Chittagong gibt es auch zwei Außenstellen, die CBCs (Community Based Center). Zu diesen fährt das gesamte Team, einschließlich Apotheker, jeweils einmal pro Woche. Mir hat die Tätigkeit dort immer sehr gefallen, da wir enger an der Bevölkerung, näher an den Menschen in ihrem Umfeld dran waren. Allein die Gebäude sind schon kleine Sehenswürdigkeiten. Im CBC 2 wächst eine große Palme im Wartezimmer bis durch das Dach, eine zweite, ebenso große steht in der Toilette mit dem klaren Wasser aus einem Brunnen. Draußen hört man den Hahn krähen. Der süße Pausentee (Kardamom und Ingwer mit viel Zucker) von Shefali schmeckt furchtbar, eigentlich ist er kaum genießbar, allerdings nur hier an diesem Standort, an allen anderen schmeckt er sehr gut. Ich trinke ihn nur aus Höflichkeit. Dafür sind die kleinen Samosas, Shingaras und Puris ( alles kleine, gebackene bzw. frittierte Teigtaschen), mit denen sie uns täglich verwöhnt, die besten in ganz Chittagong. Shefali macht all die kleinen Dinge, sie kauft die Bananen, die jedes Kind nach dem Besuch bei uns bekommt, sie putzt, wischt schnell einmal den Boden, wenn gerade ein Säugling auf den Boden gepinkelt hat und vieles mehr.
Kokosnüsse auf dem Dach
Plötzlich ist alles dunkel, der Ventilator kommt zum Stehen; der Strom ist wieder einmal weg. Jetzt müssen wir wieder improvisieren; Taschenlampe, Handy oder auch schon mal eine Kerze geben Licht; die Temperatur steigt beständig, denn isoliert sind die Dächer hier nicht und die Außentemperatur beträgt 33° C; der Hitzeindex, also die gefühlte Temperatur geht an die 40°. Nicht nur mir, sondern auch den Patienten und meinem Übersetzer rinnt der Schweiß. Das Hemd ist in Kürze nass, nicht mehr feucht, die Hose auch, ich spüre wie mir der Schweiß die Stirn und den Rücken herunterrinnt; hoffentlich nicht schon wieder auf die Brille; der Textilgürtel hat abends nach dem Trocknen weiße Salzstreifen vom Schwitzen. Glücklicherweise dauern die Stromausfälle meist nur wenige Minuten, manchmal eine Viertelstunde. Plötzlich ein Riesenknall, ich erschrecke, die meisten lachen; eine Kokosnuss ist auf das Dach gefallen; die Sprechstunde geht weiter.
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