Unten wohnt das Schwein

Teil 5 des Berichts von Einsatzärztin Dr. Barbara Müllerleile aus Mindoro

Heute waren wir wieder irgendwo in den Bergen in einem Mangyan Dorf. Das erste was ich sah, war der Beginn eines Hahnenkampfs. Da habe ich schnell ein Foto gemacht und bin zügig weggegangen. Dies ist hier Männersache und mir graust es. Insgesamt habe ich 63 Patienten gesehen. Viele mit hohem Blutdruck. Viele Kinder mit Erkältungen und Abszessen und anderen Hauterkrankungen. z.B. Krätze ist hier sehr verbreitet. Einige kommen mit Epilepsie und sind geistig mehr oder weniger behindert. Das kommt von den Hausgeburten ohne Hebamme. Die Kinder haben meist einen Sauerstoffmangel während der Geburt gehabt. Meine neurologische Untersuchung durch den Luftballon hat sich wieder bewährt. Ich glaube insgesamt geht es den Leuten hier besser als in Indien.

Liebevolle Dorfgemeinschaft

Eine Familie in der Sprechstunde

Die Frauen sind nicht so unterdrückt. Hier habe ich noch keine misshandelte Frau gesehen. Die Dorfgemeinschaft funktioniert auch, glaube ich zumindest. Die Mangyans gehen liebevoll mit ihren Kindern, Behinderten und Alten um. Sie nehmen Krankheit und Tod einfach hin. Ich verstehe allerdings nicht, dass die Mutter oder Großmutter nicht hilft, wenn Kinder im Säuglingsalter fast verhungern. Heute hatte ich wieder ein Kind mit 2.4 kg, vier Wochen alt. Geburtsgewicht nicht bekannt. Die 17-jährige Mutter hat es dauernd von der Brust genommen. Das Kind war hungrig und hat gut gezogen, wenn sie es gelassen hat. Ich habe sie in die Ecke gesetzt und einfach die nächsten Patienten behandelt, weil ich wollte, dass dieses Kind satt wird. Ich glaube, sie hat es jetzt verstanden.
Nach der Sprechstunde bin ich auf Hausbesuch gegangen. Zuerst war ich bei einer 62-jährigen Frau mit Lungentuberkulose im Endstadium, trotz Medikamenten. Ich musste eine Leiter hochklettern um zu der Patientin zu gelangen. Unten wohnt das Schwein, der Hund , die Katze und die Hühner. Der Boden in dem Raum, wo die Kranke lag war aus Bambus, so wenig dicht, dass sie immer sieht was unter ihr passiert. Ich hatte ein bisschen Angst, dass alles unter mir zusammenbricht. Die Patientin lag auf einer Decke mit einem Kissen, sonst gab es in dem Haus nix. Die Tochter kümmert sich liebevoll. Die nächsten Beiden waren Schlaganfall Patienten. Auch bei ihnen waren die Zimmer leer bis auf die Decke, auf der der Patient lag. Gekocht wird draußen. Mein dritter Patient hat nach einem Schlaganfall mit halbseitiger Lähmung noch die Krätze von Kopf bis Fuß. Nach der Arbeit sind wir noch ein bisschen auf den Nachtmarkt gegangen.

Heute war ein relativ geruhsamer Sonntag. Wir sind wieder um 7.00 Uhr losgefahren und waren im letzten Dorf in den Bergen. Dieses Dorf ist von der Caritas 2015 nach einem großen Erdrutsch gebaut worden. 150 Mangyans waren obdachlos. Das Dorf wurde so gebaut dass es nicht mehr durch einen Erdrutsch zerstört werden kann. Die Häuser sind einfach aber sehr zweckdienlich. Wir parken relativ weit weg von unserem Arbeitsplatz, aber sofort kommen Frauen, Männer und Kinder und tragen unsere Sachen einen sehr unwegsamen Pfad runter. Niemand ist ernsthaft krank. Eigentlich nur Hypertoniker, die zum Blutdruck messen kommen und ihre Medikamente holen, Kinder mit Husten, Schnupfen und Rotznasen.

Junge Erwachsene ohne Zähne

Auch schon bei den Kindern lässt sich ein desolater Zustand der Zähne beobachten

Taschentücher gibt es hier nicht, also hochziehen. Leider haben auch diese relativ gepflegten Mangyans sehr schlechte Zähne, vor allem die Kinder. Die Erwachsenen haben mit 30 schon wenig, bis keine mehr. Ein Gebiss gibt es hier nicht. Die Leute wiegen meist viel weniger als 50 kg, sowohl Männer als auch Frauen. Vielleicht hängt das auch mit den wenigen Zähnen zusammen. Essen ist für mein Team sehr, sehr wichtig. Deshalb stehen sie morgens vor 5.00 Uhr auf um das Frühstück zu kochen. Reis, gebratener Fisch und Gemüse. Dann kochen sie Lunch. Reis gebratenes Fleisch und Gemüse. Gegen 6.00 Uhr frühstücken sie und packen das Mittagessen ein. Dann wird geduscht, Haare gewaschen, gecremt und geschminkt. Wenn wir von der Arbeit zurück kommen geht es auf dem Markt. Sie kaufen ein fürs Abendessen, fürs Frühstück und fürs Mittagessen. Im Staffhouse wird fürs Abendessen aufwendig gekocht. Reis, Fleisch oder Fisch, Gemüse. Zum Nachtisch gibt es Mangos oder Bananen. Sie verdrücken Unmengen an Essen und sind alle schlank. Ich versteh es nicht. Die Zahnbürsten die uns Lukas und Sarah gespendet haben, wurden dem Lehrer übergeben. Er wird morgen mit den Kindern Zähne putzen üben. Herzlichen Dank an Euch vom Lehrer, er hat sich sehr gefreut. Kontrazeption ist hier ein absolutes No Go. Alle sind katholisch. Das Team hat mir gesagt, ich soll bloß nicht davon anfangen. Die meisten haben hier 6 Kinder oder mehr. Eine Frau hatte 12 und sah mit 40 wie eine Greisin aus. Ausgemergelt, zahnlos und fertig.

Unser Arbeitsgerät, die Rolling Clinic

Heute hatte ich nur 56 Patienten. Meist Kinder mit Husten oder Durchfall. Ich bin froh, dass ich in Indien viel gesehen habe und mit den Kollegen diskutieren konnte. Hier muss ich echt sehen, wie ich zurechtkomme. Bei Husten oder geschwollenen Lymphknoten muss man immer an Tuberkulose denken. Hier sieht man z.B Knochentuberkulose, dass kennen die meisten Ärzte nur aus dem Lehrbuch. In Kalkutta hatten die German Doctors die Möglichkeit, Kinder mit Wirbelsäulen-Tuberkulose operieren zu lassen. Danach kamen sie ins Pushpa House und konnten dort viele Monate bleiben und wurden gut versorgt. Das hat vielen eine Querschnittslähmung oder Schlimmeres erspart. Hier gibt es die Medikation, aber wenn es zu spät entdeckt wird hat der Patient keine Chance mehr.

Diskussionen kann man sich sparen

Ich habe bestimmt in jeder Sprechstunde 3- 4 Patienten zu Tuberkulose Abklärung geschickt. Lunge oder Knochen und Haut. Nach der Sprechstunde sind wir ins Krankenhaus gefahren und haben Visite gemacht und Zahnbürsten, Zahnpasta, Seife und Luftballons verteilt. Heute früh habe ich noch einen kurzen Vortrag über Stillen und Ernährung gehalten. Rolando de Castro Junior leitet das Zähneputzen an. Ich find es Klasse. Wenn schon Kontrazeption nicht klappt, dann sollen die Kinder wenigstens Zähne haben. Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus war ich bei der Immigrationsbehörde, weil ich mein Visum verlängern musste. 6 Beamte in einem Raum, alle sehr müde aber freundlich. Nach einigem hin und her haben sie mir das Visum verlängert. Ich habe 5000 Pesos bezahlt, medizinische Ratschläge zu Herzerkrankung und Diabetes erteilt und habe eine Quittung über 1000 Pesos erhalten. Diskussionen habe ich mir erspart….

Viele kleine Patienten in schlechtem Gesundheitszustand warten auf eine Behandlung

Meine Sprechstunde lief gut. 76 Patienten, fast alle gut zu therapieren. Ein zwei Monate altes Baby, 3,5 kg Gewicht. Die Mutter wollte nicht stillen, warum wollte sie nicht sagen. Geld für Milchpulver hat sie nicht. Da habe ich das Milchpulver kaufen lassen. Das Kind hat vor Hunger geschrien. Mich macht so eine Situation fertig, weil ich echt nicht verstehe, was in diesem, von der Welt abgeschnittenen Dorf, sozial passiert. Ihre Mutter lebt hier, die Schwiegermutter ebenfalls, alle gucken betreten als ich sage, dass das Kind stirbt wenn es keine Milch bekommt. Später kommt noch eine junge Frau, die eine ausgeprägte Lungentuberkulose hat. Als ich mit der Sprechstunde fertig bin, werde ich noch zum Hausbesuch gebeten. Da erwartet mich immer sehr Schwieriges, das weiß ich inzwischen. Auch heute wieder. Mich überrascht aber jedes Mal, wie aufopfernd die Kinder und die Ehegatten ihre Angehörigen pflegen. Auch die Alten werden liebevoll in die Sprechstunde gebracht, wenn es irgendwie geht. Am späten Nachmittag habe ich in Calapan noch einen Umzug gesehen, der von den Schulen veranstaltet wurde. Ein guter Tag.