Dankbar für diese Erfahrung
Hilfe auf Rädern: Teil 4 des Einsatzberichts von Dr. Nina Lang aus Luzon
Die nächsten Tage der Rolling Clinic auf Luzon mussten wir uns ohne unterstützende Hilfe durchschlagen, da Langzeitarzt Gerhard zu einer Reise aufgebrochen war. Dementsprechend dauerten die Konsultationen länger, aber wir gaben unser Bestes und diskutierten und studierten abends noch lange Bücher und dermatologische Bilder. Für ausgewählte Fälle wandten wir uns sogar per E-Mail an Dr. Hügel, der uns netterweise bald seine Verdachtsdiagnose schickte. Wenn noch Zeit blieb, versuchten wir etwas Tagalog (Filipino) von Maurine zu lernen, wobei das nicht immer weiterhilft, weil Ilokano (Dialekt von Nord-West-Luzon) oder sogar ein noch regionalerer Dialekt des Ortes gesprochen wird. Einmal entdeckten wir auf dem Heimweg eine grüne Viper, welche die Einheimischen wegen ihres tödlichen Gifts sofort töteten.
Interessanterweise gab es an diesen Tagen jeweils einen roten Faden, der sich nebst vielen anderen Patientenbefunden durchzog: In Daga waren es verschiedene Hautbefunde und Wunden, die es zu behandeln galt; in Paddaoan stellten sich drei Jungen mit Glomerulonephritis/nephrotischem Syndrom vor und am letzten Tag in Manag, wo die Ambulanz übrigens in einer Kirche stattfindet, gab es gehäuft psychiatrische Fälle wie Schizophrenie, Schlafstörungen und Depressionen. All diese Behandlungen werden allein durch Spenden möglich gemacht!
Ein interessantes Wiedersehen
In derselben Gemeinde gibt es einzelne Kinder mit Unterernährung, die wir glücklicherweise sonst nirgendwo gesehen haben: Ein zwei Monate alter Säugling kam mit einem Gewicht von 2,2 Kg zu uns – bei angeblichem Geburtsgewicht von 3 Kg. Er hatte keinerlei Unterhautfettgewebe, war sehr weinerlich, trank ununterbrochen an der Flasche und schien in unseren Augen eine Frühgeburt gewesen zu sein, was die Mutter aber verneinte. Sie hat erwähnt, dass sie im 8. Monat an Dengue erkrankt sei. Wie häufig war die detaillierte Anamnese trotz Übersetzer schwierig. Er kam mit Husten und wurde nach ausführlicher Untersuchung, bei der noch ein paar kleine Fehlbildungen festgestellt wurden (Hautanhängsel an Ellbogen und Knien und zusammengewachsene Zehen), sofort ins nahegelegene Krankenhaus überwiesen. Bei den Nachforschungen später erfuhren wir, dass unsere kleine Patientin ambulant mit Vitaminen und Nahrungsergänzungsmitteln behandelt worden war – der Pädiater hatte an diesem Tag keinen Dienst gehabt. Das hat uns entsetzt und wir können nur hoffen, dass die Kleine gut durchkommt.
Die nächsten zwei freien Tage gönnten wir uns etwas Erholung – unter anderem an einem paradiesischen Flussufer ganz in der Nähe, wohin wir von Jona und Jamella zum Grillen eingeladen worden waren – bevor es auf meine letzte Tour in die Region Kabugao ging. Es war interessant, einige der Patienten von meinen ersten Konsultationen wieder zu sehen. Ein Kind mit Herzgeräusch und fehlender Gewichtszunahme überwies ich zum Herzecho, um einen schwerwiegenden Herzfehler auszuschließen, der hier im Rahmen eines rheumatischen Fiebers entstehen kann. Für den Familienvater mittleren Alters, der sich vor kurzem eine Radialisparese rechts beim Baumfällen zugezogen hatte, gibt es leider wenig Chance auf Besserung und wir hoffen, dass er oder seine Frau eine Arbeit finden, um das Geld für den Erhalt der Familie zu verdienen.
Die Zufahrt ist endlich frei
Abends entdeckten wir einen schönen Weg an einem Fluss entlang. Unseren Abend im Krankenhaus ließen wir in einer gemütlichen Runde mit den anwesenden Mitarbeitern ausklingen. Nachts fuhren wir plötzlich aus unseren Betten hoch als ein mehrmaliges Klopfen mit dem Ruf nach „Doc“ erklang – der amüsanterweise einmal nicht uns, sondern dem diensthabenden Arzt galt, der im Zimmer neben uns schlief. Verdutzt schauten wir uns vor der Tür an und lachten. Wir konnten uns wieder in unsere Betten legen, wohingegen der Kollege bei zwei Geburten assistierte, wie wir am nächsten Morgen erfuhren. Dafür sind in einem abgelegenen Krankenhaus die „General Practitioner“ (ähnlich dem früheren praktischen Arzt) zuständig.
An meinem letzten Arbeitstag konnten wir dann die Schule erreichen, zu der uns zuletzt die Zufahrt versperrt gewesen war. Dort erwarteten uns u.a. ein Mädchen, das seit einer Woche mit gebrochenem Unterarm ohne Schiene oder Therapie auskommen muss und ein Junge mit Diabetes, mit dessen Mutter ich ein ausführliches Gespräch führte und dem ich die Daumen drücke, dass sie es schaffen die notwendigen Mittel für seine Therapie zu finden.
Die freien Tage vor meiner Abreise verbrachten wir in und um Conner. Jonas Familie bat uns, den soeben entlassenen Vater zu visitieren, dessen Zustand sich nach anfänglicher Besserung nach dem Schlaganfall abrupt verschlechtert hatte und seit mehreren Wochen ohne Bewusstsein war. Nach langer Intensivtherapie, die die Familie viel Kraft und enorm viele finanzielle Ressourcen auf Grund der Behandlung in einem Privatkrankenhaus gekostet hatte, wollten sie sich nun Zuhause um ihn kümmern und gaben sich bereits liebevoll der Aufgabe hin. Wir besprachen mit Ihnen die Pflege dieses bettlägerigen Patienten und versuchten vorsichtig seine Prognose abzuschätzen. Unglaublich, wie die Familie ohne medizinische Vorkenntnisse mit Unterstützung der lokalen RHU diesen pflegebedürftigen Patienten versorgen soll.
Zu Besuch auf der Kakaoplantage
Hingegen erfreulich war, dass wir die bereits vielfach gerühmte kleine Kakaoplantage von Hr. Ortega fanden und er sich enthusiastisch einer Tour mit Ausführungen über sein Lebensprojekt hingab – er ist schon fast 80 Jahre und noch mitten in der Arbeit. Die Krönung war, dass wir eine frische Kakaofrucht (köstliches weißes Fruchtfleisch) probieren und einen selbst hergestellten Kakao trinken durften. Zum Schluss konnten wir noch einige abgepackte pure Kakaopäckchen kaufen, die daheim eine tolle Erinnerung an dieses Erlebnis sein werden.
So ging mein ehrenamtlicher Hilseinsatz auf den Philippinen zu Ende und ich bin dankbar dafür, diese Chance erhalten zu haben. Die Eindrücke und Erfahrungen werde ich immer im Hinterkopf behalten und auch für meine Arbeit in der Allgemeinmedizin konnte ich vieles lernen. Einmal mehr weiß man das zurzeit viel kritisierte deutsche Gesundheitssystem zu schätzen und kann von Glück reden, dort geboren zu sein. Der Abschied vom lieb gewonnenen Team fiel nicht leicht, aber vielleicht sieht man sich in der Zukunft einmal wieder!
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