Der absolute Kulturschock

Ein Bericht von Einsatzarzt Dr. Hermann Bönisch aus Dhaka

Dhaka

Nicht nur fachlich, auch menschlich kompetent

Bis Ende November 2017 habe ich noch als Internist/Kardiologe in der Inneren Abteilung eines kleinen Krankenhauses im Münsterland gearbeitet. Dann wurde ich Rentner. Seit langer Zeit hatte ich geplant, zeitnah nach meinem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben endlich einen Einsatz mit den German Doctors zu absolvieren. Der absolute Kulturschock traf mich, als ich in der 17 Millionen Stadt Dhaka eintraf: Menschen, Chaos, Lärm, Müll, Smog, Staub… Ich kam Samstag an. Am Flughafen holte mich Babul, der Kopf des hiesigen Projektes, ab. Von Juba, meinem sehr engagierten, hochmotivierten Kollegen, im dritten Jahr seiner Assistentsarzt-Ausbildung wurde ich in Manda in Empfang. genommen, Sonntag ging es los, in der Nacht zuvor habe ich mich gefühlt wie vor meinem ersten Nachtdienst, meinen ersten NAW-Einsatz. Dann der Sprung ins kalte Wasser.

Ganz tapfer hat die kleine Patientin die Behandlung durchgestanden

Bildung ist das Fundament

Das Projekt der German Doctors ist eingebettet in die Glory Friendship Social Welfare Organisation, die die hiesige Glory Future Model School trägt. Babul hat vor etwa 30 Jahren eine Schule mit 20 Kindern aus sehr armen Verhältnissen gegründet. „Education is the foundation of everything“ ist Babuls Leitmotiv, mittlerweile sind es mehr als 2000 Schüler/innen an verschiedenen Standorten. Die German Doctors sind Mitträger der hiesigen Schule. Viele berühmte Menschen haben das Projekt besucht: Die Außenminister Fischer, Westerwelle, Steinmeier… Babul hat verdienterweise für seine hervorragende Arbeit viele Auszeichnungen bekommen: Den Mahatma Gandhi Preis, den Mutter Theresa Preis usw; 2012 bekam er vom damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck das Bundesverdienstkreuz. Zu Recht, er leistet großartige Arbeit. Während des Einsatzes wohnen die Ärzte in dem Gebäude der Schule in Manda. Von dort betreuen wir sieben Slumambulanzen mit z. T. sehr langen Anfahrtswegen und -zeiten. Unser Team ist personell sehr gut bestückt: Zwei Übersetzer/innen, eine Apothekerin, eine Aufnahmekraft, einen Medical Officer, den Fahrer und den beiden German Doctors.

Die Tränen der kleinen Patientin konnten wir schnell trocknen

Ganz normale Krankheitsbilder

‚All body pain, Cough and Cold, all body itching, dizziness, weakness‘ machen den größten Teil der Diagnosen aus. Bei ‚ härteren‘ Diagnosen waren dann leider  sehr schnell Grenzen erreicht. Beispiele: Ein kleines Kind hat sich sehr stark gekratzt, insbesondere nachts, Scabies. Das Kind kam wieder mit einer Superinfizierung, hatte sich weiter gekratzt. Ich hatte eine 47-jährige Patientin mit Verdacht auf einen Schlaganfall, sie kam mit einer – auch für mich leicht erkennbaren – Wesensänderung. Blutzucker nicht messbar. Coma diabeticum. Ich habe sie umgehend mit unserem Fahrer ins staatliche Diabetes Hospital bringen lassen. Passiert ist dort leider nichts. Juba hatte eine junge Frau mit persistiernder vaginaler Blutung, Hb kleiner 5mg/dl, im Krankenhaus bekam sie EKs, wo doch eine Hysterektomie notwendig gewesen wäre… Es gab ein Gespräch mit der Patientin, dem Ehemann und Babul gegeben, sie wurde erneut ans Krankenhaus verwiesen. Inwieweit sich die German Doctors an den Kosten beteiligen können, wird sich zeigen.

Nach dem ersten Kulturschock geht es besser

Als German Doctors in Dhaka

Nicht perfekt, aber die einzige Hilfe

Was bleibt am Ende? Vielleicht hatte ich nach langen Jahren internistisch-ärztlicher Tätigkeit in einem Akutkrankenhaus zu hohe medizinische Erwartungen. Die Gesamterfahrung ist jedoch richtig gut: Die lieben dankbaren Patienten, die vielen strahlenden Kinderaugen , die geduldigen Mitarbeiter/innen, Initial Juba, von dem ich sehr viel gelernt habe, hinterher Wilhelm, ein älterer toller Gynäkologe, der schon zum zweiten Mal hier ist und notfallmäßig eingesprungen ist, super Zusammenarbeit, das chaotische Dhaka, das ich nach dem ersten Kulturschock immer mehr schätzen lernte, Bangladesch und vieles, vieles mehr…. und natürlich Babul, vor dem ich nur den Hut ziehen kann.