Von Klinik zu Klinik

Medizinische Hilfe leisten: Teil 2 des Einsatzberichts von Dr. Rebecca Wolf aus Chittagong

Meine zweite Woche in Bangladesch begann mit einem sehr stressigen Montag in der Ambulanz. 122 Patienten sahen wir an diesem Tag und wissen nicht genau, wie viele wieder nach Hause geschickt werden mussten, um an einem anderen Tag wieder zu kommen. Montag und Freitag sind wie in Deutschland auch meist sehr beschäftigte Tage beim Arzt. Hier hat es meist auch der Mittwoch in sich, da viele Slumbewohner die Nähe des Community Based Center schätzen uns dann dort mittwochs besuchen. Die neuen Patienten brachten neben den üblichen Hauptdiagnosen die ersten klassischen Scabiesfälle („Krätze“) und viele Pilzerkrankungen mit sich. Viele bekommen juckende Füße aufgrund von Fußpilz, weil der Monsunregen ihre Häuser geflutet hat und sie nun den Tag über durch das Wasser waten müssen. Medizinische Hilfe ist in den Slums von Chittagong bitter nötig.

Berührende Patientenschicksale

Medizinische Hilfe in Chittagong

Unsere medizinische Hilfe leisten wir in einfachsten Behandlungsräumen

Ein 10-jähriges Mädchen mit nephrotischem Syndrom bereitete mir etwas Kopfzerbrechen. Sie war erst aus der Klinik entlassen worden und präsentierte sich nun mit erneuter Proteinurie, Fieber und Erbrechen. Der Versuch die kranke Patientin erneut in die Klinik einzuweisen endete zunächst in einer Ablehnung. Stattdessen wurden von uns zahlreiche Labor-Untersuchungen gefordert, die wir zunächst für die Klinik erledigen sollten. Ich schickte die kranke Patientin also zur weiterführenden Blut- und Urinuntersuchung. Mit den Ergebnissen machte sich die Patientin schließlich selbstständig auf den Weg zurück zur Klinik und wurde dann glücklicherweise auch aufgenommen. Während der stationären Behandlung wurde die Patientin dennoch zwischendurch zu uns zurückgeschickt, damit wir weitere Laboruntersuchungen für sie durchführen. Die geforderten Sonderuntersuchungen waren in unserem Labor jedoch nicht einmal verfügbar und so ging sie mit leeren Händen zurück in die Klinik…

Die Patienten war kaum älter als ich…

Fischerboote Chittagong

Ein atemberaubender Sonnenuntergang in Chittagong

Eine weitere Patientin stellte sich bei uns vor, nachdem sie aus der Klinik entlassen wurde. Sie hatte vor dem stationären Aufenthalt eine plötzliche Kraftminderung im linken Arm und linken Bein verspürt. Aus mir nicht wirklich ersichtlichen Gründen wurde in der Klinik ein Röntgenbild des Thorax veranlasst und anschließend eine antibiotische Therapie aufgrund einer Pneumonitis (so stand es im Diagnosebogen) begonnen. Die Kraftminderung war mittlerweile deutlich regredient und die Patientin wollte von uns, dass wir für eine MRT-Untersuchung der HWS aufkommen, welche ihr die Klinik noch empfohlen hatte. Sie war daraufhin natürlich aufgelöst, als wir ihr mitteilen mussten, dass wir das leider nicht könnten. So ganz habe ich auch nicht verstanden, warum primär eine HWS-Untersuchung empfohlen wurde, wo die Symptomatik fast eher für ein plötzliches zerebrales Geschehen sprach. Erschrocken blickte ich auch auf das Alter der Patientin – Jahrgang 1988 – sie war genauso alt wie ich… Allerdings stellt man hier immer wieder fest, dass viele Patienten deutlich vorgealtert sind und klassische Erkrankungen des älteren Menschen wie Schlaganfälle, COPD oder Diabetes hier durchaus häufig sehr junge Patienten treffen können. Andere Patienten wurden seitens der Kliniken für ein Schädel-MRT bei chronisch rezidivierenden Kopfschmerzen und Zustand nach einmaligem Fieberkrampf im Erwachsenenalter oder für ein i.v.-Urogramm bei rezidivierender Nephrolithiasis zu uns geschickt. Leider können wir für all diese Untersuchungen nur in sehr wenigen Einzelfällen aufkommen. Aber in den Klinken scheinen sie sich häufiger zu denken, dass sie das doch mal eben lieber die reichen Deutschen zahlen lassen könnten. So mache Rücküberweisungen und Forderungen sind schon eher ganz schöne Frechheiten. Und die Patienten sind anschließend natürlich umso enttäuschter, wenn wir ihre Wünsche auch nicht erfüllen können… Ein anderes unverständliches Beispiel war die Ablehnung eines Epilepsie-kranken Kindes mit einer Sehstörung, welches wir zur Visusdiagnostik und Korrektur der Fehlsichtigkeit in eine staatliche Augenklinik überwiesen hatten. Auf dem kurzen Notizzettel schrieben sie nur den Namen einer Privatklinik, in die das Kind doch stattdessen gehen sollte. Auch hier könnten doch einmal mehr die German Doctors zahlen und umsonst medizinische Hilfe leisten. Die Patienten werden von Haus zu Haus geschickt, bis sich jemand findet (oder eben auch nicht findet), der die Rechnung begleicht…

Besuch im Waisenhaus

Waisenhaus Chittagong

Im Waisenhaus waren die Kinder zunächst skeptisch

Neben der Arbeit besuchten wir das „Waisenhaus“ von Chittagong, wo sich Sister Catherine liebevoll um zahlreiche Kinder kümmert, die ein Elternteil verloren haben oder deren Eltern aufgrund von schwerer finanzieller Bedürftigkeit oder langen Arbeitsschichten nicht die Möglichkeit haben, ihre Kinder ausreichend zu versorgen. Ihre Arbeit wird durch Spenden finanziert und so ist sie stets darauf angewiesen, dass ihr Projekt durch Mundpropaganda weitergegeben und verbreitet wird. Als wir das Gästebuch durchstöberten, waren wir überrascht, wie viele ausländische Besucher das Waisenhaus über viele Jahre hinweg schon hatte. Es war sehr schön zu sehen, wie vergnügt viele der Kinder hier spielten. Einige versteckten sich auch ein wenig schüchtern vor uns. Insgesamt hatten wir das Gefühl, dass die Kinder dort in sehr guten Händen sind und hoffen, dass das Projekt weiterhin viel Unterstützung findet. Bei unserem Besuch fiel uns auch ein kleiner Junge mit einem Abszess am Kopf auf. Da es nicht immer ganz einfach ist mit einem Kind in die Ambulanz zu kommen, während noch viele andere betreut werden müssen, boten wir an, beim nächsten Mal das nötige Equipment mitzubringen und den Abszess gleich vor Ort im Waisenhaus zu spalten. Ob diese Idee so gut war, mussten wir leider hinterher bezweifeln…

Aus einem Routine-Eingriff wird ein Notfall

Apotheke Chittagong

Ein Blick in unsere Apotheke in Chittagong

Während des Eingriffs tummelte sich eine Schar von Kindern um uns und bemitleidete unseren weinenden Patienten. Die zwei bösen Doktoren können sich da wohl erstmal nicht mehr blicken lassen! Am Abend desselben Tages verspürte das Kind Schmerzen an der Inzisionsstelle und bekam daraufhin von der Schwester Paracetamol verabreicht. Wenige Zeit später erhielten wir einen besorgten Anruf, dass unser Patient nun einen Ausschlag und Fieber hätte. Wir machten uns also um kurz vor Mitternacht auf den Weg zum Waisenhaus und begutachteten unseren Patienten. Es zeigte sich tatsächlich ein deutliches, fleckiges Exanthem am gesamten Körper mit Urtikaria-Schwellungen im Gesicht. Atemnot oder Giemen bestanden glücklicherweise nicht. Da wir nachts keinen Zugang zu unseren Medikamenten aus der Ambulanz haben, konnten wir akut kaum medizinische Hilfe leisten. Aufgrund der potentiell gefährlich weiter verlaufenden allergischen Reaktion rieten wir das Kind zügig in ein Krankenhaus zu bringen, wo es besser überwacht werden kann. Der kleine Patient wurde daraufhin in die nächste staatliche Klinik gebracht. Dort erhielt er jedoch keinerlei Medikamente, sondern wurde mit einem Rezept gleich wieder entlassen, was jedoch erst am Folgetag eingelöst werden konnte… Am nächsten Morgen kam der Kleine schließlich doch zu uns in die Ambulanz. Die allergische Reaktion hatte sich etwas zurückgebildet. Wir nahmen einen Verbandswechsel vor und versorgten ihn schließlich mit Ibuprofen und der nötigen Antibiotikatherapie. Was als eine gut gemeinte Geste begann, wurde schließlich doch zu einer kleinen Odyssee. Und auch wenn eigentlich niemand einen Fehler begangen hatte, blieb uns doch ein etwas schlechtes Gefühl zurück. Eine allergische Reaktion auf Paracetamol ist aber eigentlich etwas sehr Seltenes und stand nicht in direktem Zusammenhang mit unserem kleinen Eingriff. Wir wunderten uns auch mal wieder ein wenig über die Klinik vor Ort, die die Situation offenbar als deutlich weniger gefährlich einschätzte als wir oder den Patienten eben aus anderen Gründen abgelehnt hat… Wir nehmen in Deutschland schon oft viel zu viele Patienten wegen Bagatellen stationär auf, das mag ja richtig sein. Aber in einem solchen Fall wäre die stationäre Überwachung hier eigentlich noch viel wichtiger gewesen, da die Wege zur nächsten Klinik deutlich schwerer sind und nicht innerhalb von 10 Minuten ein Arzt zur Stelle sein kann, um im Notfall medizinische Hilfe zu leisten… Die Denk- und Arbeitsweise in den Kliniken hier ist uns wohl einfach etwas fremd.

Vier Wochen Arbeit liegen noch vor mir

Müll Chittagong

Eines der größten Probleme der Region ist der Müll

An einem anderen Spätnachmittag nach der Arbeit besuchten wir zusammen mit unserem Sozialarbeiter Charles eines der staatlichen Krankenhäuser in Chittagong, in das wir auch häufig Patienten überweisen. Wir wurden durch zahlreiche Stationen geführt, unter anderem verschiedene Normalstationen mit internistischen, pädiatrischen, chirurgischen und neurologischen Patienten. Am meisten bewegt hat uns wohl der Besuch der Kinderintensivstation. Hier gab es unter anderem einige Fälle von schweren Neugeborenenpneumonien und Meningitiden. Sauerstoff wurde den Kindern über Nasenbrillen und quadratische Kunststoffglocken verabreicht. Sie hingen alle an Monitoren und verschiedenen Infusionen. Der Allgemeinzustand bei vielen war sehr schlecht. Nur etwa 30% der Kinder überleben den Intensivaufenthalt… Die zweite Woche brachte also insgesamt viele eindrückliche Erfahrungen und so schaue ich erwartungsvoll auf die verbleibenden Wochen, in denen ich weiterhin ehrenamtlich medizinische Hilfe für die Ärzten leisten werde.