Mit einem Lächeln durch Bangladesch
Ein Bericht von Einsatzärztin Dr. Ruth Bathiany aus Chittagong
Hier möchte ich meine Erlebnisse mitteilen. Welche Geschichten haben mich fasziniert? Was ist das Besondere an der Arbeit vor Ort? Wie erlebe ich Land und Leute? Wie nähert man sich einem Land, das so unbeschreiblich ist wie Bangladesch? Mit einem Lächeln!
Schon vor meiner Reise nach Bangladesch konnten wir in einem Vorbereitungsseminar in Würzburg und in einem Projektseminar in Bonn viel Neues erfahren über die Arbeit von German Doctors weltweit und speziell in dem Land unserer Wahl. Nach kurzem Zögern habe ich mich für Bangladesch entschieden, ein sehr armes, überbevölkertes Land, das mit vielen Problemen gleichzeitig kämpft und inzwischen ganz besonders auch vom Klimawandel und starken Wetterphänomenen gebeutelt und heimgesucht ist (besonders in der Regenzeit, wenn vorübergehend 80% des Landes überflutet sind). Die Bevölkerung ist sehr freundlich, fleißig, überall wird gearbeitet und gebaut, der Verkehr ist überall lebhaft und laut und für westliche Augen kaum begreifbar, wie sich die verschiedenen Fahrzeuge, Autos, Rikschas, kleine Taxis, Busse, Lastenfahrzeuge, Fahrräder und Fußgänger durch das Chaos durchschlängeln und ein Verkehrsfluss entsteht.
Was mich an der Organisation von German Doctors anspricht ist das Konzept, dass wir nicht Einzelnen viel bezahlen und teure, weiterführende Diagnostik anordnen, sondern dass wir ganz vielen Menschen, die sich selbst nicht weiterhelfen können eine gute Basismedizin anbieten. Das heißt nicht, derjenige bekommt Unterstützung, der sich durchsetzen kann in so einem überbevölkerten Land, sondern die Menschen, die sonst keinen Zugang zu einem gesunden Leben haben, bekommen eine gute medizinische Behandlung und kostenlose Medikamente. Das betrifft alleinerziehende Mütter oder kranke, alte, ausgemergelte Menschen ohne familiäre Unterstützung oder arme Rikscha Fahrer, die wegen eines Unfalls nicht mehr arbeiten können, oder jüngere Frauen, die allergische Reaktionen haben auf Umweltgifte oder auf Farbstoffe/ Chemikalien in den Fabriken des Landes oder schwangere Frauen, die zu Hause in den Familien während Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit betreut werden.
Dadurch kommen mehr Menschen durch eine verbesserte Gesundheit in die Möglichkeit ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und aus eigener Kraft zu gestalten. Das bedeutet nach meinem Verständnis Hilfe zur Selbsthilfe. Der Weg in die Slums war auch für uns kaum begehbar, voller Müll und Abwässer, Metallteilen und organischen Abfällen. Die German Doctors haben diesen Weg herrichten lassen und mit Sandsäcken gesichert. So konnten die Kranken und Kinder unsere Ambulanz ohne zusätzliche Gefährdung aufsuchen.
Was das für uns Ärztinnen und Ärzte bedeutet, die da arbeiten, erschließt sich dann erst so nach und nach. Es ist ein rein humanitärer Einsatz in den diversen Slums. Wir arbeiten dort mit einem einheimischen Team von sehr freundlichen, kompetenten Menschen der verschiedensten Berufe zusammen: Dolmetscher, Gesundheitsarbeiter (health workers), Krankenschwestern, Apothekern, Projektleiter und Mitarbeitern, die für die Verbindung zu den einheimischen Krankenhäusern sorgen. Der Mittelpunkt ist das MCPP (Medical Center for the Poorest of the Poor.) Dort sind wir an drei Tagen in der Woche tätig und betreuen bis zu 120 Patienten täglich. An zwei weiteren Tagen fahren wir in andere Slumambulanzen am Rande der Großstadt Chittagong (4 Mio Einwohner im Umfeld).
Und mit diesem Team hatte ich ein besonders schönes Gemeinschaftserlebnis: nämlich das Anfertigen und Einpacken von 95 Food packages“ (Nahrungsmittelpakete für besonders bedürftige Menschen) in einer gemeinsamen Aktion. Nach der Sprechstunde wurde das sonst so volle Wartezimmer in eine Getreidekammer verwandelt.: die Stühle entfernt, eine große Plane ausgelegt und darauf zwei Säcke Reis und zwei Säcke mit verschieden farbigen Linsen zusammengemischt und in kleinen Säckchen abgefüllt, eingeschweißt und Hurra fertig waren die Pakete! Wir können als Ärzte nicht nur Medikamente oder Krankenhausaufenthalte verordnen, sondern auch für besonders geschwächte Menschen sogenannte Essenspakete. Wenn ein Patient keine Familie hat, die ihn versorgt und er zu schwach ist, kann er so ein Paket bekommen. Diese Aktion hat bei meinen Freunden in Deutschland großen Anklang und eine Welle der Spendenbereitschaft hervorgerufen.
Wenn ein Patient von uns untersucht ist und wir feststellen, dass er zu einer Operation oder einer Weiterbehandlung in ein Krankenhaus sollte, heißt das noch nicht, dass der Patient das dann umsetzen kann. Es gibt so viele Hürden zu überwinden, die wir uns zunächst nicht vorstellen können. Das Krankenhaus wirkt riesengroß, besonders, wenn man aus einer kleinen Hütte aus den Slums kommt. Auf 500 Betten sind ca. 1200 Menschen untergebracht. Der Patient kann nicht lesen oder schreiben und würde sich in dem siebenstöckigen Gebäude nicht zurechtfinden. Er könnte auch keine Aufnahmegebühr bezahlen. Es wäre nicht klar, wer die anfallenden Kosten bezahlt. So ist es inzwischen üblich, dass ein erfahrener, einheimischer Mitarbeiter (Charles) von German Doctors die Patienten von unserer Ambulanz dorthin begleitet, sie in der entsprechenden Abteilung vorstellt und die Bezahlung der Kosten durch die German Doctors dadurch garantiert wird. Nur so gibt es überhaupt eine Möglichkeit dort anzukommen und behandelt zu werden.
In unserer Ambulanz stellte sich eine junge Mutter mit ihrem drei Tage alten Neugeboren vor. Es hatte eine gelbliche Hautfarbe und eine große Leber. Die Mutter hatte einen positiven Syphilistest und war ziemlich erschöpft und suchte Rat und Hilfe bei uns. Charles brachte sie ins Krankenhaus. Einige Tage später fuhren wir zur Besichtigung ins KH. Wie war die Überraschung und Freude groß, als wir zufällig dem Vater des Neugeborenen und dem älteren Bruder dort auf dem Gang begegneten. Dem Baby und der Mutter ginge es schon viel besser.
Auch die familiären Beziehungen in einem muslimischen, patriarchalen Land sind für uns nicht immer verständlich. Zum Beispiel kam eine 16-jährige junge Frau zum Schwangerschaftstest. Auf meine Frage, „ist sie verheiratet“? antwortete der Dolmetscher: she is pregnant ! Also das war eine klare Antwort, die nichts anderes zulies. Schließlich fiel mir auf, dass die junge Frau nicht besonders erfreut wirkte. Auf meine Nachfrage wurde mir mitgeteilt, dass die Familie will, dass sie Kinder bekomme, sie persönlich jedoch nicht.
Was mich immer wieder traurig berührt hat, war, dass viele junge Mütter schon ein Kind verloren hatten oder eine Totgeburt erlebt hatten. Wenn dann weitere Kinder da waren, konnte das besser verarbeitet werden. Wenn die Frauen jedoch keine weiteren Kinder hatten, wirkten sie auf mich sehr deprimiert und hilfsbedürftig. Dafür gab es leider keine Möglichkeiten sie zu unterstützen.
Die schönsten Erlebnisse hatten wir mit den jungen Müttern in den feeding programs. Die unterernährten, schmächtigen Kinder meist mit untergewichtigen jungen Müttern konnten gemeinsam ein Mittagessen (Kichuri= eine Mischung aus Reis und Linsen und Gemüse) zu sich nehmen und wurden ausgebildet in Ernährungslehre und Hygiene und allgemeinen Fragen zur Gesunderhaltung. Diese Kinder haben so die Möglichkeit eine normale Entwicklung zu nehmen und aus der schweren Unterernährung mit all ihren Folgen herauszuwachsen.
Bei einem Rundgang rund um das MCPP (Medical Center for the Poorest of the Poor) in einem städtischen, ehemals christlichen Gebiet mit einer katholischen Kirche sind auch verschiedene Moscheen, hört man abends den Muezzin mit seinen Gebeten. Es gibt einige Hindu Tempel und einen Buddhistischen Tempel in der Nähe, alles auf engstem Raum. Die Religionen scheinen noch friedlich nebeneinander oder zusammen zu leben. So ist der Security Guard am Tor zur katholischen Kirche ein Hindu. Wir haben ihn am Rande einer Hinduprozession getroffen und er hat uns freudig zugewinkt.
In dem Ethnologischen Museum der Stadt Chittagong ist eine kleine Figur ausgestellt, die nebeneinander vier Menschen der verschiedenen Religionen darstellt. Von links nach rechts: ein Buddhist, ein Christ, ein Hindu und ein Moslem. Der Museumsdirektor teilte uns mit, dass in Bangladesch die Menschen froh sind, dass die Religionen friedlich zusammenleben können. Hoffen wir, dass das lange so bleiben wird. Die Menschen lieben ihr Land, sie freuen sich auch wenn sie uns Weiße sehen, wollen gerne auf Fotos und gerne Selfies mit uns machen. In den engen Gassen immer wieder Menschen, die stehen bleiben und uns anstarren. Andere weiße Menschen haben wir so gut wie nie getroffen in den sechs Wochen, weder in den Gassen und Bazaren der Stadt, weder am Hafen noch am Flughafen. Von Tourismus keine Spur. Dort wo wir Touristen vermuteten, waren es Banglafamilien/ Rückkehrer aus Kanada oder Frankreich oder es waren arabische Familienclans, die in Cox´s Bazar Urlaub machten. Einer meiner letzten Patienten in dem 6-wöchigen Einsatz in Chittagong beschenkte mich mit einem Lächeln und das in den Nationalfarben von Bangladesch.
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