Es ist eine ungerechte Welt

Als Ärztin in Chittagong: Einsatztagebuch Teil 7

Mein Abschied aus Bangladesch naht. Ich liege im Bett, aufgewacht, eigentlich völlig k.o., mit Kopfweh, und kann nicht schlafen. Was tun? Nach Schokokeksen mit Nutella, Gummibärchen und etwas Spotify muss ich mich doch aufraffen und meine Gedanken ordnen. Nächste Woche wieder mit meinem BMW auf der Autobahn herumzufahren erscheint mir völlig surreal, zumal ja auf der Autobahn auch kein Müllhaufen und keine einzige Kuh stehen wird. Es ist eine ungerechte Welt – wie können bloß so große Unterschiede bestehen?

Sechs Wochen Hilfseinsatz liegen hinter mir

Ungerechte Welt: Kind sucht im Abfall

Ungerechte Welt: Ob es hier noch etwas Verwertbares gibt?

Es war eine ereignisreiche Zeit, die ich als Ärztin im Hilfseinsatz für die  German Doctors erlebt habe. Und gerade heute Abend habe ich doch Frieden mit diesem Land geschlossen. Nach einem Fußmarsch zum Chittagong Arts Center, auf welchem ich noch die Gelegenheit genutzt habe mich bei einer neuen Bekanntschaft – einer Hebamme aus Spanien, tolle Frau, die das Gerücht, dass die Frauen hier viel zu häufig sektioniert werden übrigens gestützt hat – zu verabschieden, hatte ich noch einmal ausgiebig die saubere und stimmungsvolle Atmosphäre dieses Kunstverein genossen. Ein sympathischer Bengalese, um die sechzig, eigentlich Ingenieur, hat es sich zur Aufgabe gemacht, sein weiteres Leben der Erhaltung und Förderung von Kunst und Kunsthandwerk in Bangladesch zu widmen. Auch aus Deutschland erhalte er materielle und ideelle Unterstützung seines Projekts, das anscheinend noch zum Großteil von Spendengeldern abhängig ist – auch hier offenbart sich eine ungerechte Welt. Es gibt dort auch kleine geschmackvolle Souvenirs, wie ich sie sonst nirgends finden konnte. Sein Projekt finde ich wirklich unterstützenswert. Ich hatte schon öfters das Gefühl, dass in diesem Land wirklich viel Kreativität steckt; schön, dass sich jemand ihrer annimmt, ihr eine Plattform bietet und sie fördert.

Letzte Souvenirs werden besorgt

Nachdem ich mich für ein paar Kleinigkeiten entschieden habe und der Verkäufer im Laden mir noch ein paar Tipps für Bengali-Musik auf YouTube aufgeschrieben hat, mache ich mich auf. Auf der Straße steht schon ein Rikschafahrer wie bestellt, der Mann vom Kiosk hilft bei der Einigung über Ziel und Preis und los geht’s, vielleicht meine letzte Rikschafahrt. Es ist schon dunkel, Iftaar – das Fastenbrechen – ist schon vorbei. An den größeren Häusern blinken die Lichter wie an Weihnachten, unzählige Menschen sind auf der Straße. Eigentlich ist wenig Verkehr und so tritt der Fahrer ordentlich in die Pedale und der Fahrtwind bläst mir angenehm ins Gesicht. Die anderen Rikschas glitzern zum Teil mit ihrer bunten Verzierung und Bemalung im Schein der Lichter. Es hupt und trötet überall. Bei Nacht sieht man nicht so viel Dreck wie am Tag und der Geruch stört mich gerade nicht. Vielleicht bin ich auch einfach zu weit weg, auf dem Rikschasessel thronend. Links wieder eine Kuh, die in einem Müllhaufen nach Futter sucht. Ein paar Meter weiter schreitet eine Geisterfahrerkuh in Seelenruhe gegen den flotten Verkehr ihrem Ziel entgegen. Nach wenigen hundert Metern erreichen wir New Market, mein Ziel.

Auf geht’s in die Heimat

Gesundheitszentrum

Das Gesundheitszentrum in Chittagong

So schnell gehen sechs Wochen vorbei. Jetzt sitze ich am Flughafen. Es ist 8:54 Uhr und gerade ist das Flugzeug gelandet. Boarding war bereits für 8:40 Uhr angekündigt, um 9:25 Uhr ist Abflug. Alles friedlich, alle entspannt, kein Ärger, keine Aufregung. Die Boardingpässe wurden bereits gecheckt – alle Bangladeschis haben sich angestellt! Man fällt echt auf. Ich hoffe echt, dass mit dem Flug alles klappt. Und dass das Gepäck mitkommt. Das hat bisher bei keinem geklappt… Ansonsten mal schauen. Am Nachbargate steht ein Flugzeug der UN. Ich bin froh, dass ich gesehen hab, dass es definitiv nicht an mangelnder Unterstützung durch die westlichen Länder liegt, es scheint wirklich viele Projekte zu geben. Um 9:30 Uhr beginnt dann wirklich das Boarding. Eine Traube Männer strömt zur Tür, ich will sie eigentlich alle vorlassen – da schauen mich schon wieder alle an. „You come, everybody’s waiting for you!“. Aber beim Flieger gilt wohl Ladies, children (und Ausländer?) first. Ich bin so froh, wenn ich in ein paar Stunden endlich nicht mehr so auffalle. Doch letztlich zeigt sich auch hier eine ungerechte Welt – ich kann einfach in ein Flugzeug steigen und Armut, Elend und Krankheit hinter mir lassen.

Ob ich mich schnell wieder in Deutschland eingewöhne?

Im Flugzeug sitzt eine junge Bengalin neben mir,  ihr Name ist Julie. Sie sei „newly married, only 8 months, arranged marriage“, und besuche nun ihren Ehemann in Salalah/Saudi Arabien. Der sei Ingenieur und arbeite dort. Sie studiere noch, BBS ‚Business‘ und wohne bei den Eltern in Chittagong. Wenn sie dann fertig ist, zieht sie zu ihrem Mann. Aber arbeiten werde sie nicht, ihr Mann wolle das nicht, sie sei dann Hausfrau. Eine ganz niedliche, wir machen noch ein paar Selfies und ich lasse sie ans Fenster – ich glaube es ist ihre erste Flugreise. Im Oman angekommen bin ich doch etwas flatterig, es heißt der Flug wartet. Aber die Befürchtungen sind unbegründet, der Flug nach München wird erreicht. Bei der Kontrolle werde ich dann erstmals gefragt ob ich aus Bangkok oder Sansibar komme – die Antwort ‚Bangladesch‚ sorgt für eine kurze, ehrliche Überraschung bei der routinierten Frau am Schalter. Und Sekunden später befinde ich mich wieder unter Deutschen, die meisten schön gebräunt in Urlaubsstimmung. Ich bin überrascht wie fremd alles klingt, keiner spricht Bangla, keiner schaut mich an, die Menschen machen Urlaub… Im Vergleich dazu komme ich mir etwas armselig vor mit meiner One-String (bengalisches Instrument), dem etwas mitgenommenen, vollgestopften Jutesack mit Teddybär, Stethoskop, Ersatzunterwäsche und Stirnlampe (ich habe wirklich nicht mehr an eine reibungslose Reise geglaubt!), den notdürftig selbstgeschnittenen Haaren, der Papiertüte mit Mangos und meinem alten Laptop. Ganz reinpassen tue ich noch nicht. Aber sechs Stunden Reise liegen ja noch vor mir…