Mit der Rikscha durch die Stadt
Als Ärztin in Chittagong: Einsatztagebuch Teil 3
Ein freier Sonntag. Perfekt, um mit der Rikscha die Stadt zu erkunden. Der Wirbelsturm mit viel Regen vom Vortag ist vorbei, die Folgen und Pfützen in der Wohnung beseitigt. Ausgeschlafen und gefrühstückt; es gibt Rührei auf dem Gasofen – ich werde noch zum Proficamper! Das Wetter draußen ist schön: Noch leicht kühl ,aber trocken und klar. Perfekt für eine Sightseeingtour, die fehlt uns noch, bis jetzt habe ich mich ohne Einheimische noch nicht aus unserem Viertel getraut. Die Sights in der Innenstadt von Chittagong hatten wir – also mein deutscher Kollege und ich – uns am Vortag schon ausgespäht. Wie erwartet doch übersichtlich. Aber Vorbereitung tut Not, sind die Schilder doch – falls überhaupt vorhanden – in Bengali geschrieben. Als Orientierung dient die skizzierte Stadtkarte aus dem Lonely Planet. Der Plan ist also: Erst zum Hauptbahnhof, dann zum bhuddistischen Tempel und wenn wir dann noch ganz mutig sind und Lust haben zum World War II Memorial, das haben wir aber auf der Karte nicht gefunden. Also los. Raus aus dem Haus und rechts am öffentlichen Mülleimer vorbei. Grundsätzlich liegt ja überall etwas Müll herum. Ich unterstelle hier schon etwas den ‚die Chipstüte ist keine Bananenschale‘-Effekt der übernommenen alten Gewohnheit, ist ja auch nicht so schlimm. Jedenfalls gibt es aber auch immer wieder z. T. eingemauerte Quadratmeter, die als öffentlicher Müllplatz dienen. Es kommt auch immer wieder einer und schaufelt den leer. Wie es dann genau weitergeht, weiß ich nicht. Ich weiß auch nicht genau, wo das Wasser aus der Leitung herkommt, wenn man den Hahn aufdreht. Also rechts vorbei und dann links durch ein typisches offenes kleines Türchen in einem großen verschlossenen Tor hindurch in einen schmalen Weg zwischen einer recht schönen Häuserzeile links und dem Allzweck-Weide-Sport- und Spielplatz rechts. Dort ist gerade wenig los – es ist Schule. Am Nachmittag tummeln sich da viele Kinder, fast ausschließlich Jungs, und spielen. Kricket ist hier beliebt, Bangladesch ist da wohl auch recht gut. Wenige Kühe rupfen sich etwas von den verbliebenen Grasbüscheln ab. Am Ende der Gasse nach rechts, weiter entlang der Kopfseite des Spielfeldes. Auf der Mauer stolziert ein laut krähender Hahn. Am Ende des Weges ist links der Metzger. Er schlachtet wohl jeden Morgen dort eine Kuh, gerade verkauft er jedenfalls diverse Fleischstücke. Nach links und die Straße entlang.
Als Blickfang unterwegs in Chittagong
So langsam könnten wir uns eigentlich eine Rikscha suchen. Erst fand ich es ja furchtbar dekadent, mich von so einem dünnen Bengalen durch die Gegend radeln zu lassen. Auf der anderen Seite freuen die Rikscha-Fahrer sich ja eigentlich über den Lohn, die Konkurrenz ist groß, es gibt echt viele. Also haben wir das erste Mal ohne einheimische Hilfe eine Rikscha organisiert, mit Fingersprache und Englisch. Und so stehen wir wenige Minuten später vor dem Bahnhof. Ein schöner relativ neuer Kopfbahnhof mit neuen und alten Zügen, einer Reihe mit mehreren Schaltern, eine Dampflok fährt gerade aus. Wir gehen etwa hundert Meter den Bahnsteig entlang und stehen dann beim alten Hauptbahnhof aus rotem Backstein, aus der Zeit der Engländer. Am breiten Bahnsteig finden sich viele Büdchen mit verschiedenen Snacks. Es gibt eine schöne, ordentliche, bestimmt noch britische Stahlbrücke als Gleisüberführung. Überall stehen ein paar Polizisten. Ich werde immer etwas nervös, wenn sie mich anschauen, und befürchte etwas falsch gemacht zu haben – aber das bedeutet eigentlich nichts. Als Ausländer ist man hier einfach Blickfang, die gibt es hier sehr selten. Aus dem Bahnhof geht es nun raus und auf den Vorplatz, Fotomotiv! Da kommt dann die erste Bettlerin (es gibt eigentlich sehr wenige, muss man sagen). Verschiedene Grüppchen von Männern sitzen da und gucken. Uh, und ich rieche Gras – und schaue besser, dass ich wegkomme. Aber wiedermal: Gar nicht so leicht. Über eine Straßeninsel auf die andere Seite. Beim Rückblick zeigt sich auf der Straßeninsel eine kleine Moschee (wirklich klein, so 3 x 3 Meter).
So, jetzt: Bhuddistischer Tempel. So richtig sicher sind wir uns mit der Skizze nicht, entscheiden uns schließlich für links, entlang des Bürgersteigs. Noch etwas zum grundsätzlichen Straßenbild: In der Stadt hier sind doch viele Hauptstraßen geteert. Es gibt so etwas wie ein Kanalsystem, bestehend aus teils beidseits betonierten Gräben neben den Straßen. Man muss echt aufpassen, dass man nicht reinfällt. Jetzt ist es aber natürlich nicht so, dass da nur Wasser fließt. Es fließt genaugenommen fast nix, je nach Regen steht etwas Wasser drin, und irgendwann landet halt auch jeglicher Abfall dort. Männer dürfen sich hinhocken und reinpinkeln. Gelegentlich kommen dann auch Männer, die den Dreck rausschaufeln. Wo die das dann aber hinkarren, bleibt wie bei den öffentlichen Müllplätzen ein Rätsel.
Wir gehen also den Bürgersteig entlang. Immer wieder fehlen Platten und man muss dann wieder zwei Fußlängen über diesen hier gerade knapp unterirdischen Kanal steigen. Vorbei an einem Busbahnhof dann rechts. Hier gibt es keinen Kanal und keinen Bürgersteig. Autos, CNGs und eine nach der anderen Rikscha fahren vorbei, irgendwie in alle Richtungen. Ab und zu springe ich sicherheitshalber in das Matschgras am Rande. Eine Gruppe Buben kommt her. „Where are you from? What’s your name? Bangladesh is beautiful!“ – wir unterhalten uns wenig, sie posieren für Fotos, und dann geht es weiter. Wo ist bloß dieser Tempel. Links erscheint ein schönes großes altes Backsteingebäude mit Holzverzierungen. Alles in Bengali beschriftet, hmm… Es scheint umfunktioniert, mit Büros, Geschäften gefüllt? Rechts das Gebäude des alten Railway-Hospital – ein Krankenhaus noch aus der Zeit der Engländer; endlich ein paar lateinische Buchstaben. Zur Orientierung hilft das aber auch nicht. Also weiter auf der linken Straßenseite. Jetzt gibt es wieder Bürgersteig, nach weiteren hundert Metern sogar gepflasterten Bürgersteig. Wenig später ein Bild für die Götter: Vier Milchkühe spazieren aufmerksam und entschlossen von rechts nach links, eine nach der anderen über die Straße. Gut, okay, die letzte hinkt etwas. Mein Blick nach links zeigt: Uh, eine Wiese! So macht’s also die emanzipierte Kuh, Zaun ist out, man sucht sich die Weide selber. Vor uns erhebt sich groß und blaugrau das Radisson Blue. Ein eindeutiges Zeichen, dass wir falsch gelaufen sind. Aber immerhin wissen wir dank dem Hotel wieder wo wir sind. Ob ich da im Bikini schwimmen darf? Wohl eher nicht, sagt mein Bauchgefühl.
Rechts liegt nun das Stadion, in der Gegend sind jede Menge (Fastfood-)Restaurants. Softdrinks und Eiscreme als Zeichen des aufkommenden Wohlstands sind gerade ultraschick. Wir laufen um das Stadion herum und sehen gleich wieder eine Reihe Slumhütten – arm und reich schön nah beieinander. Es geht zurück über eine nette Einkaufs- und Wohnstraße. Nach ein paar hundert Metern nach links. Ich habe die Strommasten noch nicht erwähnt. Elektrizität ist natürlich überirdisch verfügbar. Einmal zischt es – war wohl ein Kurzschluss. Die Kabel hängen regelmäßig so tief, dass ich aufpassen muss, nicht dagegenzurennen. Nachdem wir auf unserem Spaziergang schon zwei öffentliche ’normale‘ Mülleimer an Pfosten gesehen haben, findet mein Kollege, dass eigentlich nur noch wasserdichte Verteilerkästen fehlen; das wäre doch dann schon ganz ordentlich.
„Guck mal, die schmusen!“
Auf dem Weg treffen wir einen Kollegen aus dem benachbarten Father Boudreaus Medical Center. Total schön, alle die uns kennen winken uns gleich zu. Er lädt uns ein für nächsten Sonntag, und er will uns das College zeigen. Grinst und kaut Betel und verabschiedet sich. Wir erreichen schließlich den Tempel, dort wird gerade aufgeräumt, gestern war ein großer Feiertag, Bhuddas Geburtstag. Reingehen trauen wir uns irgendwie nicht, also Foto und weiter. Gegenüber ist ein Park – DC Hill. Laut Lonely Planet ‚… a pleasant place with many old trees. Atop is the district commissioner’s residence…‘. Tatsache. Nach dem Sturm gestern liegen jede Menge Äste und Laub rum, etwas Papierchen und Müll, die Wege sind zugewachsen, Mäuerchen oder Reste von Gebäude stehen rum, einige Menschen halten sich hier auf, ratschen, sitzen herum, schlafen an diversen Orten und wie es halt grad passt – einen Rikscha-Fahrer haben wir auf der Straße schlafen gesehen, rücklings auf seiner Ladefläche liegend, mit dem Kopf auf dem Sattel) Sie wirken alle ganz entspannt, zwei Frauen sammeln Holz. „Ach, isch doch ganz nett hier!“ kommentiert mein Kollege mit seinem schwäbischen Akzent. Er ist eindeutig schon besser angepasst mit seinen zwei Wochen Vorsprung. An den Park schließt sich eine Gärtnerei an. Soviel Ordnung habe ich hier bisher noch nirgendwo gesehen! In Reih und Glied stehen verschiedene Pflanzen ordentlich eingetopft und sortiert zum Verkauf da. Es duftet herrlich. Ein Weg führt an dem eingezäunten Bereich vorbei, am Ende eine Bank. Dort ein seltener Anblick: Ein junges Pärchen, sie mit ins Tuch gewickeltem Kopf kuschelt sich an seinen Arm. „Guck mal, die schmusen!“ entfährt es mir, und damit schrecken sie beide auf – ich Trampel. Wir verschwinden schnell wieder. Männer sieht man Händchen haltend auf der Straße (also so halt, Homosexualität ist natürlich illegal), Paare sieht man fast nie zusammen. Und ein Platz, um unverheiratet ein wenig zu kuscheln, ist hier bestimmt nicht so leicht zu finden.
Als nächstes beschließen wir noch eine nahegelegene Moschee aufzusuchen. Alles Pi mal Daumen nach der Skizze im Lonely Planet. Irgendwann stehen wir vor einem irgendwie islamisch aussehenden Haus mit Lautsprechern auf dem Dach. Hmm, aber irgendwie doch komisch, sind wir richtig? Nochmal gucken. Und während ich nochmal den Reiseführer studiere kommen zwei Jungs an, und bieten mir auf Englisch ihre Hilfe an. Zur Moschee sind es noch paar Meter, sie führen uns hin. Im zweiten Jahr secondary school sind sie, business und management wollen sie mal machen. Wenige Minuten später stehen wir von der bunt bemalten Moschee. Die Jungs zeigen uns noch, welche Restaurants hier gut sind und verabschieden sich – sehr nett. In die Moschee reingehen trauen wir uns wiedermal nicht. Dafür: Nebenan ist eine schicke Konditorei und es gibt lokale Süßigkeiten. Die habe ich schon gesucht. Und Kekse. Wir shoppen kurz. Und gegenüber ist eine Feuerwehrstation, die haben sogar drei große Autos dastehen. Damit hatte ich schon gar nicht mehr gerechnet.
Fotomotiv: Schlachtung einer Kuh
Wiedermal überwältigt von all den Eindrücken bin ich dankbar über die Idee, mit der Rikscha nach Hause zu fahren. Wir feilschen etwas und sehen schließlich ein, dass die Strecke nicht ganz günstig ist, es geht nämlich etwas bergauf. Auf der Rikscha schlaffe ich dann doch ziemlich ab. Beim New Market, wenige hundert Meter vor dem MCPP steigen wir aus. Noch nach Hemden schauen und Geld abheben. Vielleicht doch was trinken besser; also kaufen wir uns Wasser. Ich habe das Gefühl, dass mir mindestens hundert Augenpaare zuschauen, wie ich das Siegel meiner Flasche herunterfummel und den halben Liter trinke. Jetzt ist es besser. Weiter Richtung MCPP. Der Mann beim Geldautomaten kennt uns inzwischen und winkt uns auch schon. Beim Metzger liegen jetzt zwei Kuhköpfe vor dem Stand, schön ordentlich wie zur Verzierung hingestellt. Ein etwas verschämtes kurzes Foto und schnell weiter. Hinter dem Stand liegen am Boden neben dem Kanal mehrere noch gefüllte Pansen. Gottseidank sind die zu. Was macht denn der Mann dahinter am Boden? Ach der häutet grad das Kalb, der ist ja schon fast fertig. Irgendwie bin ich gar nicht mehr überrascht. Wir laufen vorsichtig vorbei. Da ruft jemand hinter uns – der Metzger winkt uns und kommt angestürmt: Er will unbedingt, dass wir ein Foto mit ihm und seinem Helfer und dem Kalb am Boden machen. Wir zeigen es ihm und er freut sich. So, ist ja alles spannend und interessant, aber für heute reicht es dann langsam wieder, merke ich und bin froh, wenige Minuten später im Doctor’s house zu sein.
Faszinierend!