Wie ist das Leben in Bangladesch?
Als Ärztin in Chittagong: Einsatztagebuch Teil 2
Ich wache nachts auf und alles ist nass. Ich schwitze gefühlt wie nie zuvor. Am Vortag waren es in der Wohnung trotz Ventilator und Klimaanlage 32° C. Ich will nicht wissen, wie es draußen war… Das ist wirklich körperlich anstrengend. Und den Runny-Nose-Virus von den Kindern habe ich auch abgestaubt. Ich empfinde es ja immer wieder als Bereicherung, mich anderen Lebensweisen und Kulturen auszusetzen, aber das Arbeiten und das Leben in Bangladesch verlangen mir doch ganz schön was ab. In der Sprechstunde am Mittwoch war immer wieder Stromausfall. Dann funktionieren natürlich die Deckenventilatoren nicht. Beim Schreiben sind mir dann immer wieder Tropfen von meiner Nase auf die Patientenakten gefallen. Irgendwann am Morgen schlafe ich doch nochmal ein und als ich aufwache regnet es! Zwar nur wenig, aber das kühlt etwas ab und seither ist es deutlich besser.
Die Arbeit ist mit meinem medizinischen Wissensstand gut machbar. Zum Teil macht es richtig Spaß, zum Teil ist es aber auch sehr anstrengend. Richtig Spaß macht diese Vielseitigkeit – ich kann jetzt auch weiße Gipse! Man muss sich halt bei diesen Temperaturen ziemlich beeilen. Hat mir mein netter und kompetenter Kollege aus dem Schwabenländle beigebracht. Und mir macht wirklich auch dieses super-tolerante und wohlwollende Team Spaß: 18 deutsche Ärzte jährlich jedesmal integrieren und immer zwischen den Kulturen stehen ist sicher sehr anstrengend und das machen sie echt super. Religiös ist das Team auch heterogen. (Noch) scheint das auch insgesamt in Bangladesch gut zu funktionieren (80% muslimisch, Rest Christen, Buddhisten, Hinduisten), was wirklich Hoffnung für den Rest der Welt schenkt.
Eine vollkommen andere Mentalität
Schlimm war die Slumambulanz. Immer mittwochs arbeiten wir hier in einem gemauerten Haus, das von German Doctors in einem Slum errichtet wurde. Dort findet ohnehin täglich ein Feeding-Programm für die unterernährten Kinder mit drei Mahlzeiten täglich und Unterricht für die Mütter statt. Und am Mittwoch ist eben immer Sprechstunde. Nach dem 10. Kind mit Schnupfen und der dazugehörigen psychosomatisch überlagerten Mutter mit ‚heartburn‘ (= Sodbrennen) habe ich mich erdreistet, statt Paracetamol und Ranitidin für beide Salbeitee vorzuschlagen. Auf den ersten Blick erscheint es mir – besonders hier angesichts der Menschenmassen mit reichlich schlimmeren Problemen – nicht sinnvoll, dass die Patienten die Ressource ‚medizinische Versorgung‘ für Lapalien verplempern. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass sie sich eigentlich wirklich besser zusammenreißen könnten und was sinnvolles tun könnten anstatt hier stundenlang auf den Doktor zu warten um dann nur zu jammern – und verwerfe ihn natürlich sofort. Die Medizin und die Kultur ist hier einfach anders. Das Bildungsniveau ist so niedrig, dass die Leute z. T. einfach nicht wissen, wie sie sich gesund halten. Der Glaube an Tabletten ist riesig und Hilfe zur Selbsthilfe nicht so leicht umsetzbar. Da kommt der Salbeitee an das gute Paracetamol einfach nicht ran. Meinem Übersetzer entgeht meine Frustration nicht. „You cannot change their situation. You cannot make them satisfied. You think you do nothing but it helps them a lot. They can not buy any medicine.“ Ich bewundere ihn sehr, dass er angesichts der täglichen Misere, nach 13 Jahren Übersetzen und 18 deutschen Ärzten jährlich so viel Empathie für mich aufbringt. Im Übrigen bewundere ich ihn auch, das er mir völlig unkompliziert am ersten Tag erklärt hat, wie der Hase läuft und mir die Arbeit leicht macht – es läuft echt gut.
Das Leben in Bangladesch ist nicht leicht
Also ein erstes Zwischenfazit: Ohne Gesundheitsversorgung zu leben ist schlimm, aber ohne Bildung ist es meiner Meinung nach fast noch schlimmer. Besonders die Sozialarbeiterinnen, aber auch die Krankenschwestern erscheinen mir hier ziemlich gut – streng, clever, gutmütig und dabei auch noch fröhlich. Und so erklären sie den Damen hier tagtäglich, dass man halt nunmal seine Zähne putzen muss, und dass die Kinder das auch machen müssen, wie wichtig sauberes Wasser, Hände waschen und kurze saubere Fingernägel sind, wie man Nahrung lagert, welche Nahrung gut ist, dass jedes Kind seinen eigenen Teller bekommen sollte und zeigen Möglichkeiten der Familienplanung auf. Es stehen auch ein paar Singer Tret-Nähmaschinen herum, außerdem gibt es einen ‚Women-Group-Savings-Account‘; ich muss nochmal genauer nachfragen, was dort alles unterrichtet und gemacht wird.
Die vielen unlösbaren Probleme und der Frust der von der übrigen Gesellschaft abseits lebenden Menschen ist schon zu spüren – das Leben in Bangladesch ist für größe Teile der Bevölkerung wirklich nicht leicht. Die Menschen sind z.T. in den Kleidungsfabriken angestellt, arbeiten als Tagelöhner, Hausmädchen, Fischer oder Rikschafahrer, nur wenige Kinder gehen in die Schulen – die sind zwar offen für jeden, aber Uniform, Ausrüstung, Bücher müssen selbst gekauft werden und das übersteigt natürlich schnell die Möglichkeiten. Manche Frauen geben auch an, Hausfrau zu sein. Schenkt man dem lokalen Priester hier Glauben, verdient man in der Kleidungsindustrie hier wohl mit 12h täglicher Arbeit circa 10000 Taka pro Monat (1 € = 89 Taka, also so 12 €), die Miete im Slum macht wohl ca. 5000 Taka aus. Laut dem Priester schreie die rasche Verstädterung und Industrialisierung nach Massen von unqualifizierten Arbeitskräften; die Landbevölkerung ziehe in die Städte auf der Suche nach Arbeit. Die beengte Wohnsituation, die viele Arbeit und die sozialen Probleme schürten dann natürlich Streit und Kriminalität, die Leute würden sich z.T. gegenseitig die Hütten zerstören, außerdem sind die bestimmt nicht besonders witterungsbeständig – und Bangladesch ist überschwemmungs- und wirbelsturmgefährdet.
Hoffnung auf Besserung
Eine Jeans verlässt Bangladesch wohl für ca. 8 Euro. Ich kann nicht sagen, was von all diesen Geldangaben wirklich stimmt, aber der Verdacht liegt nahe, dass die Unterschicht von manchen bewusst kleingehalten wird; irgendjemand muss ja auch den Gewinn einstreichen und die Miete kassieren. Die Kleidungs – und Schiff-Abwrackindustrie sowie das dicke Radisson Blue Hotel (es gibt hier keine Touristen, die wohnen da nicht…außer meinem Kollegen und mir habe ich bisher nur zwei hellhäutige Menschen gesehen) lassen prinzipiell vermuten, dass es auch einige gibt, die aus dem bestehenden System reichlich Profit schlagen. Aber laut der Mitarbeiter im MCPP gibt es schon Hoffnung auf Besserung. Es bilden sich wohl Gewerkschaften (z.B. der Näherinnen), die sich auch zunehmend Mitsprache erkämpfen. Die aktuelle Regierung sei wohl auch recht liberal. Es gibt auch eine Tageszeitung auf Englisch, die diverse nationale und internationale Probleme anspricht und diskutiert.
Wie in jedem der Länder, die ich bisher bereist habe gibt es auch in Bangladesch – zumindest nach den Eindrücken der ersten Woche – eine unübersehbare und gut lebende Mittelschicht, es gibt große und kleinere schöne Wohnhäuser, und diese Menschen laufen auch gepflegt auf der Straße herum, haben Accessoires wie Gürtel, schöne Schuhe, Taschen, Uhren, Mopeds oder Motorräder. Auch die Frauen laufen gelegentlich mit dicken (Lehr-)Büchern herum, Accounting scheint beliebt zu sein. Sehr wenige Autos fahren auch herum, und wer ein solches besitzt parkt es dann natürlich IM (entsprechend großen) Haus.
Noch ein paar Worte zum MCPP, also der Innenstadtambulanz in Chittagong: Hier ist die Stimmung insgesamt etwas fröhlicher und die Arbeit vielseitiger. Es gibt ein ganz tolles Ultraschallgerät mit drei Sonden, also man kann allerhand machen bzw. könnte, hätte man Zeit dazu. Außerdem sind Labor und Röntgen vorhanden, und man kann also in der Tat medizinisch arbeiten. Konsile an die hiesige Uniklinik werden eigentlich recht schnell bearbeitet; eine Patientin hab ich z.B. zum Augenarzt geschickt und sie bekommt prompt nächste Woche ihren Katarakt operiert. Ein Brainstorming der Krankheitsbilder (50% sind Kinder!): Virale Atemwegsinfekte, psychosomatische Probleme, Pneumonie, Krätze, Impetigo, Gastritis, Mykosen, Karies!!, Katarakt, Verbrennungen, Frakturen (bisher Radius, Tibiabasis beim Kind, Calcaneus, Finger), Wunden, Nekrosen, chronische Ekzeme, Herzinsuffizienz, Hypertonus, Diabetes, COPD (sehr häufig, und es gibt nur Aminophyllin- und Salbutamoltabletten, und Beclomethason und Salbutamol inhalativ!), Kachexie, Urtikaria, Tuberkulose, Diarrhoe, Hypothyreose und Kropfbildung (Jodmangel weil kein Geld für Fisch obwohl am Meer gelegen?), einen M. Recklinghausen und eine Vitiligo haben wir auch gesehen!
Hochhäuser in Handarbeit
Insgesamt versuche ich jetzt einfach das Beste draus zu machen. Schauen, dass alle geimpft sind, den Kindern das Zähneputzen ans Herz legen. Bei den Erwachsenen ist es eh oft zu spät, was soll ich da schimpfen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist; die blöden Betelnüsse!! Alle regelmäßig entwurmen, schön Multivitamin und Eisen verteilen, für die Kleinen auch Vitamin A und sich nicht daran stören, dass man für manche halt nur der komische Doktor aus Deutschland ist, zu dem man geht, weil man sich den ‚richtigen‘ Doktor nicht leisten kann. Belohnt wird man mit einigen spannenden Befunden, neuen (medizinischen) Erkenntnissen und zurückhaltendem Lächeln.
Das Straßenbild ist in meinen Augen schon recht chaotisch. Linksverkehr, keine gekennzeichneten Bushaltestellen: Da der Bus aber eh andauernd stehenbleiben muss, geht man anscheinend einfach hin und fragt den Fahrer durch die fehlende Tür wo er hinfährt (warum machen wir das eigentlich so kompliziert mit unseren Fahrplänen?!), jegliche Stadtfahrt kostet 10 Taka. Es gibt einen Busbahnhof der sich dadurch auszeichnet, dass dort einfach wahnsinnig viele Busse rumstehen, Schilder oder Haltestellen gibt es nicht. Bisher habe ich eine Ampel und einen Zebrastreifen gesehen. Die Ampel steht immer auf rot. Es ist auch kein Kran zu sehen, obwohl überall Hochhäuser gebaut werden (direkt neben mir ein 10-stöckiges Hochhaus). Das machen fünf Jungs von Hand, drumrum ist ein Bambusgestell aufgebaut und so funktioniert das in der ganzen Stadt (Abreissen übrigens genauso). Arbeitskraft ist halt billig. Bei allem Chaos, Dreck und reichlich armen Menschen herrscht dennoch meist eine belebte, fröhliche Atmosphäre. Bunt bestickte Rikschas, wildes kommunikatives Gehupe, das Geplärre des Muezzin, bunte Kleidung, plaudernde und lächelnde Menschen. Ich werde weiter von meinem temporären Leben in Bangladesch berichten!
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