Welcome to Serabu – Eindrücke meiner Freiwilligenarbeit in Afrika
Ein Bericht von Einsatzärztin Dr. Patricia Christoph aus Serabu
Die Zeit in Sierra Leone vergeht wie im Flug, es ist jetzt schon Halbzeit, höchste Zeit für einen Zwischenbericht: Vor zwei Wochen bin ich losgeflogen – mit den Worten meiner Freundin Laura im Ohr: You will feel Malawi was luxurious! Laura, you were so right! Aus Bern ging es mit dem Zug nach Zürich und dann mit dem Flieger nach Lundi – Freetown über Paris. Zwei schwere Koffer. Inhalt: Nahtmaterial und Essen und ein paar Klamotten. Hier ein herzliches Dankeschön an Hr. Albonico für die Unterstützung! In Paris leiste mir noch ein letztes kleines Stückchen Luxus für die nächsten vier Wochen, in denen ich Freiwilligenarbeit in Afrika leisten werde.
Schon als ich im Flugzeug nach Afrika sitze wird es anders. Es fühlt sich alles schon ganz anders an bevor ich überhaupt weg bin: Es ist der Geruch, die Menschen sehen anders aus, schauen einen anders an, immer wieder wird man angelächelt, viele Kinder sind dabei, sie strahlen einen an wie kleine Sonnen. Menschen in traditioneller Kleidung und wieder andere sehen aus wie ich. Es ist laut, es wird viel gelacht, es fühlt sich alles so lebendig an, lebhaft, spontan, natürlich. Handys bimmeln ungestört vor sich hin. Die Durchsagen im drei Sprachen sind kaum zu verstehen, weil alle so laut durcheinanderreden und jetzt noch lauter um die Safety Instructions zu übertönen.
Ankunft in Sierra Leone
Nach über sechs Stunden Flug landen wir in Freetown. Der Flughafen ist winzig. Als ich meine Koffer auf dem Gepäckband sichte, macht sich Euphorie und Freude breit! Der Aufenthalt kann gar nicht anders als gut werden, wenn es schon so glatt beginnt. Auf dem Weg nach draußen wechsle ich noch 100 Euro und bekomme dafür etwas mehr als 700.000 Leones, ein dickes Bündel in 10.000er-Scheinen. Am Zoll werde ich zunächst angehalten, aber als die German Doctors-Aufkleber auf meinen Koffern aufblitzen werden, werde ich gleich weitergewunken. Danke für den Tipp Gudrun! Ich trete raus und beginne sofort zu schwitzen, durch die hohe Luftfeuchtigkeit fällt das Atmen schwer. 37 Grad Celsius und ein Himmel wie bei uns in Bern im Herbst, grau, verhangen.
Ich blicke mich um, aber ich sehe niemanden, der so aussieht, als würde er mich abholen. Sofort bin ich von Menschen umringt. So schnell habe ich noch nie eine SIM-Karte erstanden inkl. Registrierung. Innerhalb von weniger als fünf Minuten war es erledigt und ich konnte telefonieren. Dann erschien aber auch schon Hassan mit einem German Doctors-Schild. Zu meiner großen Begeisterung (als großer Offroad-Fan) stellte ich fest, dass die Reise zunächst in einem Toyota Hilux weiter gehen sollte bis Bo, aber erst am nächsten Tag. Denn mittlerweile dämmerte der Abend und in der Dunkelheit zu fahren sei es zu gefährlich, deshalb verbrachten wir die erste Nacht in einem nahegelegenen Guesthouse in Lundi. Am nächsten Morgen ging es früh los in Richtung Bo. Bo ist nach Freetown die zweitgrößte Stadt in Sierra Leone.
In Bo gibt’s erst mal einen längeren Zwischenhalt um Besorgungen zu machen, Medikamente zu kaufen und um zu Tanken. Ausserdem müssen wir für die letzten 200 km in einen Toyota Landcruiser (DAS Offroad Auto!) umsteigen. Der Toyota Hilux sei nicht „strong enough“ für die „bumpy road“ im Regen erklärt mir Fahrer Hassan. Ich freue mich auf eine abenteuerliche Fahrt auf orangefarbenem Lehm, durch mehr oder weniger tiefe Pfützen und strömendem Regen. Ab und zu hört es plötzlich auf zu Regnen und die Sonne findet ihren Weg durch die dichten Wolken und lässt die Vegetation in satten Grüntönen leuchten.
Ehrenamtliche Hilfseinsätze – Ärzte leisten Freiwilligenarbeit in Afrika
Am späten Nachmittag kommen wir in Serabu an. Das Krankenhaus liegt an der Hauptkreuzung, also sehr zentral. Das Krankenhausgelände ist riesig. Gleich am Eingang steht noch der gynäkologische Stuhl mit Durchschuss und erinnert an die Zeit des Bürgerkrieges, als das Krankenhaus von den Rebellen niedergebrannt wurde. Dahinter steht ein weisses MSF-Zelt, das an die noch nicht lange vergangene Ebola-Zeit erinnert. Ich beziehe mein Zimmer im mittleren Doctors House. Wir sind vier German Doctors. Christa, die Langzeitärztin wohnt im vordersten Doctors House und der Chirurg Rolf im letzten Haus. Ich wohne mit Jule, der Pädiaterin, zusammen. Mein Zimmer ist geräumig und über dem Bett hängt ein blaues Moskitonetz. Vom Doctors House zum Krankenhaus sind es etwa 200 m über eine Wiese, die zum Teil schlammig und rutschig ist im Regen – vorallem an der legendären Chirurgen-Ecke heißt es Vorsicht! Trotzdem bin ich auch schon ausgerutscht und auf dem Hosenboden gelandet – zum Glück nichts Schlimmeres – als ich vor einigen Tagen noch etwas verschlafen zu einem Notfall in den Gebärsaal eilte.
Das Krankenhaus besteht aus einem Komplex mehrere Gebäude, die teilweise (!) mit überdachten Wegen miteinander verbunden sind. Mein Reich sind die gynäkologischen Betten im Female Ward (so viel es gerade braucht, meistens so zwischen 5-10) und die Maternity mit dem „Gebärsaal“ und einem Bettensaal in dem alle Schwangeren und Wöchnerinnen liegen (um die 30-35 Betten). Die ersten Betten sind die Intensiv-Betten, die für die postoperativen Patientinnen und schwere Fälle von PPH, Eklampsie, Präeklampsie usw. reserviert sind. Die ganze Maternitiy wird von einer (!) Hebamme bzw. Schwester betreut, die auch die Geburten managed und die Notfälle, die hereinkommen. Der Gebärsaal ist winzig und dunkel; zwei Gebärstühle stehen im Abstand von knapp 1 m nebeneinander, es gibt praktisch kein fließendes Wasser und oft keinen Strom.
Herzlicher Empfang in Serabu
Ich werde überall sehr herzlich Empfangen – Welcome to Serabu! Gefolgt von einem strahlenden Lächeln. Diesen Satz höre ich in den ersten Tagen meiner Freiwilligenarbeit in Afrika sehr oft und bald werde ich schon wie eine alte Bekannte von allen begrüßt. Das Krankenhaus hat eine übersichtliche Größe und ich finde mich schnell zurecht. Da die personelle Besetzung auch eher knapp ist, kennt man schon nach wenigen Tagen die meisten Mitarbeiter, die alle sehr hilfsbereit sind, sei es weil man in der afrikanischen Ordnung etwas nicht gleich findet oder sprachliche Unterstützung auf Mende braucht, weil man nur mit Pantomime gerade nicht weiter kommt. Englisch sprechen hier nur die wenigsten Patientinnen, aber fast alle Mitarbeiter können sich gut auf Englisch mit uns verständigen.
Die Tage beginnen morgens mit einem Frühstück bei uns im mittleren Doctors Haus und dann geht es im Gänsemarsch – oft mit dem Schirm bewaffnet und mit Gummistiefeln an den Füssen – den Trampelpfad hinunter ins Krankenhaus. Hier findet um 8 Uhr die Morgenbesprechung statt und wir erfahren was in der Nacht los war. Dann gehen wir die Patientinnen visitieren. Anschliessend geht es im OP weiter. Mittagessen gibt’s dann im mittleren Doctors Haus, wo unsere Haushaltshilfe Janeba für uns gekocht hat.
Hier spielt sich unser Leben hauptsächlich im Compound ab, dem geräumigen Krankenhausareal auf dem wir Ärzte und einige Angestellte leben und arbeiten. Ein bisschen ist es wie im „Dschungelcamp“. Nach wenigen Tagen ist man bekannt wie ein bunter Hund und man kennt auch schon die meisten. „Good Morning Dr. Patricia“ tönt es von allen Seiten, wenn ich morgens die Klinik betrete. Mit einem strahlenden Lächeln begrüssen mich die Mitarbeiter, Patientinnen und Angehörigen. Ihre Herzlichkeit ist überwältigend. Ich arbeite hier eigentlich immer, wenn ich nicht vor Ort bin, dann habe ich Bereitschaftsdienst und kann jederzeit gerufen werden. Morgens um ca. 8:30 Uhr treffen wir uns zur „open air“-Morgenbesprechung vor dem OP-Trakt. Wir, das sind die German Doctors und die acht CHOs (community health officers). Der CHO, der in der Nacht „on call“ war, also Dienst hatte, berichtet.
Der Tod wird zum ständigen Begleiter
Nach schlimmen Nächten beginnt die Morgenbesprechung mit „there were 3 corps tonight“ oder „we had 3 dead bodies“ oder „3 expired“ oder „we had 3 deaths“ und es folgen unschöne Schilderungen. Die meisten Todesfälle sind Kinder mit schwerer Malaria und in meiner Zeit hier sind es mehr als 20 Kinder gewesen. Das ist der blanke Horror und eine der großen Schattenseiten bei meiner Freiwilligenarbeit in Afrika! Beginnt die Morgenbesprechung mit „tonight there were no deaths“, der Strom läuft und Wasser fließt aus der Leitung, dann wird der Tag gut. Nach der Morgenbesprechung wird Visite gemacht. Ich gehe mit meinem CHO zuerst im female ward die Patientinnen visitieren und anschließend machen wir die Visite in der Geburtshilfe. Im female ward sind pro Schicht zwei Krankenschwestern für ca. 20-30 Patientinnen zuständig und für die Geburtshilfe inklusive Geburten – also für ca 20-30 Patientinnen – eine Hebamme.
Jede Patientin braucht hier aber für ihren stationären Aufenthalt einen „care taker“: Eine Person, die sie mit Essen versorgt, bei der Körperpflege hilft, nach der Geburt den Gebärsaal putzt (!) usw. und somit das Personal etwas entlastet. Die Visiten dauern bis ca. 10:30 Uhr, während der Visite werden die Vitalzeichen häufig nochmals gemessen, denn sie fehlen oft, weil die night nurse „too busy“ war oder der dokumentierte Blutdruck von 6 Uhr lautet 210/135 mmHg, den wir erst um 10 Uhr lesen. Passiert ist in der Zwischenzeit gar nichts, eben zum Glück nicht! Dann geht die Diskussion um die Therapie los, denn das Medikament der Wahl ist „out of stock“. Man versucht es noch zu organisieren, doch es ist TOS (TOTALLY out of stock) und wir müssen uns eine Alternativtherapie überlegen. Verbände werden neu gemacht, Fäden werden entfernt, zwischendrin wird auch viel gelacht und gescherzt.
Ein OP, der Leben rettet
Massive Wundinfekte sind in Serabu ein riesiges Problem, sicher multifaktoriell bedingt und jeder sucht nach Mitteln und Wege, um diese in Griff zu bekommen. Aktuell sind SABA-Waschung, häufiges Duschen, Hygieneschulungen und aktive Mitarbeit der Patientinnen für ein sauberes Krankenhaus die „favorites“. Während der Visite werden auch mal Handschuhe an die Patientinnen verteilt und nach der Visite gehen sie Müll aufsammeln und die Toilette putzen unter Aufsicht der Chef-Hebamme. Ist die Visite geschafft geht’s im OP weiter mit dem elektiven OP-Programm, notfallmäßigen Revisionen infizierter Wunden und Platzbäuchen oder anderen Notfällen, die als geballte Ladung eintreffen – wie hämorrhagischer Schock bei rupturierter EUG und blutende Schwangere mit vorzeitiger Plazentalösung und fetaler Bradykardie 32.SSW. Wir haben nur EINEN OP, EINEN Anästhesisten und EINEN OBGYN hier. Meistens wird bei einer anstehenden Operation eine Spinalanästhesie gemacht – auch für große Bauch-OPs oder Ketanestnarkosen. Eine Verlegung in ein anderes Krankenhaus ist bei Notfällen keine Option, da das nächste Krankenhaus je nach Straßenverhältnissen zwei bis viele Stunden entfernt ist und die Patientinnen bis zu uns schon meistens mehrere Stunden unterwegs waren. Damit sind wir die Endstation und die entsprechende Einrichtung in Deutschland wäre ein perinatal Zentrum Level 3 😱.
Wenn ich dann im OP fertig bin, mache ich Sprechstunde und es steht mir sogar ein US-Gerät zur Verfügung. Meistens ist Hindua dabei, sonst unterstützt mich auch Aminata, eine sehr engagierte Schwesternschülerin, denn die wenigsten Patientinnen sprechen Englisch. Ansonsten versuche ich es mit Pantomime, das klappt auch ganz gut. Viele Patientinnen haben ausgeprägte pathologische Befunde, die in einer derartigen Ausprägung bei uns kaum zu finden sind. Muss etwas operiert werden, wird die Patientin gleich stationär aufgenommen und bleibt bis sie operiert wurde. Vorausgesetzt sie kann sich die Operation leisten. Es kommt öfters vor, dass die Patientin jedoch wieder nach Hause gehen muss, weil sie kein Geld für die Operation hat. „Free Health Care“ gibt es zum Glück für „children under five, pregnant and lactating mothers“. Doch auch „Free Health Care“ muss bezahlt und finanziert werden. Die Finanzierung dieses Systems ist dann ein anderes trauriges Thema, denn das Krankenhaus kann sich nicht selbst tragen, die Patientinnen sind überwiegend arm und mittellos, der Staat Sierra Leone kann es auch nicht und so wird das Krankenhaus hauptsächlich von den German Doctors durch Spenden getragen. Wenn die German Doctors nicht wären, gäbe es das Krankenhaus nicht und was das bedeuten würde möchte ich mir nichteinmal ausmalen.
Rückreise mit vielen wertvollen Erfahrungen im Gepäck
Die Tage vergehen weiter wie im Flug und schon steht mir der Abschied von Serabu bevor. So herzlich wie ich empfangen wurde, werde ich auch verabschiedet. Die vielen, vielen liebevollen und herzlichen Gesten zum Abschied lassen mich die Dankbarkeit und Wertschätzung der Menschen spüren. Dann geht alles plötzlich ganz schnell, meine Freiwilligenarbeit in Afrika endet: Der Toyota Landcruiser steht vor der Türe und mein Gepäck wird eingeladen und wir fahren los Richtung Bo. Kinder kommen herbeigelaufen und rufen mit ihren zarten Stimmen inbrünstig „pu mui, pu mui“, winken ganz eifrig und freuen sich wenn ich zurück winke und noch viel mehr wenn ich mein Smartphone hervorkrame und ein Foto mache, das sie hinterher bestaunen können. Meine ehemals weiße iPhone-Hülle ist jetzt voller brauner Fingerabdrücke, die mich an diese berührenden Begegnungen erinnern!
Ich kann mitkommen und dort operieren. Hab Erfahrung in kriegschirurgie. Spreche arabisch englisch russisch,
Ich bin ein Facharzt für Chirurgie. Ich würde gerne kostenlos helfen
Lg Movsar Borshchigov
Sehr geehrte Dr. Christoph,
Ihr Einsatz ist bemerkenswert! Schön, dass es Ärzt wie Sie gibt!
Ich habe gerade von einem dringenden Fall in Tunesien erfahren, ein Kind wurde nach einer Spritze gegen Halsentzündung mit einem Virus infeziert das sein Herz befallen hat. Er braucht dringend eine Herztransplantation die in Tunesien nicht durchgeführt werden kann.
Haben Sie für mich eine Adresse an die ich mich wenden kann?
Ich wäre Ihnen enorm dankbar!
Hochachtungsvoll,
Ferdaous Frorath