Kinder in Not – Helfen auf den Philippinen
Ein Bericht von Einsatzärztin Dr. Katrin Ellrot aus Buda
Nach über 16 Stunden Flug werde ich von Fidel, einem der Krankenhaus-Fahrer aus Buda, am Flughafen in Davao abgeholt. Nachdem wichtige Dokumente abgegeben und Patienten, welche zur Anfertigung eines Röntgenbildes im Robillo Hospital waren, wieder eingesammelt sind, geht es weitere drei Stunden mit dem Auto über teils kurvige Straßen bis wir abends im German Doctors-House in Buda ankommen. Ich werde bereits von meiner Vorgängerin Elisabeth für eine Übergabe erwartet. Sie führt mich im Krankenhaus herum und versucht mir noch so viel wie möglich über die aktuellen Patienten sowie die vor Ort vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten zu erzählen – insbesondere gibt es hier zahlreiche Kinder in Not, denen dringend geholfen werden muss. Vollgepackt mit Informationen falle ich später müde und sehr gespannt, was mich als Kinderärztin hier alles erwarten wird, ins Bett.
Morgens gehe ich mit Astrid (die Frauenärztin) und Renate (die Allgemeinmedizinerin) um 8 Uhr ins nahegelegene Krankenhaus. Wir machen gemeinsam mit Rudolfo, dem phillippinischem Langzeitarzt, die Visite. Zuerst kommen die Mütter mit ihren frisch entbundenen Kindern an die Reihe. Während Astrid die Rückbildung der Gebärmutter kontrolliert, erkundige ich mich, ob das Neugeborene gut trinkt und spicke in der Krankenkurve auf das aktuelle Gewicht.
Später untersucht Astrid, die Frauen, welche entlassen werden können und ich mache die „U2“-Entlassuntersuchung bei den Babys. Astrid hat durch ihre 24-Stunden Rufbereitschaft in den 6 Wochen den härtesten Job – ständig muss sie erreichbar sein. Ca. 80 kleine Philippiner erblicken in dieser Zeit das Licht der Welt. Zum Glück machen es alle sehr gut.
Danach sind die anderen Patienten dran. Über 30 Patienten können im Krankenhaus aufgenommen werden. Männer, Frauen und Kinder liegen gemischt in einem Zimmer, in welchem bis zu sechs Betten Platz finden. Renate, Rudolfo und ich wechseln uns mit der Visite ab. Ich bin als Pädiater für die zahlreichen Kinder in Not zuständig, die es auf der philippinischen Insel Mindanao leider noch immer gibt. Die meisten von ihnen sind wegen Infektionskrankheiten wie Magen-Darm-Infekt oder Bronchitis stationär. Sie erhalten eine Elektrolytlösung oder Infusion bzw. Inhalationen über ein Inhaliergerät. Oft sind auch unterernährte Kinder dabei, die langsam mit Spezialmilch wieder aufgepäppelt werden müssen. Wenn es ihnen wieder besser geht, macht Sarah Mae (die Ernährungsberaterin) den sogenannten Appetite Test.
Die Kinder müssen hierbei eine für ihr Gewicht vorgegebene Menge an Erdnusspaste (Plumpy nut) zu sich nehmen können. Haben sie das geschafft, bekommen sie nun täglich die Erdnussmasse zu essen und wenn sie zumindest annähernd die Grenze von schwerer Unterernährung zur moderaten Unterernährung erreicht haben, kann ich sie wieder nach Hause entlassen. Sie werden dann alle 2 Wochen wieder einbestellt, um ambulant den Gewichtsverlauf zu kontrollieren, bis sie ihr Zielgewicht erreicht haben und wieder normale Mahlzeiten (teilweise noch angereicht mit Nutrimix, einem proteinreichem Pulver) zu sich nehmen können.
Zwei Kinder muss ich während meiner Zeit wegen schwerer Unterernährung nach Davao ins South Philippine Medical Center verlegen: Die kleine Jona (1 ½) entwickelt eine starke Lungenentzündung und Jessie (1) wird über Nacht apathisch und hat plötzlich blutige Stühle, sodass sie eine Bluttransfusion benötigt. Ich bin richtig glücklich, als ich kurz vor meiner Abreise erfahre, dass beide es gut gemacht haben und wieder zu Hause sind. Sehr traurig finde ich es aber, dass es auf der eigentlich ertragsreichen Insel Mindanao noch so viele unterernährte Kinder in Not gibt, weil sich die Eltern teilweise das Essen nicht leisten können.
Auf Station werden auch viele Kinder mit Verdacht auf eine Typhus-Infektion behandelt. Sie kommen in schlechtem Allgemeinzustand mit hohem Fieber und meist Bauchbeschwerden. Die Therapie erfolgt mit einem breiten Antibiotikum (Ceftriaxon) über die Vene, die Kinder entfiebern hierunter nach spätestens 3-4 Tagen. Da aktuell der Beginn der Regensaison ist, kommen einige Patienten mit Dengue Fieber, eine durch Mücken übertragene fieberhafte Erkrankung, die zum Abfall von Blutplättchen und im schlimmsten Fall zu inneren Blutungen und Kreislaufversagen führen kann. Es sind hauptsächlich Erwachsene und meist mehrere Bekannte oder Verwandte aus einem Dorf, die wir stationäre aufnehmen. Nur bei einem Kind, dessen Mutter und Tante wegen Dengue behandelt wurden, besteht der Verdacht einer Erkrankung.
Malaria fällt als Differentialdiagnose bei meinen zahlreichen fiebernden Kindern zumindest weitestgehend weg, denn die letzten Malaria-Parasiten wurden im Labor 2010 gesehen. Ein großer Teil meiner Patienten machen auch Kinder aus, die an den unterschiedlichsten Stellen, meist ist es am Haaransatz, Abszesse haben. Bei der hohen Luftfeuchtigkeit gedeihen diese leider prächtig. Gemeinsam mit Raymond, dem Emergency-Room Pfleger, der kleine operative Eingriffe durchführt und Verletzungswunden näht, entleeren wir die Abszesse, nachdem ich die Kinder in den Schlaf versetzt habe. Bald schon können sie dann wieder entlassen werden. Nachdem die stationären Kinder angeschaut und versorgt sind. Mache ich mich an die Entlassbriefe – ja auch hier gibt es viel Bürokratiekram zu erledigen…
Danach gehe ich ab ca. 9:40 Uhr in die Ambulanz. In dem großen Wartebereich sitzen schon alle Patienten und Angehörige geduldig vor den Untersuchungsräumen. Für mich ist dieses geduldige Warten total angenehm – hier auf den Philippinen geht alles etwas etwas gemütlicher zu als in Deutschland. Meine Übersetzerin Maricor hat meist schon ein paar Patienten vorinterviewt ansonsten übersetzt sie mit viel Geduld und gibt parallel auch schon Ratschläge bezüglich Familienplanung, Impfungen oder Ernährung. Während ich die Kinder untersuche, gibt sich Maricor viel Mühe, diese mit Quitscheentchen oder Luftballons bei Laune zu halten.
Die meisten Kinder kommen wegen Husten und Schnupfen – aktuell ist es ja auch relativ kalt. Meistens kann ich die Kinder mit dem heimischen Hustensaft Lagundi oder mit der Anweisung für Kochsalznasentropfen wieder nach Hause schicken. Während ich als Kinderärztin in Deutschland sehr wenig Antibiotika verschreibe, habe ich hier das Gefühl innerhalb der 6 Wochen mehr Antibiotika zu verschreiben als ich es in meiner bisherigen vierjährigen Assistenzarztzeit getan habe. Das liegt hauptsächlich daran, dass viele eine lange Anfahrtsstrecke von oft mehreren Stunden mit Bus, Motorrad oder zu Fuß hinter sich haben bzw. wieder vor sich haben.
Es gibt aber auch viele andere Erkrankungen, die ich in meiner Ambulanzsprechstunde zu sehen bekomme: Einige Kinder mit Lippenkiefergaumenspalte, die auf eine OP warten, Kinder mit Krampfleiden und Behinderungen, Kinder mit Geschwülsten, Leistenbrüche, Nabelgranulome, Verbrühungen (diese werden grundsätzlich erstmal mit Zahnpasta beschmiert), Weichteilinfektionen, Blutarmut, Herzfehlern sowie diverse Hauterkrankungen wie Krätze, Neurodermitis und Pilzinfekte.
Darunter ist auch die kleine 1 ½ jährige Jasmine, die mir von den Eltern vorgestellt wird, weil sie so unkontrollierte Bewegungen mache. Wie ich aus der Befragung herausbekomme, hatte sie eine ausgeprägte Neugeborenengelbsucht und dadurch einen sog. Kernikterus, der zur Zerstörung eines bestimmten Hirnabschnittes führt, welcher für Bewegungen verantwortlich ist. Leider kann ich für sie nicht wirklich etwas tun, außer den Eltern empfehlen, dass sie sie in Valencia, einem Ort ca. 2-3 Stunden von Buda entfernt, bei dem Neurologen und der Physiotherapie vorstellen können.
Auch die siebenjährige Leah geht mir sehr nah. Sie wird mir blitzeblau von der Mutter vorgestellt, da sich ihre Hautfarbe vor ca. fünf Tagen verändert hat. Die Sauerstoffsättigung beträgt gerade einmal noch 50% (normal 95-100%) – dafür knabbert sie echt noch recht munter an ihrem Keks herum. Leah hat das Down-Syndrom, ein lautes Herzgeräusch lässt mich schnell an einen häufigen Herzfehler denken, auch im Ultraschall sieht das Herz auffällig aus. Ich organisiere schnell den Transport nach Davao – leider habe ich das schlechte Gefühl, dass das nicht gut ausgehen kann.
Julius ein 10-jähriger Junge wird mir vorgestellt, weil er innerhalb weniger Tage wieder am ganzen Körper angeschwollen sei. Er sieht richtig dick aus und hat ein ordentliches Doppelkinn. Er hatte bereits zweimal ein nephrotisches Syndrom gehabt – eine Erkrankung bei der über den Harn viel Eiweiß verloren geht und die Kinder daher Ödeme bekommen. Auch dieses Mal hat er einen erneuten Schub. Wir beginnen gleich eine Therapie mit Cortison. Nach meinem freien Wochenende erkenne ich ihn gar nicht mehr wieder, so schlank ist er geworden.
Renate, Rudolfo bzw. Jerry und ich wechseln uns mit den Rufdiensten ab, alle paar Tage bin ich also ab 16.30 Uhr bis zum nächsten Morgen bzw. am Wochenende den ganzen Tag für Notfälle zuständig. Für mich als Kinderärztin etwas ungewohnt, behandele ich nun auch die Erwachsenen – zum Glück mit dem Wissen, dass ich auch die anderen um Rat fragen kann. Meistens ist nach 23 Uhr auch Ruhe, denn in der Nacht kommt niemand, da es auf den Wegen zu gefährlich wäre.
Mittags haben wir immer eine Stunde Pause, um unser schon vorbereites Essen und die leckeren Mangos und Ananas zu essen. Abends sind wir meist gegen 16-17 Uhr manchmal auch etwas früher oder später fertig. Wir sitzen dann zusammen und tauschen uns noch aus. So kann ich auch noch etwas über Frauenheilkunde erfahren. Ab und zu gehen wir auch abends ins Örtchen, um etwas (vor allem Süßes) einzukaufen – insbesondere die Karamel-Bananen und die Teigware „Hopia“ haben es uns angetan. Manchmal laufen wir auch noch ein Stück in die Hügellandschaft, die Buda umgibt, hinein. Die Zeit in Buda verfliegt wie im Flug. Und nach der Abschiedsfeier heißt es dann auch schon Abschied nehmen von den super netten einheimischen Mitarbeitern.
Ich bin dankbar für die Erfahrung, die ich auf den Philippinen machen konnte und es wurde mir wieder einmal bewusst, wie unheimlich privilegiert wir in Deutschland leben.
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