Zu Gast bei Familien im Slum

Ein Bericht über das Leben im Slum von Einsatzärztin Dr. Cordula Barthe

Die ersten drei Wochen in Chittagong liegen jetzt hinter mir und ich habe mich hier dank der Hilfe meines Schweizer Kollegen Beni ganz schnell eingewöhnt. Er hat mich vom Flughafen abgeholt und in unsere Arbeitsstätte, das Father Boudreau‘s Medical Center, gebracht. Mit einem Riesenschlüsselbund ausgestattet öffnen wir täglich dicke Schlösser und Eisentüren. Im selben Haus wohnen wir in der 4. Etage und werden von Gomol, unserem Koch, bestens verpflegt. In unserer Ambulanz, in der wir deutschen Ärzte für die Familien, die ihr Leben im Slum bestreiten, täglich zwei Sprechstunden abhalten, sehen wir ca. 150 Patienten pro Tag.

Leben im Slum

Das Leben im Slum ist hart

Die German Doctors finanzieren die Versorgung der Slumbewohner mit der notwendigen medizinischen Hilfe, den Betrieb der Ambulanz und des Community based Centre (CbC), in dem Kinder mit Unterernährung wieder aufgepäppelt und die Mütter in gesunder Ernährung entsprechend ihrer Möglichkeiten und Hygiene unterrichtet werden. Wir Ärzte sind immer zu zweit und wechseln nach drei Wochen den Partner, den wir dann einführen, so dass er/sie nach drei Wochen den nächsten eingewöhnen kann. Mit Beni habe ich Riesenglück gehabt: Wir verstehen uns auf Anhieb bestens.

Slums Chittagong

In den Slums von Chittagong herrschen katastrophale Lebensbedingungen

Sharon wiegt und mißt die Patienten und führt die Akte, das gelbe Buch, das jeder zur Untersuchung mitbringen muss. Nach dem SOAP-Prinzip schreiben wir jedesmal Symptoms, Objectives, Assessment und Plan hinein, so dass der nächste Arzt weiß, was der letzte getan hat. Anna, die Krankenschwester, reinigt Wunden, legt Verbände und Gipse an und impft. Das Wartezimmer ist jeden Morgen übervoll, besonders voll im CbC, direkt in den Slums. Liton und Charles sind unsere Übersetzer. Inzwischen kann ich aber die wichtigsten Worte in Bengali, so dass die Patienten nun auch zu mir schauen, wenn ich sachverständig von nomuschka (Guten Tag) und haschi (Husten) spreche und zum schaschlo (atmen) auffordere. Unser Projektleiter Brayan koordiniert und organisiert alles und bemüht sich auch um all unsere Belange wie Ausflüge, Visa, medizinische Notfälle – und wurde vorige Woche durch einen Mopedunfall selbst zu einem solchen. Zum Glück konnten wir ihm trotz schwerer Schmerzen gut helfen.

German Doctors Chittagong

Dieses Kind hat vermutlich Lymphknoten-Tuberkulose

Das Leben im Slum ist von Armut und Krankheit bestimmt: Meist sind es alltägliche Erkrankungen, die die Mütter mit ihren Kindern zum Arzt führen, Erkältungen, Fieber, Durchfall, die Frauen selbst, die häufig in den Garments (Kleiderfabriken) arbeiten (12 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche!), klagen am häufigsten über „bodypain“. Die Männer haben fast alle eine ausgeprägte COPD, eine chronische Lungenkrankheit, wegen der schlechten Lebensbedingungen und der staubhaltigen, rauchigen Luft in den Behausungen . Zum Kochen wird mit allem geheizt, was brennbar ist, oft sind des Stoffabfälle aus den Garments. Mittwochs gehen wir morgens eine halbe Stunde zum CbC über den Fischmarkt. Durch tosenden Verkehr von Rikschas, CNGs, Fußgängern, Lastenträgern, LKWs, Bussen und lärmenden Menschenmengen schleusen wir uns über den Kanal hinein in den Slum, wo die Sprechstunde aus den Nähten platzt, weil die Menschen sich die halbe Stunde Fußmarsch gespart haben, die wir dorthin gehen. Dort fällt häufig das Licht und der Propeller an der Decke aus, weil Strom und Wasser dort auch für uns Mangelware sind und die Hitze – es ist immer feucht heiß zwischen 30 und 39° – ist kaum auszuhalten. Aber nach britischen Vorbild serviert uns Shefali Punkt 10 Uhr und Punkt 15 Uhr den Tee! Nachmittags fahren wir dann in der Gluthitze mit dem CNG heim, zu Fuß sind war dann zu erledigt.

Hilfe für Chittagong

Aufgrund der Hitze sind wir immer mit Schirm unterwegs

Die Alternative wäre die Rikscha, die gibt es auch motorgetrieben. Samstags gehen wir mit Runa (Healthworker) in die Siedlungen der Slums und sehen nach denen, die ohne medizinische Hilfe sind. Dort wurden wir mit großem Hallo der Kinder, aber auch der Frauen empfangen. Sie freuen sich riesig, dass wir sie fotografieren und ihnen die Bilder zeigen – eine willkommene Abwechslung gegenüber dem „normalen“ Leben im Slum. Wir sahen am Samstag ein Baby von 3 Wochen mit dick geschwollenen Lidern, das die Augen bisher gar nicht aufgemacht hatte. Was sich da im Schwall entleerte, als Beni ihm in der Ambulanz die Augen öffnete, könnt ihr euch denken? Natürlich gibt es auch ernsthaft Kranke, die gilt es nicht zu übersehen, sondern ins Krankenhaus zu schicken; immer wieder diagnotizieren wir hier Tuberkulose. Charles hat uns gestern die Uni-Klinik gezeigt, das CMCS. Er begleitet unsere Patienten dorthin, wenn wir sie einweisen und sorgt dafür, dass sie an die richtige Stelle und Behandlung kommen. Die Schwestern sind nur für die medizinische Versorgung zuständig. Daher bringt jeder Patient mindestens ein Familienmitglied mit ins Krankenhaus, das für Essen, Wäsche und die Pflege sorgt. Privatsphäre und Arztgeheimnis gibt es hier nicht!

German Doctors Bangladesch

Unsere wenige Freizeit konnten wir genießen…

Aber wir arbeiten nicht nur: Wir haben hier meistens pünktlich Feierabend und ausreichend Freizeit (keine Nachtdienste!), in der Beni und ich es uns gemütlich machen oder etwas unternehmen. Father Robert, der katholische Priester der Kirche gegenüber, hat immer eine Messe oder andere Einladung in seinen zahlreichen Gemeinden, zu der er uns gern mitnimmt, sei es zur Familie seiner Schwester zum Abendessen, zu einer katholischen Hochzeit oder in die Teeplantagen, wo er eingesammelte Kleidung an seine Schäfchen verteilt. Statt der Leckereien, die uns Gomol, der hinduistische Koch serviert, bekamen wir in der Teeplantage gebratene Schnecken serviert, die Beni tapfer probierte. Ich gebe mich hier sicherheitshalber als Vegetarierin aus… An einem Wochenende waren wir an einem Cox Bazar am Indischen Ozean, eine vierstündige Fahrt von hier entfernt, und landeten im dem wohl einzigen Surfclub von Bangladesch. Leider wird er wohl bald insolvent werden, da es keine europäischen Touristen hierher verschlägt. Baden ist nur in voller Kleidung erlaubt.

Hochzeit in Bangladesch

Wir waren bei einer traditionellen Hochzeit dabei!

Und zum allerletzten Schluss noch einen Blick darauf, auf welche Ideen Vögel hier kommen, wenn sie ihr Nest bauen: Und wer weiß, was sich Gomols Neffe und seine Frau für ein Nest bauen werden? Wir durften bei der hinduistischen Hochzeit dieser beiden bengalischen Ärzten dabei sein und kamen uns in der Pose vor wie die Brauteltern! Wie Ihr seht, geht es mir hier wirklich gut! Wir haben neben der Arbeit viel Spaß und ich genieße, dass es nicht täglich um Leben und Tod geht, sondern einfach ums alltägliche Leben. Und das bietet uns Tag für Tag genug spannenden Gesprächsstoff! Und wie entspannend ist es, nicht ständig in Sicherheitsmaßnahmen eingebunden zu sein wie es beispielsweise bei meinem Einsatz im Tschad war, auch wenn wir uns hier natürlich anpassen und die Grundsätze von German Doctors vertreten müssen – das fällt aber nicht schwer!