Werte und Ziele der German Doctors
Das Recht auf den höchsten erreichbaren Stand an körperlicher und geistiger Gesundheit gehört zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten. Es bedeutet, dass alle Menschen im Krankheitsfall Zugang zu Gesundheitsversorgung haben sollen. Dieses Ziel verfolgen Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland und der Schweiz mit ihren unentgeltlichen Einsätzen in Slums und ländlichen Armutsregionen unter dem Dach unserer Organisation.
Vor Ort leisten sie (basis-)medizinische Hilfe und engagieren sich im Sinne einer nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit dafür, gemeinsam mit den Einheimischen und in enger Zusammenarbeit mit lokalen Partnerorganisationen langfristig die Lebenssituation in den Einsatzregionen zu verbessern. Dieser selbstgesetzte Auftrag als Entsendeorganisation hat auch nach vierzig Jahren seine grundsätzliche Berechtigung. Denn noch immer gibt es Milliarden Menschen, die keinen (ausreichenden) Zugang zu Gesundheitsversorgung haben.
Das Zwei Säulen-Modell der German Doctors
Der feste Glaube an die Würde jedes einzelnen Menschen und die Überzeugung, dass jede Hilfe, die wir einem Menschen in Not geben, ihren eigenen Wert hat, tragen unsere Vereinsarbeit. Wir wissen aber auch, dass humanitäre Hilfe nicht unbedingt die vor Ort gegebenen menschenfeindlichen und Armut verursachenden Strukturen ändert.
Im Licht dieser Überzeugung ist jeder Einsatz ehrenamtlich tätiger Ärztinnen und Ärzte sinnvoll, die in Slums oder anderen Armutsgebieten Menschen behandeln. Gleichzeitig gab es schon sehr früh in der Organisationsgeschichte den Wunsch, über diese direkte Hilfe für jeden einzelnen Menschen hinaus einen nachhaltigen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation der Patientinnen und Patienten zu leisten. Aufklärung von Patientinnen und Patienten und Ausbildung von Mitarbeitenden unserer lokalen Partnerorganisationen oder des medizinischen Personals vor Ort spielten daher schon immer eine wichtige Rolle in der Vereinsarbeit. Die Arbeit der German Doctors ruht auf zwei Säulen:
Erste Säule: Arzteinsätze
Die erste Säule umfasst die unentgeltlichen, sechswöchigen Einsätze der ehrenamtlich arbeitenden Ärztinnen und Ärzten aus Deutschland und der Schweiz für Menschen, die keinen (ausreichenden) Zugang zu Gesundheitsversorgung haben. Das enorme hohe persönliche Engagement von bisher fast 3.593 Medizinern, die 7.890 solcher ehrenamtlichen Einsätze durchgeführt haben (Stand: Dezember 2022) prägt unser Selbstverständnis, und es ist die Grundlage für die Wertschätzung, die wir von unseren Unterstützerinnen und Unterstützern und einer breiteren Öffentlichkeit erfahren. Gleichzeitig messen wir der Tatsache einen hohen Stellenwert bei, dass unsere Einsatzärztinnen und -ärzte einen tiefen Einblick in die Lebenswirklichkeit der ärmsten Weltbevölkerung gewinnen. Als Rückkehrer und Botschafter ihrer Patientinnen und Patienten können sie zur entwicklungspolitischen Bewusstseinsbildung in Deutschland und der Schweiz beitragen.
Zweite Säule: Strukturfördernde Projekte
Die zweite Säule umfasst die Entwicklung und Durchführung von Projekten, die nachhaltig zu einer Stärkung der Gesundheitssysteme beitragen und damit zu einem universellen Zugang zu Gesundheitsversorgung sowie letztlich zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse unserer Zielgruppe. Diese Arbeit fußt in erheblichem Maße auf dem Vertrauen, dass die Einsatzärztinnen und -ärzte durch ihre medizinische Arbeit (Säule 1) bei der Zielgruppe aufgebaut haben. Im Zentrum stehen hier einerseits Trainingsmaßnahmen für das einheimische Gesundheitspersonal, die direkt durch die deutschen Ärzte geleistet werden, und andererseits Aufklärungsmaßnahmen für die Patienten.
Darüber hinaus arbeiten wir gemeinsam mit den lokalen Partnern am Aufbau von Strukturen, die langfristig nicht mehr der Hilfe von außen bedürfen. Je nach den Bedürfnissen und Möglichkeiten vor Ort erfolgt die Umsetzung solcher Maßnahmen direkt begleitend durch unsere ehrenamtlichen German Doctors oder durch die Einbindung lokaler und internationaler Partner. Die Bandbreite der Maßnahmen in dieser Säule kann von einfachen Patientenschulungen zu Themen wie Hygiene und Familienplanung über Beratung und Stärkung unserer Zielgruppe, damit sie vorhandene (z.B. staatliche) Angebote besser nutzen kann, bis hin zur mehrjährigen Ausbildung von qualifiziertem Gesundheitspersonal für die lokalen Gesundheitssysteme reichen. In verschiedenen Projekten kommen überdies auch Komponenten zu einkommensgenerierenden Maßnahmen zum Tragen, um die Abhängigkeit der Zielgruppen zu reduzieren. Auch die Stärkung der Partner vor Ort in administrativen und anderen nicht direkt medizinischen Kompetenzen gehört zu unseren Aufgaben.
Phasenmodell "Helfen und Schulen", damit die Hilfe bleibt
Unser Modell der zwei Säulen wird ergänzt von der Vorstellung, dass die einzelnen Projektphasen „Helfen – Schulen – Beraten – Übergeben“ ineinandergreifen. In der Phase des „Helfens“ stehen die ehrenamtlichen Einsätze im Vordergrund (erste Säule), die direkt vor Ort Not lindern. Durch diese Arbeit entstehen in den Einsatzgebieten Beziehungen und wir bauen Vertrauen bei den Patientinnen und Patienten und anderen Mitstreitenden auf. Daraus können wir gemeinsam mit unseren Partnern in den folgenden Phasen Maßnahmen entwickeln, die zur Stärkung des Gesundheitssystems beitragen. Dabei verwenden wir den Terminus „Schulen“ für alle fachlich-medizinischen Trainingsmaßnahmen und den Begriff „Beraten“ für die Unterstützung von Partner beim Aufbau nicht-medizinischer Kompetenzen. Letztere sind auch die Grundlage für die Übergabe von Projekten in lokale Hände im Sinne der Nachhaltigkeit. Selbstverständlich laufen diese drei Phasen nicht getrennt voneinander und strikt nacheinander ab, sondern sie sind eng miteinander verzahnt und werden in den meisten Fällen über größere Zeiträume auch parallel zueinander durchgeführt, sodass wir auch von „Bausteinen“ sprechen können.
Unser Ziel: Hilfe zur Selbsthilfe
Es kann genauso sinnvoll sein, vor der Anwendung des Bausteins „Helfen“, also vor der Entsendung von freiwilligen German Doctors, schon mit dem „Schulen“ und/oder „Beraten“ zu beginnen, um so von vornherein einem Projekt die richtige Ausrichtung auf langfristig angesetzte Hilfe zur Selbsthilfe zu geben und die Einbindung in lokale Strukturen sicherzustellen.
Bei jeder Projektplanung denken wir von Anfang an das Ziel „Übergeben“ mit. Partner und lokale Strukturen soweit zu stärken, dass die Gesundheitsversorgung unserer Zielgruppe auch ohne die Hilfe von außen gewährleistet werden kann, muss der Antrieb unserer Arbeit sein. Dabei kann es natürlich auch hier zu Überlappung der Phasen kommen, so dass zum Beispiel nach einer Übergabe der Verantwortung keine Freiwilligen mehr zum Einsatz kommen, aber immer noch Maßnahmen der Phasen „Schulen“ und „Beraten“ im Sinne einer weiteren Begleitung des Partners laufen können.
Engagement in vielfältigen Projektformen
Im Zusammenhang mit dem Einsatz ehrenamtlich arbeitender Ärztinnen und Ärzten aus Deutschland und der Schweiz sprechen wir von Arztprojekten. Diese werden immer mit einem lokalen Partner vor Ort durchgeführt, der die Hauptverantwortung für das Projekt trägt und die lokalen Mitarbeitenden (Übersetzer, Pflegepersonal, lokale Ärzte, Fahrer, Apotheker) beschäftigt. German Doctors vereinbaren mit ihren Partnern den personellen und finanziellen Umfang der Arzteinsätze und klären Erwartungen an die Projektarbeit. Die konkrete Gestalt der Arztprojekte richtet sich nach den Bedürfnissen vor Ort, wobei sich GD innerhalb des staatlichen Rahmens im Gesundheitssektor bewegt. So können die German Doctors beispielsweise in Ambulanzhütten in Slums zum Einsatz kommen, in sogenannten „Rolling Clinics“ größere ländliche Gebiete regelmäßig basismedizinisch versorgen oder ihre Dienste in festen Gesundheitseinrichtungen bis hin zu Distriktkrankenhäusern leisten.
Arbeit im Bereich der Gesundheitssystemstärkung
Die Arztprojekte betreiben wir in der Regel in Kombination mit verschiedenen Projekten im Bereich der Gesundheitssystemstärkung sowie der -förderung. Auch hier ist die Bandbreite groß und reicht von einfachen Trainingsmaßnahmen direkt im Rahmen der Arztprojekte über komplexe Ausbildungsprogramme für Gesundheitspersonal bis hin zu weiterführenden medizinischen Maßnahmen, die mit lokalen Partnern und einheimischem Personal umgesetzt werden (zum Beispiel Tuberkulose-Ambulanzen und -Kliniken, HIV-Programme). Im Sinne eines erweiterten Gesundheitsbegriffs fördern wir auch Projekte lokaler Partnerorganisationen in angrenzenden Bereichen, wie Bildung, Ernährungssicherheit und WASH (Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene).
Zusammen mit den lokalen Partnerorganisationen wollen wir auch verstärkt die Rolle eines Anwalts unserer Patientinnen und Patienten übernehmen und sie befähigen, vorhandene (staatliche) Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen.
Wirkungsorientierung
Die Projektarbeit der German Doctors soll positive Wirkungen bei der Zielgruppe erzielen. Deshalb spielt die Wirkungsorientierung im gesamten Projektzyklus und bei der strategischen Planung eine bedeutende Rolle. Bei diesem Ansatz ist für uns nicht nur die Steuerungs- sondern auch die Lernfunktion besonders wichtig. So wird die Basis geschaffen, um gemeinsam mit unseren Partnern unsere Projekte stetig zu verbessern und weiterzuentwickeln. Als Rahmen für die Wirkungsorientierung in der Projektarbeit dient unser Monitoring & Evaluation Konzept sowie der praxisorientierte Monitoring & Evaluation Leitfaden.
Telemedizin und Hilfe in Notsituationen
Neben dem persönlichen Einsatz von Freiwilligen soll auch der Einsatz von eHealth-Tools und Telemedizin die Versorgung der Patienten verbessern – so schon geschehen während der COVID Pandemie, wo Projekte durch Ärzte in Deutschland begleitet wurden.
Wir wirken dem Skandal der permanenten Katastrophe der medizinischen Unterversorgung von Milliarden Menschen entgegen. Darüber hinaus unterstützen wir über entsprechende Netzwerke Menschen in akuten Notsituationen in unseren Einsatzländern. Bei (Natur-)Katastrophen außerhalb unserer Einsatzgebiete ist es im Einzelfall denkbar, unsere medizinische Kompetenz in Kooperationen mit anderen Organisationen einzubringen. Dies hat auch schon stattgefunden z. B. in der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer und durch unsere humanitären Projekte in der Ukraine.
Unsere Prinzipien
- Ein wichtiger Bezugsrahmen für die Arbeit der German Doctors sind die Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen, hier besonders das dritte Ziel, „ein gesundes Leben und Wohlergehen für Menschen allen Alters (zu) fördern“. Als konkrete Unterziele benannt werden hier unter anderem die Senkung der Mütter- und Kindersterblichkeit, die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten, wie zum Beispiel HIV, Malaria, Tuberkulose, Hepatitis B, die Reduktion der nichtübertragbaren Krankheiten, die Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sowie die Prävention von Drogen-, Alkohol- und Tabakkonsum. Doch auch andere Ziele, wie zum Beispiel Armut beenden (Ziel 1), Hunger bekämpfen (Ziel 2), gute Bildung (Ziel 4) und Gender-Gerechtigkeit (Ziel 5), sauberes Wasser und Sanitäranlagen (Ziel 6) und Klimaschutz (Ziel 13) sowie eine auf Nachhaltigkeit bedachte Ressourcennutzung (Ziel 12) stellen zunehmend eine Orientierung für unsere Arbeit dar.
- Gesundheitssysteme können nur dann langfristig und nachhaltig gestärkt werden, wenn die Verantwortung letztlich bei lokalen Institutionen liegt. Die German Doctors wollen daher keine Parallelstrukturen aufbauen, die im schlimmsten Fall vorhandene lokale Ansätze verdrängen, sondern versuchen, ihre Aktivitäten eng mit den Akteurinnen und Akteuren des staatlichen Gesundheitswesens vor Ort abzustimmen.
- Die Projekte wollen zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen und berücksichtigen daher die besondere Vulnerabilität von Mädchen und Frauen, ihren häufig eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsversorgung, aber auch die positive Rolle, die Frauen als Multiplikatorinnen auf die Gesundheit anderer Menschen haben.
- Durch den direkten Einsatz von Expertinnen und Experten aus dem Ausland reicht die Arbeit der German Doctors weit in die Gesellschaften in den Einsatzgebieten hinein. Eine hohe interkulturelle Sensibilität im Umgang mit unterschiedlich geprägten Lebens- und Arbeitsweisen ist eine Grundvoraussetzung für unsere Arbeit.
- Ebenso sind wir uns der Verantwortung gegenüber den von uns als Entsendeorganisation eingesetzten Freiwilligen bewusst und orientieren uns deshalb an anerkannten internationalen Standards der Freiwilligenarbeit/des Volunteerings.
- Die Versuchung, als Geldgeber in der Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen die somit zumindest in finanzieller Hinsicht gegebene Macht zur Durchsetzung selbstgesteckter Ziele einzusetzen, erfordert von uns immer aufs Neue eine Besinnung auf die Prinzipien einer partnerschaftlichen und partizipativen Kooperation.
- Die „Asymmetrie der Macht“ zwischen Helfenden und Hilfeempfangenden birgt immer die Gefahr des Missbrauchs. German Doctors verpflichten sich daher auf einen Verhaltenskodex und eine Kindesschutz-Richtlinie und wenden entsprechende Mechanismen an, um deren Einhaltung sicherzustellen.
- Korruption ist in vielfacher Weise ein Grund dafür, dass Menschen in Armut und mit ineffizienten staatlichen Strukturen leben müssen. Wir lehnen deshalb jede Form von Korruption ab.
- Die Sicherheit unserer Ärztinnen und Ärzte bei ihren freiwilligen Einsätzen hat für uns höchste Priorität. German Doctors sind daher nicht in Regionen mit akuten Konflikten tätig, unterstützen aber durchaus Partnerorganisationen in Krisenregionen.
- Gegenüber unseren Unterstützern und Partnern verpflichten wir uns auf Transparenz und verfolgen die allgemein anerkannten Grundsätze guter Organisationsführung, Rechenschaft und Kontrolle.
- Um durchgängig ausreichend Mittel für die Arbeit zugunsten unserer Zielgruppe einsetzen zu können, betreibt der German Doctors e.V. strategisch Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising. Bei aller notwendigen Darstellung der Missstände und des zu bekämpfenden Elends wahren wir dabei die Würde der von uns dargestellten Menschen und bekennen uns zu den anerkannten Standards einer offenen, wahrheitsgetreuen Information der Öffentlichkeit.