




Eine Zukunft ohne FGM
Mariame wusste schon früh, was sie will: „Ich möchte auf die Uni gehen und Anwältin werden.“ Das verkündete das Mädchen auch laut und deutlich gegenüber ihrer Familie: „Ich habe die Möglichkeiten und kann das.“ Mariame wollte lernen, eigene Erfahrungen machen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Fast wäre dieser Traum für sie unerreichbar gewesen. Denn Mariame kommt aus einfachen Verhältnissen und ihren Eltern fehlt das Geld, um ihr eine gute Bildung zu ermöglichen. „Ich kann sie nicht finanziell unterstützen“, erzählt ihr Vater Abu Bakar Kamere, der als Metallbauer arbeitet. Wie ihm geht es vielen Eltern in Sierra Leone – sie haben kaum Mittel, um für die Ausbildung ihrer Kinder aufzukommen. In der Folge nehmen sie ihre Töchter oft vorzeitig aus der Schule, um sie früh zu verheiraten. Für die Mädchen hat das lebenslange Folgen: Ihr Weg wird ihnen von außen vorbestimmt.
Mariame aber hatte großes Glück: Sie wurde in das Projekt „My Body My Right“ aufgenommen, das German Doctors seit 2020 gemeinsam mit der lokalen Organisation„Commit and Act Foundation Sierra Leone“ (CAF-SL) in den drei Distrikten Bombali, Bo und Tonkolili realisiert.Es ermöglicht Mädchen den Zugang zu Bildung und vermittelt ihnen damit Grundlagen für eine selbstbestimmte Zukunft. Vor allem aber setzt sich das Projekt dafür ein, dass sie selbst über ihren Körper bestimmen können, indem es aktiv gegen weibliche Genitalverstümmelung vorgeht.

„Ich will nur Anwältin werden, sonst nichts.“
Mariame Bakarr
Schülerin
Als Mariame in das „My Body My Right“-Projektaufgenommen wird, erfülltsich für sie ein Traum: Sie kann weiter auf die Schule gehen. Ohne das Projekt wäre ihr dieser Weg verschlossen geblieben, denn der Familie fehlten die finanziellen Mittel. Armut ist ein wesentlicher Faktor dafür, dass Mädchen bereits im Alter von 12 oder 13 Jahren mit dem traditionellen Ritual der Genitalverstümmelung in die Erwachsenenwelt eingeführt werden und damit als heiratsfähig gelten. Es folgen häufig der Schulabbruch, eine frühe Ehe und Schwangerschaft. Mariame ist überglücklich, dass sie ihr Berufsziel verfolgen kann, und möchte nach der Schule Jura studieren.
Schädliche Praxis mit Folgen
In Sierra Leone ist weibliche Genitalverstümmelung – auch „female genital mutilation“ (FGM) – noch eine weit verbreitete kulturelle Praxis. Im Rahmen dieses Eingriffes werden bei Mädchen die (äußeren) weiblichen Genitalorgane ohne medizinische Gründe verletzt oder (teilweise) entfernt – meist ohne Betäubung mit Messern, Rasierklingen oder Glasscherben. Laut UN sind rund 83 Prozent der sierra-leonischen Mädchen und Frauen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren von FGM betroffen. In vielen Ländern gilt die Praxis als Menschenrechtsverletzung und wird dort auch als Straftat betrachtet. In Sierra Leone ist FGM bisher nicht gesetzlich verboten. Es gibt aber innerhalb des Landes und im westafrikanischen Umfeld wachsenden Druck, das zu ändern.
Die Folgen dieses Eingriffs sind vielfältig. Sie reichen von starken Schmerzen und Schock über schwere Blutungen – im schlimmsten Fall mit Todesfolge – Infektionen, Zysten und Unfruchtbarkeit bis hin zu Komplikationen bei späteren Entbindungen und psychologischen Problemen.
My Body My Right
Seit Ende 2020 engagieren wir uns im Rahmen des Partnerprojekts „My Body My Right“ gegen die menschenrechtsverletzende Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung. Mit der „Commit & Act Foundation Sierra Leone“ haben wir einen Partner gefunden, der sich seit 2014 erfolgreich im Bereich Kindesschutz engagiert.

Die derzeit 800 am „My Body My Right“-Projekt teilnehmenden Mädchen bleiben von diesen grausamen Erfahrungen verschont. Ihre Familien verpflichten sich schriftlich, von der Praxis abzulassen. Sie werden über drei Jahre begleitet und finanziell unterstützt. „Das Projekt hat die Schuluniformen, Hygieneartikel und die Verpflegung für meine Tochter gestellt“, erzählt Mariames Vater. So konnte das Mädchen weiter zur Schule gehen – und blieb körperlich unversehrt. Die Projekt-Eltern werden auch dabei unterstützt, ihr Einkommen aus eigener Kraft langfristig zu verbessern. Darüber hinaus werden die Familien zum Thema sexuelle und reproduktive Gesundheit aufgeklärt. Die Mädchen können sich in sozialen Clubs an den Schulen austauschen.
Die Bevölkerung für die Gefahren und Risiken der weiblichen Genitalverstümmelung zu sensibilisieren, ist eine der Herausforderungen des Projekts. „FGM ist eine langjährige kulturelle Praxis in Sierra Leone und ein sensibles Thema für die Menschen“, berichtet Daboh. Um Veränderungen respektvoll anzustoßen, werden alle Zielgruppen einbezogen: Kinder, Eltern, Lehrkräfte, Gesundheitsmitarbeitende, Soweis (die sogenannten Beschneiderinnen), staatliche Stellen und Vorsitzende in den Gemeinden. Das Projekt-Team von CAF bringt das Wissen gezielt in die Gemeinden und sucht mit ihnen individuelle Lösungen, wie die Tradition geachtet werden kann, ohne FGM anzuwenden. Darüber hinaus gibt es Informationen im Radio sowie Kurse und Dialogkreise an Schulen und in Dörfern.

„Die Beziehung zu meiner Tochter wurde immer besser.“
Abu Bakarr
Vater von Mariame
Die Eltern der Mädchen sind Teil des „My Body My Right“- Projekts. Sie werden für das Thema Genitalverstümmelung sensibilisiert, engagieren sich gemeinsam mit ihren Töchtern und erleben ein wachsendes gegenseitige Verständnis. Zusätzlich können die Eltern an Trainings teilnehmen, die darauf zielen, das Familieneinkommen aus eigener Kraft zu erhöhen.
Mit 19 Euro helfen
19 Euro sorgen dafür, dass wir ein Mädchen im "My Body My Right" Programm schulen und begleiten können. Auf diesem Weg haben die Mädchen in Sierra Leone die Möglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und über ihre Zukunft selbst zu bestimmen!

Mädchen sind Vorbilder der Bewegung „My Body My Right“
Der Ausruf „Mein Körper Mein Recht!“ ist für die jungen Frauen längst zum Slogan geworden. In ihren Gemeinden sind sie inzwischen Vorbilder. „Sie beeinflussen Gleichaltrige und Erwachsene, ihre Traditionen zu überdenken und sich gegen Gewalt auszusprechen“, sagt Fanta Daboh. Und haben Erfolg: Immer häufiger entwickeln Gemeinschaften Regeln zum Schutz vor FGM. Die Dorfältesten in Yele verpflichteten sich zum Beispiel dazu, die Tradition der Bondo-Gesellschaft ohne Genitalverstümmelung fortzuführen. „Die alten Normen haben Nachteile für die Mädchen und die Gesellschaft“, sagt Gemeindevorsitzender David K. Fullah: „Ein Mädchen zu stärken, bedeutet, Sierra Leone zu stärken.“ Es zeichne sich ein dauerhafter Wandel ab, bestätigt Fanta Daboh: „Frauen werden zunehmend als wertvolle Mitglieder der Gesellschaft und Führungspersönlichkeiten betrachtet, deren Gesundheit, Bildung, Schutz und Stimme zählt.“

„Ein Mädchen zu stärken, bedeutet, Sierra Leone zu stärken.“
David K. Fullah
Gemeindevorsitzender
Bildung ermöglicht den Mädchen ein selbstbestimmtes Leben
Praktisch gestaltet sich das wie folgt: Die Projektmitarbeitende führen zunächst eine Reihe von Aufklärungsveranstaltungen durch. Sie machen den Einwohnern die vielfältigen schädlichen Auswirkungen der weiblichen Genitalverstümmelung bewusst sowie die geltenden rechtlichen Paragraphen.
Immer wieder betonen sie auch die Wichtigkeit von Schulbildung für die Mädchen. Dies wird durch die Bereitstellung von Schulmaterialien und die finanzielle Unterstützung der Familien für den Schulbesuch der Töchter untermauert.

Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sind unerlässlich
Mitverantwortlich für das Gelingen des Projekts sind auch Menschen, die den Wandlungsprozess begleiten. Das sind unter anderem Lehrerinnen und Lehrer, die besonders sorgsam rund um das Thema weibliche Genitalverstümmelung aufgeklärt wurden, jetzt als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ihr Wissen weitergeben. Auch über das Radio klären die Projektmitarbeitenden und andere Expertinnen und Experten die sierra-leonische Öffentlichkeit über die Folgen der weiblichen Genitalverstümmelung für Körper und Seele auf.
Zusätzlich richten sie sogenannte „Girls Clubs“ in den Schulen ein, die von den Projektteilnehmerinnen selbst geleitet und von Lehrerinnen und Lehrern betreut werden. Die Botschaft: „Wir unbeschnittenen Mädchen sind etwas Besonderes. Wir sind selbstbewusst, modern, und wir bestimmen über unseren Körper.“ Die Lehrerinnen und Lehrer berichten, dass die Mädchen nicht mehr von anderen Mädchen stigmatisiert, sondern bewundert und als Vorbilder angesehen werden.
Selbst Beschneiderinnen schwören der Tradition ab
Führende Persönlichkeiten in der Gemeinde werden dabei als zentrale Bindeglieder gezielt adressiert: „Sie genießen hohes Ansehen in der Gemeinschaft“, erklärt Abu Bakar Conteh, „Wenn sie ihr Bewusstsein ändern, können sie die Anti-FGM-Bewegung weitertragen.“ Gerade die Unterstützung der Männer ist entscheidend. Als Bruder mehrerer Schwestern hat er erlebt, wie die Traditionen vor allen Dingen die Frauen in Sierra Leone unfrei machen. Diese Strukturen möchte er mit seiner Arbeit aufbrechen. Daher sieht er es als männlicher Sozialarbeiter als seine Aufgabe an, in den Dörfern vor allem die Männer zu adressieren. „Im patriarchalen Sierra Leone zählt die Meinung von Frauen nicht viel. Männer beeinflussen alle Entscheidungen. Erkennen sie die negativen Folgen von FGM, können sie ein starker Multiplikator sein.“
Auch die Soweis werden aktiv in den Wandlungsprozess einbezogen. Sie sind angesehene Mitglieder der Gemeinden und verdienen mit der Praxis der Genitalverstümmelung ihren Lebensunterhalt. Im Rahmen des „My Body My Right“-Projekts werden die Soweis dazu gebracht, ihre Messer niederzulegen. Das Projekt unterstützt sie dabei, sich eine alternative Einkommensquelle im landwirtschaftlichen Bereich aufzubauen.
Eines der zentralen Ziele des Projekts ist es, die Mädchen selbst zu stärken. „Wir stellen sicher, dass sie gesehen und gehört werden und auch die Möglichkeit haben, zu lernen und sich zu entfalten“, sagt Abu Bakar Conteh. Wie sie sich verändern, sei direkt spürbar: „Wir beobachten, wie stark sich ihr Selbstwertgefühl und ihr Durchsetzungsvermögen verbessert“, berichtet Fanta Daboh. Das sei auch ein wirksamer Schutz vor Gewalt: „Wenn Mädchen ihre Rechte kennen und darin bestärkt werden, auch über unangenehme Dinge zu kommunizieren, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu Opfern werden. Sie zeigen auch Vergehen eher an und suchen sich Hilfe.“

„Ich möchte, dass meine Kultur weiterlebt - aber die Mädchen sollen etwas Neues lernen.“
Mammie Barommy
Ehemalige Beschneiderin

Finanzielle Perspektiven schaffen
Neue Einkommensquellen müssen auch für die Beschneiderinnen, die „Soweis“ gefunden werden. Traditionell versorgen die Familien der Mädchen die „Soweis“ während der sogenannten Initiationszeit mit Lebensmitteln, Kleidung, Schmuck und Geld. Auch später bleiben sie ihnen oft verbunden und beschenken sie gelegentlich. Umso erfreulicher ist, dass bereits viele von ihnen in den teilnehmenden Gemeinden ihr Bedauern darüber geäußert haben, dass sie diese Praxis ausgeübt haben und ihre Messer niedergelegt haben.
Manche haben ihre eigenen Töchter für das „My Body My Right-Projekt“ angemeldet. Ein deutliches Zeichen, dass sie diese schädliche Praxis überwinden möchten. Um den Frauen eine finanzielle Perspektive zu bieten, sodass sie nicht zu der schädlichen Praxis zurückkehren müssen, unterstützt das Projekt die „Soweis“ seit April 2022 mit einer Komponente für eine alternative Einkommensquelle im landwirtschaftlichen Bereich. Sie erhalten Trainings, Saatgut und Land wird zur Verfügung gestellt und sie können Lebensmittel für ihren Eigengebrauch sowie zum Verkauf anbauen.