Neues aus den Projekten
Indien: Mehr als 300.000 Neuansteckungen mit Covid-19 pro Tag
In Indien steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen dramatisch an. Über 300.000 Menschen infizieren sich den offiziellen Meldungen zufolge täglich neu mit Covid-19. Das ohnehin schlecht ausgestattete Gesundheitssystem droht unter dem enormen Anstieg der Corona-Fälle zu kollabieren.
Die Krankenhäuser stoßen an ihre Belastungsgrenzen, Sauerstoff und Medikamente werden mancherorts knapp. Auch in unserer Projektregion Kalkutta ist die Lage dramatisch. Unsere lokalen Partner und unser Langzeitarzt Dr. Tobias Vogt berichten von besorgniserregenden Entwicklungen. „Wir sehen inzwischen jeden Tag Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind und wir hören von Todesfällen im Arbeits- und im privaten Umfeld“, berichtet Dr. Vogt. „Jüngst ist ein Arztkollege in meinem Alter an Corona verstorben. Das macht mich sehr betroffen.“
Woher kommen die hohen Infektionszahlen?
Zurzeit stehen in Indien in einigen Bundesstaaten, darunter auch in Westbengalen, wo unser Projektstandort Kalkutta liegt, Wahlen zu gesetzgebenden Versammlungen an. Die Wahlkämpfe im Vorfeld wie auch weitere Großveranstaltungen und Feste, bei denen viele Menschen zusammenkamen und keine Schutzmasken trugen, werden für den Anstieg der Zahlen verantwortlich gemacht. Hinzu kommt, dass sich in Indien vermutlich eine stärker ansteckende Virus-Mutante ausbreitet, die diese Entwicklung wohl auch vorangetrieben hat. „Wir müssen uns auf einen neuerlichen Lockdown auch hier in Westbengalen vorbereiten“, berichtet Dr. Vogt. „Vermutlich wird dieser nach den Wahlen ausgerufen.“
Unsere Patientenversorgung geht weiter
Unsere Arbeit in den Ambulanzen wie auch in den Tuberkulose-Krankenhäusern geht zurzeit weiter. Allerdings unter für alle sehr schwierigen Bedingungen: Unsere Mitarbeitenden und unser Langzeitarzt arbeiten immer in vollständiger Schutzausrüstung – und dies bei Temperaturen von zurzeit bis zu 40 Grad. Dr. Vogt behandelt seine Patientinnen und Patienten im beengten Ambulanzfahrzeug, da dieses besser belüftet ist als so manches Ambulanz-Zimmer.
In unserem Tuberkulose-Krankenhaus für Frauen gilt seit über einem Jahr Besuchsverbot, was für die Patientinnen des St. Thomas Home, die dort in der Regel monatelang bis zu ihrer Genesung verbringen, nur sehr schwer auszuhalten ist. „Nicht alle tuberkulosekranken Frauen, die wir auf Station haben, halten das durch. Denn viele haben Kinder zuhause, die sie aus Schutz vor einer Corona-Infektion nicht sehen können“, erklärt Dr. Vogt. Wer durchhält und im Krankenhaus geblieben ist, drängt sich um das Telefon, mit dem alle Patientinnen 10 Minuten pro Tag kostenlos telefonieren dürfen. Auch der Balkon des St. Thomas Home zur Straße hin wird sehr stark frequentiert und genutzt, um wenigstens von dort aus Kontakt mit den Angehörigen zu haben, sich zu sehen und miteinander zu sprechen. In unserem Tuberkulose-Krankenhaus für Kinder, dem Pushpa Home, konnten wir eine andere Regelung finden: Treffen erfolgen nach Möglichkeit im Außenbereich und auf Abstand.
Lockdown-Vorbereitungen für unsere Chroniker
Besondere Sorge bereiten unserem Langzeitarzt die chronisch kranken Patienten. Denn das indische Gesundheitssystem ist seit Ausbruch der Pandemie zum Großteil auf die Behandlung von Covid-19-Erkrankten fokussiert. Patienten mit anderen Krankheiten haben es sehr schwer, zu einem Arzt zu gelangen. Dies kann insbesondere für chronisch Kranke schnell lebensbedrohlich werden, da sie auf ihre regelmäßige Medikamenteneinnahme angewiesen sind. Während des ersten Lockdowns kamen einige aufgrund von Ausgangsbeschränkungen, fehlendem Nahverkehr und wohl auch aus finanziellen Gründen nicht an ihre Medizin.
„Diesmal wollen wir besser für neuerliche Restriktionen gerüstet sein und erklären unseren Patienten mit chronischen Leiden schon jetzt, dass sie im Fall von Beschränkungen z.B. ihr Insulin in einer örtlichen Apotheke kaufen sollen und wir die Rechnungen später erstatten“, erklärt Dr. Vogt. Seine Sorge um die chronisch Erkrankten scheint berechtigt. Denn nach dem ersten Lockdown erfuhren unsere Mitarbeitenden vor Ort, dass einige Chroniker aufgrund von der Nichteinnahme wichtiger Medikamente gestorben seien. Darunter auch eine 20-jährige Diabetikerin, die seit mehr als zehn Jahren in ambulanter Betreuung der German Doctors gewesen war. Das Team tauscht aktuell Telefonnummern mit unseren Patienten aus, so dass die Patienten für den Notfall einen Kontakt haben.