Sinnvolle Arbeit als ehrenamtlicher Arzt

Ein Bericht von Einsatzarzt Dr. Arndt Dohmen aus Chittagong

Eine ordentliche Portion Aufregung und auch Unsicherheit war schon dabei: Nach 40 Jahren ärztlicher Tätigkeit überwiegend im Klinikbereich hatte ich mich entschieden, im Ruhestand etwas ganz anderes zu tun und mich deswegen bei den German Doctors beworben. Nach Vorbereitung mit dem Blue Book und in den Seminaren in Bonn und Würzburg ging es dann Anfang Oktober zu meinem ersten Einsatz nach Chittagong. Würde ich dort als Arzt sinnvolle Arbeit leisten können?

Chittagong Verkehr

Mit dem Minitaxi durch Chittagong

Chaos auf den Straßen von Chittagong

Johnny holte mich vom Flughafen ab und dabei machte ich die erste Bekanntschaft mit einem CNG, dem typischen und häufigsten Verkehrsmittel in den Großstädten von Bangladesch, einem dreirädrigen Minitaxi, das trotz des manchmal etwas klapprigen Aussehens durch eine umwelttechnische Besonderheit – einen gasbetriebenen Motor – die ansonsten heftige Luftverschmutzung ein wenig zu reduzieren hilft. Vom Linksverkehr als Erbe der britischen Kolonialzeit hatte ich schon daheim gehört, gewöhnungsbedürftig war aber der halsbrecherische Fahrstil, der im Straßenverkehr von Bangladesch die Regel ist und in dem nur das Recht des Stärkeren gilt. Trotz des Chaos auf den Straßen passieren aber erstaunlich wenig schwere Unfälle, weil jeder in ganz riskanten Situationen in der allerletzten Sekunde doch noch durch ein Bremsmanöver, begleitet von heftigem Hupen, dem stärkeren oder noch schnelleren Fahrzeug den Vortritt lässt.

Nach einer Stunde waren wir dann am Ziel: Father Budreau’s Medical Center gegenüber von Our Lady of the Holy Rosary Cathedral, einer der wenigen christlichen Kirchen der Stadt. Hoch oben auf der großen Dachterrasse liegt die Ärztewohnung, dort wurde ich von meinem Kollegen aus Freiburg begrüßt, der bei German Doctors bereits ein alter Hase ist, weil er schon viele Einsätze in unterschiedlichen Projektorten hinter sich hatte. Für einen ersten Einsatz ist es eine große Hilfe, dass in Chittagong stets zwei Ärzte gemeinsam arbeiten, da man so während der Sprechstunde jederzeit auch mal eine zweite Meinung gleich im Nachbarraum einholen kann.

Sinnvolle Arbeit in Bangladesch

Sinnvolle Arbeit für die Ärmsten der Armen

Die Arbeit beginnt

Von allen Mitarbeitern des Teams wurde ich gleich am ersten Arbeitstag sehr freundlich begrüßt. Der Warteraum war voll, der Geräuschpegel deutlich höher als in einer deutschen Ambulanz oder Praxis, denn etwa die Hälfte unserer Patienten sind Kinder. Unersetzlich für die Arbeit ist die Hilfe von Nasrin und Liton, den beiden Dolmetschern, ohne die keinerlei Kommunikation mit den Patienten möglich wäre, denn nur wenige Menschen in Bangladesch sprechen Englisch. Als größte Herausforderung habe ich empfunden, unter den vielen Fällen mit banalen Erkältungen oder anderen uncharakteristischen Beschwerden nicht diejenigen zu übersehen, die schwerer erkrankt sind und dringend einer weiterführenden Diagnostik und Behandlung bedürfen. Sehr hilfreich sind dafür die verschiedenen Standards und Entscheidungsalgorithmen, die von der WHO erarbeitet worden sind und die man auch im Blue Book findet.

Viel stärker als bei der Arbeit in Deutschland ist man für medizinische Entscheidungen auf Anamnese und basale klinische Untersuchungsbefunde angewiesen, denn alle Zusatzuntersuchungen sind kostenaufwändig und es ist auch unsicher, ob die Patienten überhaupt wiederkommen, wenn das Untersuchungsergebnis vorliegt. Dennoch haben wir in der Ambulanz des Medical Center for the Poorest oft her Poor die wichtigsten Ressourcen zur Verfügung, um ernsthafte und behandlungsbedürftige Erkrankungen weiter abzuklären: Röntgenuntersuchungen, Labor und Sputumtests können wir jederzeit veranlassen, Ultraschalluntersuchungen sind ebenfalls möglich und können bei eigener Erfahrung mit dieser Methode sogar selbst durchgeführt werden.

Gut gelaunte Patientinnen

Ein Lächeln ist der größte Dank

Aufklärung ist extrem wichtig

Viele Erkrankungen entstehen aus Mangel an Informationen der Patienten über notwendige Hygienemaßnahmen im Alltag oder über angemessene und ausreichend nährstoffreiche Ernährung besonders der Kinder. Daher ist es wichtig, dass die Team-Mitarbeiter für die Wartenden regelmäßig Informationsveranstaltungen zu diesen Themen durchführen und dass es für unterernährte Kinder ein eigenes Ernährungsprogramm im Projekt gibt, in das wir Ärzte alle Mütter weiterleiten, deren Kinder bei der Untersuchung als besonders unterernährt auffallen. In diesem Programm erhalten die Kinder die notwendige zusätzliche Ernährung, bis es zu einer Trendwende bei der Gewichtsentwicklung kommt. Gleichzeitig werden die Mütter täglich in allen Themen geschult, die für die gesunde Entwicklung ihrer Kinder wichtig sind. Jede Woche einmal fahren auch wir Ärzte mit allen anderen Mitarbeitern der Ambulanz hinaus in dieses Ernährungszentrum und bieten direkt vor Ort eine Sprechstunde an, in der alle Kinder vorgestellt werden, die gesundheitliche Probleme haben.

Ich blicke auf sechs Wochen sinnvolle Arbeit zurück

In den sechs Wochen habe ich den Eindruck gewonnen, dass alle Teile des Projektes gut aufeinander abgestimmt sind und sich ergänzen. Die überwiegend sehr engagierten lokalen Mitarbeiter in der Ambulanz und im Feeding-Center gewährleisten die Kontinuität der Projektarbeit, die notwendig ist, damit das medizinische Angebot von den Bewohnern der benachbarten Slums auch vertrauensvoll angenommen wird. Bei all dem Leid und der Not, die ich alltäglich bei den Patienten in der Ambulanz gesehen habe, hatte ich immer das Gefühl, sinnvolle Arbeit in einem tollen Team zu leisten. Es ist mir aber auch klar geworden, dass ich die Welt durch diesen Einsatz nicht verbessern konnte. Ich habe nur – gemeinsam mit den Menschen vor Ort – ein wenig dazu beigetragen, das Leben der Ärmsten in diesem Land – wenn sie erkranken – etwas erträglicher zu machen. Das aber reicht mir schon als Motivation, mich auch in Zukunft als German Doctor einzusetzen!