



Trotz ECOWAS-Verbot: Weibliche Genitalverstümmelung in Sierra Leone noch nicht strafbar

© Saidu Bah
Nach jahrelangem Engagement seitens der Zivilgesellschaft liegt ein neuer Gesetzentwurf zum Verbot von FGM vor, der aber am 03. Juli vom sierra leonischen Parlament zurückgewiesen wurde.
Nun erhält die landesweite Bewegung gegen FGM durch ein wegweisendes Urteil des Gerichtshofes der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) vom 08. Juli Rückenwind: In dem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Regierung von Sierra Leone die Rechte von Frauen und Mädchen verletzt hat, indem sie die weibliche Genitalverstümmelung (FGM) nicht ausdrücklich unter Strafe gestellt hat.
In dem Urteil stuft ECOWAS FGM als eine „der schlimmsten Formen der Gewalt gegen Frauen“ ein und betont, dass sie „die Schwelle zur Folter“ erreicht. Der ECOWAS-Gerichtshof verlangt von den zwölf Mitgliedstaaten – darunter auch Sierra Leone – schädliche Praktiken, insbesondere FGM, zu verbieten.
Die Klage wurde von Kadija, einer Überlebenden, 31 Bewegungspartnern des Forums gegen schädliche Praktiken und Purposeful eingereicht. Sie machte die internationale Öffentlichkeit auf den Fall einer Frau aufmerksam, die 2016 zwangsweise einer FGM unterzogen wurde und seitdem Gerechtigkeit fordert.
Das Bündnisses gegen FGM in Sierra Leone ordnet das Urteil in seiner Pressemitteilung wie folgt ein: „Diese wegweisende Entscheidung, die von einer Richtergruppe aus Vertretern der 12 ECOWAS-Mitgliedstaaten getroffen wurde, zieht Sierra Leone zur Verantwortung – und schafft einen monumentalen rechtlichen Präzedenzfall für den Schutz von Frauen und Mädchen in der gesamten Region.“
Das Verbot wurde vom Land bisher nicht in das „Child Rights Amendment Bill 2025” aufgenommen. Hannah Keittel Vonjoe von Commit and Act Foundation- Sierra Leone (CAF-SL) und Fanta Daboh, German Doctors-Landesvertreterin berichten über die aktuelle Entwicklung.
„Realistisch betrachtet, denke ich, dass dieses Urteil des ECOWAS-Gerichts eine durchschlagende Bestätigung dessen ist, was wir schon lange wissen. Genitalverstümmelung ist keine Kultur, sie ist Folter. Bei der CAF erleben wir jeden Tag den Schmerz, das Trauma und das Schweigen, das diese Praxis in Sierra Leone umgibt. Diese Entscheidung verleiht unseren Aufrufen zum Handeln rechtliches und moralisches Gewicht. Es ist an der Zeit, dass unsere Politiker ihren politischen Willen in Schutzgesetze umsetzen. Unsere Mädchen verdienen es, unversehrt, sicher und frei von Schaden aufzuwachsen.
Das Fehlen einer Klausel, die Genitalverstümmelung unter Strafe stellt, in der Child Rights Bill 2025 ist eine verpasste Gelegenheit, unsere Mädchen im entscheidenden Moment zu schützen. Als Land können wir nicht den Fortschritt feiern und gleichzeitig eine der schlimmsten Gewalttaten gegen Kinder ignorieren. Wir von der Commit and Act Foundation stehen an der Seite der Child Rights Coalition und fordern das Parlament auf, mutig und entschlossen zu handeln, denn echter Kinderschutz muss ein Ende von FGM beinhalten.„
Hannah Keittel Vonjoe, Landesdirektorin, Commit and Act Foundation- Sierra Leone
„Ich bin besorgt über die Streichung der Klausel, die Mädchen vor weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) schützt, aus dem jüngsten Gesetzentwurf über Kinderrechte. Diese Entscheidung des Parlaments von Sierra Leone gefährdet die Gesundheit, die Rechte und die Würde von Mädchen und muss unbedingt noch einmal überdacht werden, um ihren Schutz vor Schaden zu gewährleisten. Auch wenn wir die Bedeutung kultureller Praktiken für die Identitätsbildung anerkennen, ist es wichtig, dass sie sich weiterentwickeln, wenn sie das Wohlergehen und das Leben des Einzelnen bedrohen.
Angesichts des jüngsten Urteils des ECOWAS-Gerichtshofs, das FGM als Verletzung der Rechte von Frauen und Mädchen einstuft, zeigt es, dass der Schutz von Mädchen vor FGM nicht nur eine nationale Pflicht ist, sondern auch mit regionalen und internationalen Menschenrechtsverpflichtungen in Einklang steht. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Regierung entschiedene Maßnahmen ergreift, um die Rechte und die Gesundheit von Mädchen in Sierra Leone zu schützen.“
Fanta Daboh. Landesbeauftragte, German Doctors Sierra Leone
„Das Urteil verpflichtet Sierra Leone nun, unverzüglich gesetzliche Maßnahmen zum Verbot von FGM zu ergreifen, die Täter, die FGM an der Überlebenden vorgenommen haben, unverzüglich und wirksam zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen und der Überlebenden Wiedergutmachung zu leisten, einschließlich einer finanziellen Entschädigung in Höhe von 30.000 US-Dollar, zahlbar in Leones, für die Verletzung ihrer Rechte.
„Dies ist ein hart erkämpfter Sieg, auf den wir zehn Jahre lang gewartet haben. Wir feiern heute, aber dies ist ein Sieg für alle Mädchen und Frauen, und der Kampf geht weiter“, sagte Kadija.“[1]
[1] Auszug aus der Pressemitteilung des Bündnisses gegen FGM in Sierra Leone
Die gesamte Pressemitteilung finden Sie hier: Deutsch, Englisch
Update vom 21.08.2025: Avaaz hat eine Petition für ein Ende der weiblichen Genitalverstümmelung in Sierra Leone gestartet. Jetzt unterzeichnen
Information über die ECOWAS:
Die ECOWAS (Economic Community of West African States) ist ein Zusammenschluss von westafrikanischen Staaten zur Förderung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Sitz in Abuja, Nigeria. Zu ihren Mitgliedsstaaten gehören Benin, Cabo Verde, Côte d'Ivoire, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Liberia, Nigeria, Senegal, Sierra Leone und Togo.