Neues aus den Projekten
Kalkutta: Steigende Zahl Diabeteskranker
Diabetes – gemeinhin als Wohlstandserkrankung bezeichnet – ist längst auch ein Problem der armen Bevölkerungsschichten in Entwicklungs- und Schwellenländern. Das spüren unsere Einsatzärzte im Kalkutta-Projekt in ihrer täglichen Arbeit. Zeit, neue Wege zu gehen.
Es klingt zunächst paradox: Arme Menschen, die an Diabetes leiden. Und doch ist es eine in den Armutsregionen der Erde deutlich zu beobachtende Entwicklung. Ihre Ursache liegt in einer ungesunden Mischung aus dem Konsum billiger Fertigprodukte, zu vieler Kohlenhydrate und mangelnder Bewegung. Zum Beispiel sind kleine Instantnudel-Portionen so preisgünstig zu haben, dass manche Familie diese zwei Mal am Tag isst. Sie mögen kurzfristig zwar satt machen, langfristig aber macht deren ausschließlicher Verzehr krank. Schon heute leiden rund sechs Prozent der Inder an Diabetes, Tendenz steigend. Unser Einsatzarzt Dr. Arndt Dohmen beschreibt in seinem Einsatzbericht treffend, wie wir unsere Arbeitsweise in Kalkutta an die neue Situation angepasst haben. Lesen Sie hier seinen Bericht:
„Auch wer schon früher öfter mal in Kalkutta gearbeitet hat, wird derzeit in der täglichen Arbeit mit einer erstaunlichen und auf den ersten Blick befremdlichen Neuerung konfrontiert: Seit Oktober schicken wir in größerem Umfang Patienten aus unseren Ambulanzen fort in die umliegenden staatlichen Krankenhäuser. Beschäftigt man sich mit den Gründen für diese Entscheidung aber genauer, so kann man darin das für NGO´s nicht gerade typische Bemühen erkennen, die Sinnhaftigkeit des eigenen Projektes immer wieder zu hinterfragen und neuen Entwicklungen im Einsatzland auch anzupassen. In den letzten Jahren hat nämlich die Prävalenz an Diabetes mellitus in Indien dramatisch zugenommen. Das hat auch in den Ambulanzen der German Doctors zu einem immer höheren Anteil an Diabetikern in unseren Warteschlangen geführt, sodass oft Patienten mit anderen akuten Erkrankungen keinen garantierten Behandlungsplatz mehr bekommen konnten. In den letzten zwei Jahren hat nun die indische Regierung auf diese neue gesundheitspolitische Herausforderung reagiert und ein Programm zur kostenlosen Behandlung von Diabetikern in staatlichen Klinikambulanzen aufgelegt, das inzwischen auch in Kalkutta umgesetzt wird. Auf diese Entwicklung haben die German Doctors reagiert und zurecht die Notwendigkeit der Diabetikerbehandlung in den eigenen Projektambulanzen in Frage gestellt. Und so schicken wir jetzt in einem sorgsam auf mehrere Schritte aufgeteilten Verfahren mehr und mehr Diabetiker in diese staatlichen Sprechstunden. Dass diese Patientinnen aber nicht einfach „abgeschoben“ werden, lässt sich an den einzelnen Schritten des Verfahrens deutlich erkennen: Zunächst werden alle Kandidaten für einen Übergang in staatliche Betreuung in ein eigenes Diabetes-Camp geschickt, wo sie einen ganzen Tag lang eine Diabetesschulung erhalten, damit sie ihre Krankheit besser verstehen und auch in die Lage versetzt werden, selbst verantwortlich damit umzugehen. Erst danach wird der erste Kontakt mit der für den Patienten nächstgelegenen staatlichen Ambulanz in die Wege geleitet. Nach dem ersten Besuch dort sehen wir die Patientinnen noch einmal bei uns und überprüfen anhand der Dokumentation der Klinikärzte, ob die Patienten auch adäquat versorgt werden. Erst wenn dies gewährleistet und von uns überprüft ist, nabeln wir die Patienten dann ganz von uns ab, nicht ohne ihnen mitzuteilen, dass sie wegen aller anderen gesundheitlichen Probleme weiterhin zu uns kommen können. Als ich diese Hintergründe verstanden habe, entwickelte sich aus meinem anfänglichen Kopfschütteln, mit dem ich die verschiedenen bürokratischen Formulare für die Diabetiker ausgefüllt habe, eine Hochachtung dafür, wie verantwortungsbewusst die German Doctors mit Spendengeldern umgehen und ihre eigene Arbeit immer wieder auf den Prüfstand eines kritischen Selbstverständnisses stellen.“