Operieren unter afrikanischen Bedingungen

Ein Bericht von Einsatzärztin Dr. Beatrice Li aus Serabu

„Erzähl‘, wie war‘s?“ So oder so ähnlich beginnen die Gespräche, wenn ich Freunde oder Verwandte nach meiner Rückkehr aus Sierra Leone wiedersehe. Es ist nicht leicht, die Fülle an Erfahrungen und Erlebnissen zu beschreiben, ohne mein Gegenüber mit einem endlosen Monolog zu langweilen. Inwiefern ist es überhaupt möglich, in Worten oder Bildern die Realität einer Welt zu vermitteln, die so gegensätzlich zu der unseren ist?

Die Unterkunft von Oben

Ich war sechs Wochen lang als Anästhesistin in Serabu tätig und habe dort zusammen mit den CHOs (Community Health Officers) die Operationen sowie die internistischen Patienten betreut. Das operative Spektrum umfasst Hernien, Kaiserschnitte, gynäkologische Eingriffe, kleinere Wundversorgungen sowie viele Abszessspaltungen, die im sogenannten „Africa-OT“, dem nicht-klimatisierten OP-Saal, durchgeführt wurden. Dank der Spendengelder konnte  auch dieser OP-Saal während meines Aufenthaltes mit einer Klimaanlage ausgestattet werden. „Afrikanisch“ blieb dagegen die fehlende apparative Überwachung in diesem Saal und so hieß es Narkose machen wie bei uns noch vor Jahrzehnten, nämlich mit „Hand am Puls“ und wachsamem Auge am Patienten.

Getragen wird in Afrika auf dem Kopf

Der klimatisierte, sterile OP-Saal hatte erfreulicherweise einen Überwachungsmonitor und dank der Klimaanlage stellte dieser Raum für mich oft eine willkommene Oase der Abkühlung in dem feucht-heißen Klima dar. Die apparative Ausstattung sowie die verfügbaren Medikamente und diagnostischen Möglichkeiten waren in allen Bereichen nicht zu vergleichen mit der in einem deutschen Krankenhaus. Die Erfahrung, dass es oft auch mit viel weniger geht, als wir es gewöhnt sind, war für mich jedoch sehr wertvoll und hat mir teilweise sogar Freude gemacht.

Kaum zu vergleichen

Zahlreiche Fälle waren aber auch traurig und frustrierend, sei es weil man mangels diagnostischer Möglichkeiten quasi „blind“ therapierte oder weil eine Therapie, die hierzulande jedem zur Verfügung steht, dort nicht möglich war. Ich kann mich beispielsweise gut an den Moment erinnern, als mir wie Schuppen von den Augen fiel, wie wenig man für einen Jugendlichen mit Typ 1 Diabetes („Zuckerkrankheit“) tun kann. Hierzulande kann man die Krankheit zwar nicht heilen, aber dank vieler medikamentöser und technischer Fortschritte eine relativ gute Einstellung und Lebensqualität für die Betroffenen erreichen. Aber in Serabu… Angefangen von der Tatsache, dass kaum jemand auf dem Land einen Kühlschrank besitzt über die Beschaffung und Dosierung des Insulins bis zur hin Ernährungsberatung. Was erzählt man einer Familie, in der die meisten Mitglieder nicht lesen und schreiben können und die durch Subsistenzwirtschaft gerade so über die Runden kommt? Man kann das dortige Leben nicht mit unserem vergleichen und doch tat und tue ich es manchmal unwillkürlich und erschrecke jedes Mal vor dem Ausmaß der Ungleichheit.

Die Fröhlichkeit haben sich die Menschen in Serabu nicht nehmen lassen

Es gab bei all der Tragik glücklicherweise auch jene Fälle, in denen man mit wenig Mitteln viel bewirken konnte und die uns motivieren, weiterzumachen. Sehr erfreulich war beispielsweise der Verlauf einer jungen Frau, die nach der Entbindung eine schwere schwangerschaftsbedingte Herzschwäche mit einem akuten Lungenödem entwickelte. Die medikamentöse Therapie schlug nicht schnell genug an und sie wäre ohne weitere Maßnahmen vermutlich sehr bald an dem Wasser in der Lunge erstickt. Wir beschlossen also gemeinsam, sie zu intubieren und für einige Stunden künstlich zu beatmen, um ihr mehr Zeit zu verschaffen. Was in deutschen Krankenhäusern logistisch kein Problem darstellt, ist in Serabu eine weitreichende Entscheidung. Es gibt keine Intensivstation und das einzige Beatmungsgerät befindet sich im OP, der dann wiederum für Notfalleingriffe blockiert ist. Wir beatmeten die Patientin für einige Stunden im OP von Hand (da mit unserem Gerät keine automatische maschinelle Beatmung möglich ist) und verlegten sie dann zurück auf auf ihre Station. „Es liegt nun in Gottes Hand.“, sagten die CHOs dem Ehemann der Patientin. Tatsächlich erholte sie sich im Laufe der nächsten Tage vollständig und einige Wochen später konnte sie nach Hause gehen. Von den Zwillingen, die sie zur Welt gebracht hatte, war eines verstorben, aber der andere hatte überlebt und konnte ebenfalls in gutem Zustand entlassen werden.

Entgegen aller Widrigkeiten

Kleine Patienten sind leider keine Seltenheit

Es würde den Rahmen eines Einsatzberichtes sprengen, alle meine Eindrücke und Erlebnisse zu beschreiben. Ich bin mit weitaus mehr Fragen und Zweifeln zurückgekommen, als ich auf der Hinreise im Gepäck hatte. Sicher ist jedoch eines: Ich bin unbeschreiblich dankbar für die Erfahrung, eine andere Welt so nah kennengelernt zu haben und ich glaube nicht, dass ich jemals soviel geben kann, wie ich bereichert wurde. Die Menschen in Serabu sind sehr herzlich und viele leisten jeden Tag Unglaubliches, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Wenn man die Ausgangssituation dieser Menschen betrachtet – ein Jahrzehnt Bürgerkrieg, Ebola, die Armut, die niedrige Alphabetisierungsrate und und und – erscheint ihre Leistung umso bemerkenswerter.

Ladungssicherung sieht anders aus

Ich glaube, dass wir Ärzte nur die Symptome von Armut und ungerechter Ressourcenverteilung lindern können und dass einzig strukturelle, gesellschaftliche und politische Veränderungen eine wirkliche „kausale Therapie“ darstellen können. Aber zwischenzeitlich ist die „symptomatische Therapie“ besser als nichts und ich möchte an dieser Stelle auch den Spendern der German Doctors danken, die diese Arbeit erst möglich machen.